Wie begegnet man einem Werk, das weitaus mehr bietet, als das bloße empirische Erlebnis? Das die Kunstform Film seit 1968 entscheidend beeinflusst und als zeitlose, synästhetische Hoffnung für alle Ewigkeiten fungiert? In Worte zu fassen, welche Wichtigkeit „2001: Odyssee im Weltraum“ innewohnt, ist verbale Reduktion; ein Versuch, in reproduzierender Weise zwangsweise analytisch vorzugehen, da eine Beschreibung vollkommen uninteressant bleibt. Es sind die unzähligen Symbiosen aller Einzelaspekte, die Verbindungen auf zigfachen Metaebenen, die im faszinierten Zuschauer eine derartige Ehrfurcht auslösen, dass nicht wenige Filmbegeisterte behaupten, es sei nicht nur das Magnum Opus Stanley Kubricks, sondern der beste Film aller Zeiten.

Das Kategorisieren von Kunst ist eine sehr undemokratische Hingabe an die Qualität. Im Zeitalter der rasenden Geschwindigkeit, in dem wie bei Vine sechs Sekunden ausreichen sollen, eine künstlerische Innovativität zu generieren; in dem der konditionierte Zuschauer eine statische Einstellung von zehn bis fünfzehn Sekunden gelangweilt als Durchhänger empfindet; in dem selbst Berlinale-Kritiker (wie in „Stratos“) den Kinosaal verlassen, weil ihnen zu viel Realität nicht mehr fiktional genug ist; in dem explodierende Blitzlichter und harte Schnitte Bilderstürme erzeugen, die in digitaler, dumpfer Unschärfe an Tiefe gewinnen sollen; in dem die Automatik der Technik so gut funktioniert, dass nicht nur die Anzahl der Laien und Amateure steigt, sondern auch die Überzeugung, man produziere Kunst, man produziere etwas Gehaltvolles – in diesem Zeitalter spielt der geistige Anspruch eine immer kleiner werdende Rolle. In Bezug auf die Kreativität setzt die Demokratie keine objektive Grenze, ebenso wenig existiert noch eine veraltete, aber gerechte Unterscheidung von unterhaltender und anspruchsvoller Kunst. Zeigt man mit errötetem Finger auf die deutlichen Unterschiede von Klassik und Jazz zu heutiger elektronischer Tanz- und Chartmusik, wird man häufig nicht verstanden, wo die qualitative Diskrepanz denn herrschen soll. Ist vielleicht der aristokratische Anspruch der Grund für die filmbegeisterten „2001: Odyssee im Weltraum“-Jünger, die letzten Mohikaner, die die Hoffnung an die Perfektion nicht aufgegeben haben?

Denn wenn es um Perfektion im Spielfilm geht, führt kein Weg an Stanley Kubrick vorbei. Doch was macht seine Werke aus künstlerischer Hinsicht so „perfekt“? Die verbale Antwort auf diese Frage ist wieder nur Reduktion. Man schaue sich seine Filme mit Konzentration und absoluter Unvoreingenommenheit an und das erzwungene Ausblenden jeglicher Erwartungshaltung – beispielsweise durch diesen Text – wird nicht lange nötig sein, denn zumindest eine objektive Anerkennung sollte selbst bei Desinteresse nur eine Frage der Überwindung sein. Kubrick war 1968 vierzig Jahre alt und traute sich unglaublich viel (zu); egal, mit welcher verklemmten Ablehnung man dem Werk gegenüberstände, die Innovativität – ein lupenreines Indiz für einen qualitativen Gehalt – seiner Filmsprache, seiner Erzählweise, seiner Inszenierung ist unumstritten. Wer führt seine Zuschauer vollkommen absichtlich mit einem mehr als dreiminütigen Intro, das aus der grenzgenialen Kombination eines schwarzen Bildes und György Ligetis „Atmosphères“ besteht, in das Geschehen ein, um begleitet vom Sonnenaufgang Richard Strauss’ übermenschlicher „Also sprach Zarathustra“-Vertonung in einer astronomischen Konjunktion von Sonne, Mond und Erde zu münden? Der Begriff Perfektion impliziert Symmetrie und Ausgeglichenheit, eine goldene Mitte der Schönheit, das erhoffte Eintreten der Harmonie. Kubricks Talent für das Perfektionieren in diesem Sinne kann man schon in seinen Fotografien aus den vierziger Jahren feststellen. Gerade die angesprochene Symmetrie spielt in jedem seiner Filme eine zentrale Rolle.

