Klebeband und Kunststofffolie, das sind die Ingredienzien einer renaissancistischen Science-Fiction, die zur Wissenschaft zurückkehrt. Eine bedeutendere Rückkehr aber wagt Regisseur Ridley Scott, da er jene Werkzeuge als Fundament seines neuen Films begreift – und zum vielleicht ersten Mal in seiner Karriere die Brücke schlägt vom präzisen Technokraten zum freudigen Optimisten. Mit Saatgut aus Exkrementen, hexadezimalen Kommunikationsspielen, ausgeklügelter Mathematik, Physik und Chemie. Die Überraschung an „Der Marsianer“, nach dem gleichnamigem Bestsellerroman von Andy Weir, allerdings ist, wie viel Spaß und Entdeckungswahn sich die Geschichte um einen Astronauten und Botaniker erlaubt, der allein auf dem Mars strandet, nachdem seine Kameraden ihn für tot glaubten und ihre Heimreise zur Erde antraten. Über fast zweieinhalb Stunden zeigt jener Marsianer, Mark Watney, dass alles möglich ist. Angus MacGyver meets Robinson Crusoe, in einer Space Opera, welche Poesie nicht in der offensichtlichen Sensation, in Explosionen und Außerirdischen findet, sondern in der Theorie, in Zahlen und Formeln. Ridley Scott traut sich, in der Atmosphäre zu segeln und den Actionserenaden vergangener Tage abzuschwören. Sein Film ist ein einziger Vibe ohne Schluckauf, hermetisch isoliert von Größenwahn.

Vor allem wagt er, konträr zu „Alien“, eine positive Zukunft zu kreieren, die den Menschen als smarten Weltenbummler in spe porträtiert, als sehnsüchtigen Träumer und Superbastler, der nur im Durchschnittsakteur aller Durchschnittsakteure funktionieren kann: in Matt Damon. Zwar geißelt Drew Goddards Drehbuch die Strapazen Watneys nicht hinreichend, um an mehr als einer psychologischen Fassade zu kratzen – seine Aufgabe sieht es aber ohnehin anderswo. Nämlich in einer Charakterisierung, die auf einen sympathischen Nullpunkt steuert. Der Erfolg der Mission ist sicher, eine Rettung ohne Frage. Die Debatten des Kabinetts an formalistischen Nebendarstellern (Jeff Daniels, Sean Bean, Jessica Chastain, Kate Mara etc. pp.) ragen als entkoppelte Abschnitte empor, wie Level in einem Computerspiel, welche über die Zeit immer irgendwann gewonnen werden. Dessen ist sich Scott bewusst, allein seine cleane, stringente Inszenierung zeugt davon, nicht Watney, die menschliche Allzweckwaffe, sondern Watney, das juxende Spielkind zu fokussieren. Eine Figur, lädiert, reibungsfrei und unprätentiös, sie redet nicht vom Ego, nicht von Gott, es gibt keine Party, keinen Pomp, kaum Pathos. Ridley Scott kehrt auf dem Mars zu irdischen Tugenden zurück. Seine Antwort auf die brennenden Fragen der Menschheit: Mit ein wenig Willen und ein wenig Neugierde gibt es keine Grenzen. Die Heldin der neuen Science-Fiction ist die Wissenschaft selbst.

Damit weist „Der Marsianer“ den heimeligen Pioniergeist als weniger existenzialistische denn primär spielerische Konstruktion aus – im Gegensatz zu jüngeren Genrevertretern, die sich in philosophischen Fallstricken festzurrten und an diesen zu ersticken drohten („Interstellar“, „Ex Machina“). Ridley Scott möchte keine großen Fragen stellen und keine großen Fragen beantworten, keine höhere Macht nach- und den Ursprung des Menschen beweisen. Sein Film ist ein Spektakel, ohne im üblichen Sinne ein Spektakel zu sein. Die Conditio humana geht hier auf eine bunte, virtuose Do-it-yourself-Attitüde zurück, während Dariusz Wolskis Bilder entspanntes Understatement bieten, das statt einer intergalaktischen Offenbarung Balsam ist für unsere von Panoramen infizierten Augen. Die Schönheit dieses Films ist offensichtlich. Doch die größere, inspirierende Schönheit liegt im Unsichtbaren – in Zahlen und Formeln, in der Mathematik, Physik und Chemie. Es sollte künftig ein Traum sein, Wissenschaftler zu werden, zu zündeln, zu programmieren, zu integrieren. In den Sternen ruht die Zukunft. Und, nun ja, in Klebeband und Kunststofffolie.

Meinungen

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