Ridley Scott ist dieses Jahr 77 geworden. Deshalb trifft es sich wohl besonders gut, dass er einen Stoff verfilmt, der nicht nur mehrmals wie ein Gebot in den Fels der Filmgeschichte eingemeißelt wurde, sondern zudem als mehr oder weniger wahrhaftige Geschichte des alten Testaments bis zum heutigen Tage Religionen mitgeformt hat. In „Exodus – Götter und Könige“ geht es um Moses, Ramses, die zehn Plagen, zehn Gebote und vor allem die Befreiung des Volkes Israel. Was schon durch Cecil B. DeMille zu einem gigantischen Epos göttlicher Rache und atemberaubender Spezialeffekte aufgezogen wurde, erlebt hier seine Blockbuster-Reinkarnation, zum Leben erweckt durch ein Heer an Digital Artists, die selbst im Abspann mehr Platz und Zeit erhalten, als der Rest des Staff. Den Fokus aufs Spektakel konnte man schon zu damaligen Verfilmungen nicht von der Hand weisen; Scotts Werk gebiert sich da nicht anders, verleugnet aber den Sensationalismus des eigentlichen Fantasy-Stoffes zugunsten einer Rationalisierung, die in entscheidenden Momenten jegliche Relevanz seiner selbst unterminiert.
Anfangs legt der Film seinen bleiernen Fokus auf die Beziehung zweier Brüder, Moses (Christian Bale) und Ramses (Joel Edgerton), und präsentiert sie als treue Krieger Seite an Seite in einem stilistisch standardisierten Schlachtengetümmel, das genauso austauschbar erscheint wie die sonstige statische Routine der Inszenierung. Mit blassem Gestus wird da Exposition en masse betrieben, unwesentlich erklärend, aber nur bedingt mythisch. Scott hat in seiner offensichtlichen Lustlosigkeit auch keine Zeit für eine effektive Charakterisierung, da er stattdessen Grauzonen in der Moral und im Handeln der Brüder vorheucheln muss – speziell, wie Moses zu Gottes Auftrag steht. Denn Scott, so erklärte er sich ja schon im Casting weißer Stars für hebräische und ägyptische Charaktere, muss an den internationalen Kinomarkt denken, auf dem solch eine aufwendige Produktion aufgebaut ist. Von daher meint er wohl auch für die Wogenglättung von eventuell feindseligen Nationen keinen klaren Bezug für Helden, Anti-Helden oder Antagonisten herstellen zu müssen. Alle haben eine sauber definierte Motivation für ihr Handeln: der Zorn des hebräischen Gottes. „Wir sind alle davon betroffen“, muss reichen.
Dessen Entscheidungen einer gnadenlosen Zerstörung und Gewalt thronen über allem, nicht nur über dem gehetzten Narrativ, welches merklich ambitions- und interpretationsbefreit zu Schauwerten kommen will, sondern auch über den Charakteren. Scott degradiert sie zu einflusslosen Botschaftern, die zumindest zum Schluss hin mit der Hoffnung des Glaubens belohnt werden, aber in ihrer Entmenschlichung vom groß aufgefahrenen CGI-Gewitter stets blass und funktional bleiben. Dieser Umstand trifft insbesondere Moses und zu einem Großteil auch seinen Darsteller Christian Bale. Er wird schlicht zum Feldherr Gottes auserkoren, ohne dass er wirklich eine Möglichkeit der Führung ergreifen dürfte – was sichtlich an seiner mentalen Verfassung nagt, erst recht, nachdem er sich so sehr (in abstrahierten Montagen) bemüht hat, seinem Volk das Bogenschießen beizubringen. Dabei wird eben all jenes großzügig ausgeklammert oder auf biedere Schnittbilder kurzgefasst, was ihn zum Badass-Befreier seines Volkes prädestiniert hat: sein Dasein als Sklave, die alltäglichen Gesten des Helfens, die Liebe zu Frau und Kind.
