Als junger, angehender Filmgestalter in Deutschland hat man normalerweise nur wenige Möglichkeiten, um seinen eigenen frischen Output an ein echtes, hautnahes Publikum zu richten. Youtube und Konsorten sind da schon eine große Hilfe zur Erschaffung der Präsenz und Feedback ist da ohnehin digitalisiert gegeben. Doch der menschliche Kontakt ist noch mal eine andere Sache, die vor allem im Austausch mit Gleichgesinnten eine Kommunikation und Freundschaft erbaut, welche man in keinem Filmstudium anlernen kann. Wenn man dann noch am Anfang des Schaffens steht und auf weit geringere Mittel unter dem Standard setzen muss, gibt es nur wenige einheimische Plattformen, die das daraus entstandene Werk trotzdem aufgreifen, zur Diskussion und auch zweifellos zur Unterhaltung des enthusiastischen Zuschauerkreises bereit stellen. Seit 2004 ist dahin gehend das Indigo Filmfest im Saarland ein spaßiger und gemütlicher Garant für unabhängige Filmkunst aus allen Sparten, genauso handgemacht und von einer kleinen Handvoll Leute ins Leben gerufen wie die meisten Titel im Programm an sich. Dieses Jahr feierte das Festival im Bürgerhaus Bardenbach in Wadern am 10. und 11. Oktober 2014 sein 10-jähriges Jubiläum; ich war zum fünften Mal ebenfalls mit einem Film vertreten und natürlich live dabei.

Doch bevor man dort hinkommt, hat man so oder so einen gewissen Weg vor sich, speziell als Hamburger. Öffentliche Verkehrsmittel machen da wenig Sinn, schließlich ist der Standort wie fast alles im Saarland von Bergen, Tälern sowie unförmigen Kurven umschlossen und in kleine Ortschaften aufgelöst, sodass man sich zwar von einer entspannenden Natur umgeben fühlt, aber auch kaum eventuellen Selbstverständlichkeiten des modernen, urbanen Lebens begegnet. Doch wer sich nun mal ohnehin selbst als Person mit dem eigenen Werk auf der Leinwand vertreten sehen will, geht dafür auch mal intensivere Wege. Und so wird der Ritt auf den Autobahnen am Freitagmorgen angeschlagen, um den Start des Fests am Abend pünktlich zu erreichen. Frühaufsteher muss man da sein, Mitfahrgelegenheiten mit den lieben Kollegen ergreifen, um somit von einem Ende Deutschlands zum anderen zu kommen. Da das Fest regulär immer am Wochenende läuft, ist mit Stau und Berufsverkehr zu rechnen, Pausen lassen sich auch genehmigen, auch wenn es eher darum geht, die Verwirrungen des GPS auszubügeln, das einen auf noch nicht geupdatetes Terrain von Kies und Wiesen zu schicken gedenkt. Da wird’s dunkel, wenn man letztlich ankommt, doch bis dahin gingen schon einige saubere Flaschen Spiritus und hysterisch-asoziale Gangster-Rap-Scheiben runter – die Zeit muss man sich nun mal sinnvoll vertreiben.

© Christian Witte

Foto: Indigo Filmfest © Christian Witte

Ab ins Hotel, schnell die Schlüssel abholen, damit man nachts einen Platz zum Schlafen hat, dann noch der Liebsten auf dem Weg zurück unbeirrt eine SMS schreiben und schon steht man da zwischen besten Freunden und einem aufgeregten Publikum, gleich neben dem reichhaltigen Angebot an DVDs und Blu-Rays zur linken und der herzlichen Verpflegung auf der rechten Seite. Das Team an freiwilligen Mitarbeitern steht nämlich bereit, die kulinarischen Wünsche seiner Gäste mit mal mehr, mal weniger alkoholischen Getränken und knackigen Snacks zu erfüllen – die Pizza Indigo zum Beispiel ist ein Gaumenschmaus in zwei Scheiben, den man sich gerne mehrmals am Abend schmecken lässt. Hinter der großen Doppeltür vorne voran läuft sodann die Magie der einheimischen Amateur-&-Independent-Szene ab. Mit voll aufgedrehten Boxen erleben wir einen weißen „Samurai“ (Regie: Matthias Gerth), der nach seinem obskuren Fight in der Pampa zu den Sternen fliegt, alles auf technisch sehr zweckmäßigem, aber nicht minder belustigendem Niveau. Der Zauber des Indigo ist, wie solche Momente beweisen, unsterblich geblieben. Und da geht es auch nicht nur um die Filme, sondern erst recht um die Gemeinschaft und die Freundschaft zueinander, die Verständigung und Verbrüderung mit dem Publikum und den zugänglichen Machern. Manch einer würde es einen Circle-Jerk der gegenseitigen Bestätigung nennen, aber per Definition wird der Begriff Filmfest hier konsequent und liebevoll in die Tat umgesetzt, ganz viel konstruktive Kritik inklusive.

