Barack Obama sagte anno 2013, Edward Snowden sei kein Patriot. Wenn Snowden nun aber kein Patriot ist – zumindest keiner seines Vaterlandes, der Vereinigten Staaten von Amerika: Was ist er dann? Ein beinahe dreißigjähriger, schmalbrüstiger Spion auf der Suche nach Ruhm abseits seines Daseins als ehemaliger Systemadministrator? Oder Teil einer Maschinerie, die so viel größer als eine einzelne Person ist, dass sie nur durch den Mut einer einzigen infrage gestellt werden kann? Vielleicht ist er beides, vielleicht ist er keines. Vielleicht ist Edward Snowden jedoch einfach dieses eine erste Ticket, welches inklusive der Gefahr auf Veröffentlichung immer irgendwann ausgestellt wird, sofern mindestens ein Mensch Zugriff erhält. Zugriff auf Inhalte und Metadaten, auf Kreditkartenkäufe, den letzten Supermarktbesuch, ein Chatprotokoll, E-Mail-Verläufe, Telefonanrufe, Geodaten. Kurzum: Zugriff auf den Menschen selbst. Auf seine Arbeit, Freizeitaktivitäten, Vorlieben, Freunde, Familie, Wohnung, Strom, Wasser. Laura Poitras offenbart mittels „Citizenfour“ jenen paranoiden Wahn – nicht nur der amerikanischen Regierung, sondern wenigstens auch der britischen und deutschen. Staatsbürger Nummer vier ist dabei Snowdens Alias, sein Deckname, den er im Kontakt zu Poitras in verschlüsselten Nachrichten nutzte, um zunächst auch gegenüber der Dokumentarfilmerin und Journalistin unerkannt zu bleiben.
Der Film handelt darin gleichsam von Snowden, dem Whistleblower, und Snowden, dem Privatmenschen, den Obama wohl wesentlich lieber als Staatsfeind Nummer eins bezeichnet hätte. Doch ein Film über bislang unbekannte Informationen, das ist er nicht. Und dies macht „Citizenfour“ größer, als es ein investigativer Report über den journalistischen Sensationalismus heutzutage hätte werden können. Auch, weil es in einer nüchternen Einführungsmontage zunächst nicht um Snowden geht, der permanent mit einfarbigen (mal in weiß, mal in schwarz, gänzlich standardisiert) Shirts in einem Hotelzimmer in Hongkong auf dem Bett lungert und (irgendwann tatsächlich) gefangen ist in der Enthüllungsstrategie der von ihm direkt und indirekt ausgewählten Journalisten. Nicht nur im eigenen Kabelsalat, auch unter einer roten Decke, seinem „magischen Umhang der Macht“, der ihn vor visuellen Zugriffen schützen soll. Einmal sagt er, völlig punktiert, wie er überraschend vieles formuliert: „Ich bin hier nicht die Geschichte.“ So recht er hat, so zurückgenommen, reduziert wirkt es dennoch. Wie abgelesen, indoktriniert. Doch ohne den zumeist in derartigen Lehrdokumentarfilmen prangenden Zeigefinger. Auf etwas zeigen muss Poitras schließlich nicht: Es ist bereits da. Die Enthüllung lebte bislang auch explizit ohne das Medium Film.
Aber mit welcher rückschrittlichen Finesse sie „Citizenfour“ strukturiert, inszeniert und selbst die Kamera in den acht aufgezeichneten Tagen der Interviewreihe im Zimmer 1014 des Hotels Mira führt, überrascht dennoch, weil es im technischen Maße höchst simpel ist. Man möchte auch sagen: einfältig. Im Jargon des modernen Dokumentarfilms kann dieses Wort viel und zugleich vieles bedeuten. Für Poitras’ bedeutet es jedoch vor allem die absolute Integration ihres Subjekts mit dem Objekt. Snowden gegen die Nationale Sicherheitsbehörde (NSA) – der Mensch gegen den Staat. So einfach ist das, obwohl es nicht einfach ist. Selbst in der Unschärfe nicht. Denn die staatliche Repression zwingt selbst (oder gerade?) in unserer heutigen zivilisierten Welt all diejenigen in die entlegensten Ecken des Globus, welche nichts weiter als die Wahrheit im System suchen, weil es darin noch immer genügend Lügen gibt. Eine der ersten Fragen, die Poitras stellt, ist die Frage nach dem Warum: warum ich? Sie habe sich selbst erwählt, schreibt Snowden. Sie, die über einen Sunniten während der Nationenbildung im Irak („My Country, My Country“, 2006) und einen ehemaligen Leibwächter Osama Bin Ladens („The Oath“, 2010) berichtete. Sie, die seitdem im Fokus amerikanischer Behörden steht; sie, die nicht oder nur unter höchster psychischer Anspannung und endlosen Verhören überhaupt in Amerika – ihrer Heimat – einreisen darf.
So wie Edward Snowden selbst ist ebenso Laura Poitras und ihr „Citizenfour“ ein Vielleicht, ein Fragezeichen, Achselzucken, das nervöse Bearbeiten der Haare, um sich für die Pressemeute außerhalb unkenntlicher zu gestalten. Zugleich ist es allerdings der wohl relevanteste Dokumentarfilm dieses Jahrzehnts – und ein manischer Thriller sondergleichen, der mittels sachlicher Symbolik eine Reduktion auf prägnante wie redundante Thesen vollführt. Die Perspektive mag dabei eine subjektive sein; eine Warnung ist sie dafür immerzu. Der Krieg gegen den Terror ist jetzt vielmehr ein Krieg für Privatsphäre, Freiheit und Individualität. Besser also, wir trennen nun jede Internetverbindung.
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