Zwischen Licht und Schwärze begegnen sie uns wie im Traum aus tausendundeiner Nacht: die längst und manchmal kürzlich Vergessenen, denen der Weg zum Ruhm oder zumindest zu leidlicher Bekanntheit absichtlich in Deutschland versperrt wurde. Denn jene Opfer des Blockbuster-Massenkonsums existieren lediglich auf in- und ausländischen Festivals, in schmierigen Hinterhöfen des Nichts oder gleich auf Äckern, in halb garer Qualität über Computer, ob nun aus dem Netz oder vom Dealer unter ferner liefen.
CEREALITY suchte sie mit Müh, Not und fand zu viel, dass ein jedes Werk eine notwendige Erwähnung erhalten könnte. Doch diese Ausgabe soll als Zeichen aller Untergegangenen, aller Verschollenen gelten, welche ihre Heimat niemals verlassen und in die Welt reisen konnten, wie es doch für sie angedacht war. So stürzen sie in des Films Hölle – die Hölle, wo sie alsbald kein Mensch mehr unbewusst finden, sehen, faszinieren konnte: Man vergaß sie, ohne sie jemals gekannt, ohne gewusst zu haben, was man vergessen hatte.
Zehn Weckrufe sollen folgen: an ängstliche Verleiher, Vertriebe, Agenturen, an ein Publikum mit platten Arschbacken, das sich um der wahren Entdeckungen nicht mehr schert. Zehn Weckrufe sollen folgen: mit Filmen aus Japan, Polen, Mexiko, Griechenland, aus dem Vereinigten Königreich und den Vereinigten Staaten. Weil die Welt eine Oase der Filmkunst ist und bleiben soll!
Der Ruhm mag verschwinden, die Vergessenheit währt ewig.
Die öffentliche Geburt jener Zehn folgte in Cannes, in Sundance, in Berlin, in London, in Austin, selbst in Gdynia. Manchmal auch erst als beiliegendes Material auf importierten DVDs. Niemals sollten sie aus dem Licht nach der Dunkelheit treten („Post Tenebras Lux“, 2012), nie den Sprung aus dem dokumentarischen Becken wagen („Hoop Dreams“, 1994), der Satire Herr werden („Taiyō o Nusunda Otoko – The Man Who Stole the Sun“, 1979), eine sensationelle Filmografie erneut eröffnen („Meantime“, 1983), der Erleuchtung wahrlich Licht geben („Simon in der Wüste“, 1965), ein gespaltenes Publikum im Rausch überwinden („Stratos“, 2014), die Kontroverse weiter spannen („Dom zły – The Dark House“, 2009), zeigen, welch Leben noch im Sensationslosen steckt („Short Term 12“, 2013), wie sich Leid und Enttäuschung zu einem Band verknüpfen („Onna ga kaidan o agaru toki – When a Woman Ascends the Stairs“, 1960) oder gleich: eines Meisters größte Kunst enttarnen („Die Kurzfilme von Stanley Kubrick“, 1951-53).
Selbst der Geburt der zukünftig Ausgestoßenen wollen wir beiwohnen: vom 14. bis 25. Mai bei den Filmfestspielen in Cannes. Côte d’Azur, Palmen, sandfarbene Strände, Jachten inklusive nackter Leiber, gesprenkelter Schirme, Cocktails und ohnehin zuzüglich all des süßen Lebens. Davon werden wir vermutlich nichts sehen, aber vermutlich mehr von: Filmen, die jeder begehrt zu sehen! Wir werden sie leben, uns an ihnen reiben, für sie warten, in ihnen versinken, für sie klatschen und vielleicht für sie schreien (gewiss jedoch alles zugleich für Bennett Millers „Foxcatcher“).
Während ein Part der Redaktion in Cannes wütet, brütet ein weiterer an heimischen, Arthaus’schen Mattscheiben. Allein, um insgeheim tri(er)logische Feste zu feiern („Dogma 95“), dort von Macht („There Will Be Blood“), Musik („The Doors“) und Intelligenz („Good Will Hunting“) im Rausch der Identitäten („Der talentierte Mr. Ripley“) zu träumen, bis Wiederentdeckung und -erweckung („RoboCop“, 2014) schließlich nur noch im Sex existieren („Seine Gefangene“, „Ossessione“).
Dabei perlt der aktuelle Kinofilm doch sanft aus den kolossal projizierten Ungetümen: Christian Bale kämpft „Auge um Auge“, während Pierce Brosnan „A Long Way Down“ und Darren Aronofsky die biblische Sintflut „Noah“ bevorzugt, in grauer Melange aus dem Mädchen die Frau „Ida“ wird ebenso wie aus Bauklötzen letztlich „The Lego Movie“. Wohl aber sabotiert Arnold Schwarzenegger selbst „Sabotage“, Mia Wasikowska legt „Spuren“, des Stromes Freund spürt „The Amazing Spider-Man 2: Rise of Electro“ nach und Ralph Fiennes schmiegt sich an „The Invisible Woman“, welche dennoch „20 Feet from Stardom“ bleibt. Dafür scheint der Erfolg eines Depps transzendiert in „Transcendence“ und jede Vergangenheit, Gegenwart doch gleich Zukunft („Nächster Halt: Fruitvale Station“). Des eigenen Individuums sollte ein jeder sich nicht allzu sicher sein („Enemy“), aber weniger noch der Diebe, die sich ins Heim stehlen („Labor Day“) oder Frauen, die aus ihrem Heim ausbrechen („Grace of Monaco“). Letztlich grüßt täglich das Murmeltier („Edge of Tomorrow“), entgeistert fröhlich eine Riesenechse nebenan („Godzilla“) und Mutanten von der Stange („X-Men: Zukunft ist Vergangenheit“).
Wir danken Dimitris Tsiapas für die Bereitstellung des Covermotivs.
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