Erster Aufzug, erste Szene, der Herzog von Gloster schwärmt aus: „Nun ward der Winter unsers Mißvergnügens“. Ein unförmiger Mann tritt in die Welt und sein baldiges Königreich, welches er sich nahm und es brach, bis er es ebenso missgebildet wie sich selbst an Heinrich VII. abtrat. Selbst heute scheinen dies noch die Verse William Shakespeares zu sein, die fortwährend eine Aussage über die Politik und deren Zerreißen spannen, die in ihrer Diabolie über die Zeilen treiben, weil sie definieren, rekapitulieren, fortführen, was die Zukunft alle paar Jahrzehnte in die Gegenwart spuckt: Einen Führer, der machiavellistisch führen muss, da er in der Gesellschaft niederging und ihren Niedergang gleichsam fordert. Doch „Now – In the Wings on a World Stage“ handelt nicht von „Richard III.“, obwohl durchaus von der Natur jeder (weltlichen) Macht, sondern vor allem vom Theater (wobei auch dies der umgangssprachlichen Entsprechung wegen noch zutreffend für den teuflischen Monarchen wäre) und dem Weg hinein in ein absonderlich spezifisches Prozedere. Die neuerliche Produktion des Londoner Old Vic unter Sam Mendes und mit Kevin Spacey als Richard III. umrundete die Welt in mannigfaltigen Spielstätten und zehn Monaten. Ihre transatlantische Erkundung mittels des Bridge Project aber folgt dem Jetzt, dem einzigen Moment, den dieses Publikum (er)leben wird: Now – nicht nur allein Titel, sondern das erste Wort des Stücks.
Ein Pferd, ein Pferd, ein Königreich für ein Pferd!
Die Krux an diesem Dokumentarfilm ist nun aber nicht das Projekt an sich, welches ein Aufbegehren gegen die permanent stationäre Kultur des Theaters offenbart, sondern die Integration und Kollaboration britischer und amerikanischer Schauspieler, die einander in Shakespeare begegnen. Um die Integrität und Intensität geht es wohl, aber allzu sicher kann man sich in Regisseur Jeremy Whelehans Abbild der Reise niemals sein, denn die Eigenständigkeit des Films darf und muss sehr wohl angezweifelt werden. So rotiert „Now“ zwar um „Richard III.“, aber vielmehr als ein Stilmittel für die Dynamik des Theaters ist es nicht. Gleichzeitig schildert Whelehans Debüt das Leben hinter den Kulissen, doch nicht ausschließlich auf die Arbeit beschränkt – für das Vergnügen sorgt Spacey sogar persönlich, als es mal in die Wüste nahe Doha, Katar, geht und er selbst eine Düne herunterkullert oder das Ensemble einen augenscheinlich hinreißenden Tag auf einer Jacht verbringt, die entlang der Amalfiküste braust. Für Unterhaltung ist daher ausreichend gesorgt, an wahrer Erleuchtung mangelt es jedoch unweigerlich. „Now“ nämlich verbleibt durchwegs Komplementärstück eines wesentlich relevanteren Werks und ambitionierten Projekts. Stattdessen läuft der Film stellenweise Gefahr, allzu sehr in Belanglosigkeiten und euphorische Audiokommentare zu verfallen. Man muss aber ebenso gestehen: Wie treibend die Ausführungen dennoch sind, wie mitreißend besonders Spacey als Mensch und Akteur auftritt. Man verfällt ihm – und das schnell und schonungslos.
Daher muss „Now“ auch nichts Originelles oder gar die Sensation schlechthin erzählen, er darf irgendwann schlicht da sein, in eben jenem Jetzt, welches das Bridge Project in die Welt tragen wollte. Die Liebe zum Theater ist – und das spürt man hier in jeder Sekunde – eine Liebe, die nur mit Leidenschaft entblößt werden kann. Darin behandelt „Now“ seine Protagonisten entgegen des magischen Pluspols namens Spacey erstaunlich gleichrangig abseits des Popularitätsgefälles, das sich fernab von Beinahe-Ikone Gemma Jones als Königin Margaret auftut. Für all jene, die nicht in den Genuss des Mendes’schen „Richard III.“ kamen, fehlt „Now“ aber noch immer die Ausführung der Theorie, die neben des Probens und Kämpfens um eine stimmige Interpretation in kurzen Fetzen angeschnitten, doch freundlich unterdrückt wird. Eine Sichtung nach Al Pacinos grotesker Versuchsanordnung „Looking for Richard“ (Spacey spielt dort übrigens den Earl of Buckingham) und Richard Loncraines aberwitzigem „Richard III.“ mit Ian McKellen (und definitiv viel Swing) als wütenden und wütendem König, der die Deformationen des Monarchen nochmals stärker überkandidelt, wirkt nicht nur angebracht, sondern zwingend notwendig, will man Shakespeares Intentionen und der Verve jeder klassischen Transformation ins Theater begegnen. Es bleibt dafür eine mutwillig hingenommene Leere, die den Fanboys und -girls des Herren Spacey ein Funkeln in die Augen zaubert. Und wenn man noch über sein Risiko irre lächelt, dann kann der Ansatz, diesen Dokumentarfilm eigens zu vertreiben, kein völlig falscher sein.
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