Yaël Farbers Inszenierung von Arthur Millers „The Crucible“ spielte vom 21. Juni bis 13. September 2014 im Old Vic. Seit 17. März ist eine Aufnahme des Stücks über Digital Theatre erhältlich.

In den fünfziger Jahren hieß es noch, Arthur Miller lehne sich in seinem Theaterstück „The Crucible“ gegen die Kommunistenhatz unter Inquisitor Joseph McCarthy auf. Heute hieße es eher: gegen Fundamentalismus, gegen Intoleranz und Radikalität. Begriffe, die wie Unkraut sprießen, doch konträr zu den Intentionen Millers stehen, der niemals darauf vertraute, dass es ausschließlich Gut und Böse gebe – und dass sich nur eine Wahrheit als wahr anbiete. „The Crucible“ ist folglich ein wesentlich prägnanterer Titel als die deutsche Übersetzung „Hexenjagd“. Obwohl das Stück nämlich den Beginn der Hexenprozesse von Salem im Jahr 1692 fokussiert, handelt es vielmehr von einer archaischen Besessenheit einiger Oberer, die in der aufkeimenden, irrationalen Sexualität junger Mädchen den Teufel erkannt haben wollen. Individualismus, eine eigene, freie Meinung – das ist hier der Teufel. Es folgt ein „Crucible“, eine Feuerprobe, die wie ein Schmelztiegel alles frisst, was der Glut nicht gleich ist. Menschen werden inhaftiert, gefoltert, hingerichtet. Niemand ist sicher, nicht ebenso für einen Diener des Teufels gehalten zu werden; einen Sklaven, der sich gegen die Obrigkeit wendet.

Weil Miller allerdings das Bild der Hexe wählt, die sich im Auftrag Satans den scheinbar Unschuldigsten der Unschuldigen nähert, ihre Sinne vernebelt, sie tanzen und keifen lässt, ist die Rolle des Opfers und des Täters zunächst zweifelsfrei spezifiziert. Darin liegt der Clou des Textes: Opfer und Täter bilden sich fortwährend neu. Keine Figur ist unschuldig, obwohl keine ihrer offenkundigen Anklagen wegen schuldig ist. Und darauf setzt auch Yaël Farber, die das Stück im Sommer des letzten Jahres auf einer transformierten Rundbühne am Old Vic in London neu inszenierte – mit einer spartanischen Ästhetik, die graue, rissige Kanten beherrschen. Eine Modernisierung? Unnötig. Wer „The Crucible“ heute liest, deutet die Hysterie um die Entdeckung eines okkulten, blasphemischen Virus ohnehin als Gewalt, welche kein übernatürliches Wesen nötig hat. Der Mensch ist Monster genug. Also dirigiert Farber ihr Ensemble als Horde von Menschen, die an einem Scheitelpunkt ihres Lebens angekommen sind, doch darum nicht wissen. Ein Glück, dass Robert Delamere diese karge Sensation nun nochmals über die Plattform Digital Theatre als Film präsentiert.

In Yaël Farbers Inszenierung geht schließlich etwas um, das sich wie ein Peitschenhieb anfühlt, der die Haut bis ins Fleisch aufreißt. Es könnte ein Dämon sein oder ein Requiem, ein Zyklon oder der Teufel persönlich. Dieser drakonische Terror fährt in die Glieder und darüber hinaus; er stürmt, hechtet und fesselt. Wird er aber einmal leise, bricht auch die letzte, fundamentale Stütze des Menschen weg, die ihm in Zeiten des Chaos blieb. Selbst John Proctor, ein Bauer und Schenkenwirt, kann in jener Welt nichts mehr bewegen. Denn er hat gesündigt, wie jeder gesündigt hat, als er sich die minderjährige Abigail Williams nahm und damit seine zu dieser Zeit kranke Ehefrau betrog. Ein Held, wie ihn nur Arthur Miller kreieren konnte: ein maskuliner, aufrechter Querkopf, der nicht an Hexerei glaubt und kaum mehr an die Kirche, seit diese der schlangenzüngige Pastor Parris übernommen hat. Richard Armitage spielt seinen John Proctor mit dickköpfiger Wut, obwohl er die Facetten seiner Figur selten bis zur Aussichtslosigkeit treibt. Sein Spiel mäandert um einen einzigen Pol, der still brennt. Dafür wuchtet sich das restliche Ensemble um Jack Ellis als Unterstatthalter Danforth und Adrian Schiller als Pastor John Hale in brachiale Höhen, die ohne Distanz verstören.

Denn „The Crucible“ fasziniert noch immer, da er die „Banalität des Bösen“ – wie Hannah Arendt die Barbarei des Menschen salopp formulierte – in eine Tragödie zarter, unsicherer Individuen drängt, deren Schuld auf einem moralischen Irrtum basiert. Letztlich kollabiert die Gesellschaft von Salem an ihrem Wahn – und am blanken Vertrauen gegenüber Abigail Williams, die in ihrer Lust nach Macht strebte. Die Lüge einer jungen Frau richtet ein Dorf zugrunde. Und das über beinahe dreieinhalb Stunden. Eine perfide, ungezähmte Show. Aber auch: frenetisches, intensives Theater.

Meinungen

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Bisherige Meinungen

Yannic
28. März 2015
13:41 Uhr

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