Das schwarze Bild der ersten Minuten, unterlegt von der bahnbrechenden Musik Ligetis, ist dabei ein gutes Beispiel für die Ignoranz von Fernsehsendern zugunsten der Konvention des Zuschauers und folglich der eigenen Tasche. Oftmals wird nämlich direkt mit dem imposanten „Also sprach Zarathustra“ begonnen, welches der ein oder andere möglicherweise aus der Warsteiner-Werbung kennen dürfte. Dies ist ein unverzeihbarer Einschnitt in die Expression Kubricks; fast schon eine demütigende Verzerrung, die von vielen nicht einmal bemerkt wird. Sofort wird man als Snob bezeichnet, wenn man sich cholerisch darüber äußert; oft von Leuten, die nicht wirklich verstehen können, wieso man sich einen Film auf der Kinoleinwand und nicht auf einem 13’’-Laptop-Bildschirm ansehen will. Muss man mittlerweile den Schwund an Qualität aufgrund der radikal steigenden Masse an nichtssagender Quantität hinnehmen? Was kann man gegen diesen Schwund tun, der von allen Ökonomie-gesteuerten Industrien der „Kunst“-Repräsentanten evoziert wurde, um die gehaltvollen Inhalte zu vernichten und eine automatisierte Scheinwelt zu gestalten? Alles ist Hi-Fi; und doch gibt es keinen Grund dazu, weil eben der besagte Inhalt fehlt – Hauptsache, es sieht gut aus oder klingt gut.

Was Kubrick einzigartig machte, war sein Verständnis dafür, seine Inhalte mit den Bildern zu fusionieren. Es entsteht eine homogene Einheit, wenn man in atemberaubenden Kamerafahrten Erde, Mond, Raumstation und -schiff zu Johann Strauß’ „An der schönen blauen Donau“ Walzer tanzen sieht. Ein harmonischer Tanz in der Dunkelheit, die perfekte Metapher für die Technologie per se. Symbolische Anspielungen auf die Gefährlichkeit der Automatisierung des Lebens sowie künstlicher Intelligenz spielen in diesem Spektakel eine wichtige Rolle. Doch auch der philosophischen Betrachtung vom Leben an sich, dem Stellenwert von Zeit und zusammenhängender Vergänglichkeit und den Fragen nach Evolution, Revolution und Regression werden genügend Szenen gewidmet. Die Suche ist das Ziel, Antworten werden zu neuen Fragen und gleich der Unendlichkeit des Universums wäre die Fassungslosigkeit über die nichtssagende Wahrheit. Der Mensch expandiert, verlässt seine fragliche Welt, schwebt in Unmut und Vergessenheit in den Gezeiten.

Der Soundtrack im Spielfilm, ausgenommen Musicals und Musikfilme, hat viel an Gewichtung zugenommen in den letzten Jahrzehnten. Doch selten nehmen die musikalischen Klänge so viel Raum ein wie in „2001: Odyssee im Weltraum“, wo der Zuschauer von der ersten Sekunde an hypnotisiert wird und die ideal ausgewählten Stücke die Bilder nicht nur unterlegen, sondern mit ihnen verschmelzen. Die Figuren bewegen sich in diesen fusionierten Zuständen fast nebensächlich. Deshalb wirken sie genauso unwichtig und klein, wie es die Menschheit in Größenrelation zum Universum in Wirklichkeit ist. Die Unwissenheit dieser ist der Grund für die permanente Suche, auf welcher sie für immer nichts anderem begegnen wird als dem empirischen Erlebnis sich kreisenden Lebens, dem Fortlaufen der Zeit. Stanley Kubrick erzählt nicht davon: Er zeigt es und evoziert ein natürliches Trancegefühl, weil er etwas bebildert, was zu begreifen und erklären kaum möglich ist. Und das gibt Hoffnung.

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