Nicht einmal siebzig Minuten geht dieses eigensinnige chilenische Doku-Feature Beaverland von den Regisseuren Antonio Luco und Nicolás Molina – und dennoch ist es aufgrund seiner direkten Unbeschwertheit und objektiven Eleganz des Unkonventionellen ein ganz herzlicher Kandidat für tierisches Vergnügen. Da hebt er sich schon am Anfang von allem ab, was man so aus dem Genre erwarten würde und blickt aus dem Kosmos heraus auf die Chronologie des Bibers, wie er nach Chile kam und warum sich ein bestimmtes Pärchen, Derek und Giorgia, dazu entschlossen hat, ihn in seiner Population einzudämmen, sprich zu exterminieren. Je näher wir dann in jenes Gebiet Südamerikas eindringen, erleben wir zu psychedelischen Tönen eine mysteriöse abgehalftert-bewölkte Landschaft, die wirklich einem fremden Planeten ähnlich sieht und genauso wie außerirdische Besucher begutachten wir fortan das drollige Gespann der Biberjäger bei ihrer gewissenhaften Arbeit.

Dabei interviewen sie sogar in einem Meta-Doku-Kontext für sich selbst die urigen Einheimischen um sie herum, wie der Biber dem regionalen Öko-System schadet – viele von ihnen sehen das Eindringen des pelzigen Nagers schlicht persönlich, als Invasion und ausgerechnet als Gefahr für andere Tiere, wie dem Pinguin, der mit seinen Artgenossen scheinbar verschworen in den Himmel starrt. Dem Zuschauer selbst wird die Situation demnach nachvollziehbar geschildert, doch der Film erlaubt sich kein Urteil darüber, wie man darüber fühlen soll, auch weil alle Protagonisten dieser unintrusiven Reportage schlicht offen gehandhabt und vonseiten der Crew nicht beeinflusst, nur beobachtet werden. Diese nehmen ihren persönlichen Auftrag schließlich auch für ganz selbstverständlich, denn sie handeln ja ohnehin nur für das natürliche Gleichgewicht, das durch den importierten und ebenso nicht wirklich aggressiven Eindringling gestört wird, weshalb es ihnen auch nicht ums spaßige Jagen geht. Umso sympathischer macht es sie, wenn sie, wie eigentlich jeder in der Situation, vor der Niedlichkeit des Tieres aufschrecken, das sich ungefähr so oft blicken lässt wie in Spielbergs „Der weiße Hai“, aber genauso präsent besprochen und analysiert wird.

Für ein bisschen subtile Ironie sorgt aber auch der Blick in das alltägliche Leben in Chile, bei welchem reichlich Baustellen vorhanden sind, in denen die Menschen nicht minder fleißig für die Eigennützigkeit ackern wie die instinktiven Biber. Schließlich sind wir ja auch nur gern eingeladene Gäste der Natur und legen für uns selbst heimelige Territorien an. Da kann der Film die Parallelen nicht verschleiern, drängt sich aber auch nicht auf, eine Botschaft einzuhämmern oder in eine bestimmte Richtung zu emotionalisieren oder dämonisieren. Unser Team an Biber-Busters jedenfalls tastet sich (wie die Inszenierung auch) weiterhin ehrfürchtig an ihre potenzielle Beute heran, legt ausgeklügelte Fallen und hat das Gewehr immer griffbereit, aber besitzt auch genug Respekt vor den wilden Dammbastlern, sie möglichst schnell zu töten und sogar Mitleid mit den armen Kerlen zu haben, wenn sie verletzt davonkommen. Außerdem ist die Größe der erlegten Tiere auch nicht zu verachten: 1,12 Meter lang und 18 Kilogramm schwer; schon eine beachtliche Ladung – und dann noch diese dicken Hauer!

Schließlich ist man sich aber auch bewusst, an den Umständen nicht viel rütteln zu können, bei knapp 150.000 Bibern im Land, da haben Derek und Giorgia auch nur etwa siebzig Exemplare ausgemerzt, von denen sie auch gerne welche bei versammelter Runde im winzigen Wohnwagen essen, während die Ukulele süßlich-folkloristisch daher klampft. In den letzten Minuten kommt dann auch der nächste dicke Biber und macht sich an sein natürliches Werk, eben ganz gemütlich und unbedarft, wie „Beaverland“ nun mal ist, in stimmiger Abgeklärtheit und kosmischen Bahnen hinein fließend. Ein ganz lustiges kleines Filmchen, das sich selbst sehr bescheiden nimmt, aber umso mehr im Wohlwollen ankommt. Siehe dazu auch die ähnlich humorvollen Dokumentationen über die Plage der Aga-Kröten in Australien: „Cane Toads: An Unnatural History“ (1988) und „Cane Toads: The Conquest“ (2010) von Mark Lewis.

Meinungen

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