Innerhalb der letzten fünf Jahre merkt man aber auch, dass sich die Qualität von allem in jeder Hinsicht steigert – immer mehr junge Teilnehmer beherrschen eine reizvolle Filmtechnik, vielleicht nicht unbedingt immer das erzählerische Geschick, doch dafür das Herz am rechten Fleck. Zudem erlebt man auch noch in einzelnen Fällen richtig dick aufgetragene Melodramatik, verbunden mit nicht wirklich gelungenen Darstellerleistungen und gezwungenermaßen provinziellen Settings, meist in schnell aufgelöster Kurzfilmform (unter anderem: Thomas Pills „Eifersucht“). Irrwitziges Fremdschämen und eskapistische Spannung gehen da Hand in Hand, variiert in vielfältigen Genres und Stilen. Einzelne Highlights kristallisieren sich allerdings auch heraus, meist in den eingereichten Beiträgen etablierter Persönlichkeiten, die mit ihrer Erfahrung gerne noch etwas weiter gehen, begeistern und Formen brechen (Dennis Kloses „Pogrom“), aber dennoch bodenständig ansprechbar bleiben – es sind ja schließlich auch alles Filmfans, die sich hier suchen, finden und ihre Werke präsentieren. Doch so gegen drei Uhr morgens geht auch der beste Abend mal zu Ende und so begibt man sich in einen schnellen Schlaf, um den Tag darauf (eventuell mit leichtem Kater) weiter zu machen. Ein paar kleine Spaziergänge in der dörflichen Gegend bringen schöne Ansichten zum Vorschein, mit Freunden vom Fest im Schlepptau auch noch eine starke Dosis Spaß. Und genauso locker tritt man dann auch wieder Richtung Filmfest, welches nochmals mit frischer Umarmung zum anstehenden Tag einlädt.

© Christian Witte

Foto: Indigo Filmfest © Christian Witte

Da bemerkt man dann auch, dass noch ein paar Hamburger mehr mit ihren Werken vorbeischauen: „Krasser Move“ von Torsten Stegmann macht da das authentische Schnacken zur genüsslichen Hauptattraktion in einem minimalistischen Milieu-Rahmen, während Jan-Gerrit Seyler mit „Cowboy & Indianer“ psychische Abgründe runterreißt und Julian Schöneich ein tödlich-bitteres „Roulette – A Game Of Chance“ aufdreht. Wir im Norden, das Indigo im Süden: Die Verbindung muss nun mal genutzt werden – und das sogar ganz gerne. Schließlich sieht man dann auch mal den neuen Film der äußerst produktiven Brandl-Pictures, die mit dem Sci-Fi-Fantasy-Epos „Omnia“ erneut solide Genrekost auffahren, ohne unbedingt das nötige Budget oder andere cineastische Faktoren dafür zu besitzen – dennoch erwischt man sich öfters dabei, die ganze Angelegenheit spannend mitzuverfolgen, während Armeen an Pappmaché-Monstern aufeinander zurasen und mit erbitterter Kraft gegeneinander kämpfen.

In Sachen Kampf gibt es zur Primetime ohnehin ordentlich was auf die Augen: „Jonathan Hammer“ von Matthias Gerth macht die Gewalt zu seinem Gesetz, „2 Aliens“ von Thomas Zeug stranden auf der Erde und müssen sich gegen die GEZ und die Tiere des bayrischen Waldes behaupten, der „Planet USA“ von Flo Lackner geht auf parodistische Tuchfühlung mit Bombast-Jingoismus, bis schließlich mit Daniel Flüggers neuer „Action Jutta“-Folge feminine Agenten-Keilerei auf dem Plan steht und die Martial-Arts-Brutalität von „Evil Twin“ (Christian Pfeil) und „Feuerwasser“ (Daniel Flügger und Dennis Klose) in körpersprengender Ekstase entfesselt wird. Letzterer verbindet eine finstere, rohe Atmosphäre menschlichen Dramas mit psychopatisch-absurden Hemmungslosigkeiten, welche den pointiert-gebeutelten Protagonisten an den Rand seiner physischen und psychischen Menschlichkeit bringen – mit erbarmungslosen und doch grausigen Konsequenzen! Wahrscheinlich der größte Reißer im diesjährigen Programm, doch danach ist noch lange nicht Schluss: Vor der Giallo-Hommage „Dunkelkammer“ von Matthias Wissmann wird nämlich die Torte zum Jubiläum ausgepackt und jeder kriegt ein Stück ab, da hier jeder Einzelne ein Teil der Liebe zum Film ist. Den Tag darauf steht die Heimreise an, dieselbe Strecke noch mal, jetzt am Sonntag ohne große Staus. Vielleicht steckt jetzt weniger Stimme im Hals, aber dafür herrscht die große Lust, auch die nächsten zehn Jahre wieder beim Indigo aufzuschlagen, komme was wolle. Denn wenn man etwas liebt, lässt man es einfach nicht los.

Meinungen

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