Klar sind das einfache Faktoren, um beim Zuschauer an Sympathie zu gewinnen – bei DeMille hat diese Simplizität ja glänzend funktioniert. Warum auch nicht? Die Geschichte von Moses ist eine Fantasie der Katharsis zur Festigung des Glaubens und bedarf in ihrer urtümlichen Aufregung des Sagenhaften keinen spaßbefreiten Realismus, erst recht nicht, wenn dieser auf derartig halb garem Boden wie in Scotts Adaption fruchten muss. Das Ambiente schreit zudem nach Staffage und das Ensemble ist dessen unterwürfig, noch schlimmer sogar: undefiniert. Damit das Charakterdrama noch tiefer absäuft, folgt dann im letzten Drittel, nach der wissenschaftlich wahrscheinlicheren Teilung des Roten Meeres, die große 3D-Show zerberstender Schluchten, abstürzender Pferde und berghohen Fluten. Das hat Action und Drive, lässt auf Erquickung hoffen. Doch dann verfestigt sich Scott bezeichnenderweise auf eine letzte Konfrontation zwischen Moses und Ramses im Angesicht der Fluten: das Unverständnis von fehlender und dennoch forcierter Charakterisierung in absurder Verknüpfung mit dem im Hintergrund aufgeilenden Eskapismus. Man sollte jedoch nicht denken, dass dann abgerechnet wird. Denn Scott will auf eine Objektivität der Unentschlossenheit, auf eine existenzialistische Offenheit hinarbeiten, die zwar reizvoll klingt, aber erst zum Ende hin ansatzweise erforscht wird.
Doch eigentlich will er nur, dass sich auch ja keiner beleidigt fühlt. So bleibt letzten Endes in diesem Werk entfantastisierter Fantastik nur Langeweile und Belanglosigkeit. Das Publikum, auch jenes mit religiöser Neigung, wird da nur allzu freiwillig den Exodus aus dem Kinosaal betreiben.
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Bisherige Meinungen
150 Minuten Bibel-Kokolores und CGI-Brimborium, geradezu stümperhaft im Schnitt (Directors Cut juhu!) und mit mindestens genauso vielen guten Momenten gesegnet wie der öde „The Reaping“. Nämlich gar keinen. Da gab’s ja auch schon Plagen – und viel anders sieht das bei Ridley Scott nicht aus. Wo bleibt da nur die awesomeness? Ich habe sie zumindest nicht gesehen. Und mich tatsächlich bis zum Exodus gequält.
Ich kann der Kritik nur zustimmen. Man identifiziert sich keineswegs mit den Figuren, die eindimensional und nach einer Weile auch recht eintönig wirken. Die großen Namen der Schauspieler täuschen weder über die langweilige und in Teilen auch recht unlogische Geschichte noch über die fehlende Empathie mit den Charakteren hinweg. Die Plagen und den 3D-Effekt sind zwar visuell gelungen, können aber nicht mehr viel retten.
Der Stammtisch tagt. Otto Durchschnitt „kann“ es besser. Meines Erachtens widmet sich der Film einer Textvisualisierung und nicht einem Ranking unter Action-Fantasy-und-so-weiter-Consumern. Es ist ein Film, der sich erfreulich eng an die Vorlage hält und nicht etwa eine weitere Idealisierung des AT betreibt, was etwa den Drei- und Zweikampf Gott-Pharao-Moses gut funktioniert. Gewiss geht es hier nicht darum, die „gelungenste“ Special-Effect-Verfilmung des Jahres zu etablieren. Manche haben das anscheinend noch nicht begriffen. Der Film ist an Historienverfilmungen zu messen und nicht an Splatter-Pi-Pa-Po.
@Saint: Der „Stammtisch“ unter Leitung von „Otto Durchschnitt“ (ganz tolle Leistung übrigens, andere Meinungen so abfällig zu generalisieren) weiß wahrscheinlich aber auch: Eine biblische Geschichte wie diese als „Historienverfilmung“ bewerten zu wollen, würde dann doch ziemlich nach hinten losgehen, erst recht, da Maestro Scott dem Kommerz wegen ebenso kaum ohne Special Effects, phantastische Tierwesen, bombastische Naturkatastrophen und „Splatter-Pi-Pa-Po“ auskommen will. Und wenn man diese Textvisualisierung/Inszenierung/auch nichts anderes als SFX-Arbeit wegnimmt, bleibt der schwachen Charakterzeichnung im gehetzt-uninvolvierenden Narrativ dann eben nur noch das Eindimensionale. Es reicht schon DeMille zum Vergleich, um zu zeigen, wie ansprechend Figuren allein, trotz aller reißerischer Eindrücke, für den Zuschauer wirken können, wenn sie nicht bloß als blasse Funktionsrelikte für eine Projektionsfläche theologischer Diskurse herhalten müssen, stattdessen Gefühle und eben Spiel ins Schauspiel bringen, da DeMille sowas wie Kontinuität und Eskalation stimmig zu vermitteln wusste. Bei Scotts Ensemble ginge das theoretisch ebenso, doch die Konstruktion seines von Vornherein deklarierten Epos überschattet meines Erachtens jeden charakterlichen Bezug von Anfang an als platte Schicksalssoße, die sich durch den gegenwärtigen Hard-Fantasy-Konsens nur so schleppt.