Ach ja, da wären wir mal wieder bei einem filmischen Marvel-Produkt gelandet – das zweite dieses Jahres von insgesamt vier, um genau zu sein. Die einzelnen Rechte dieser Filme liegen natürlich bei verschiedenen Studios, doch ob nun Disney, Fox, Paramount oder wie in diesem Fall Sony die Comicadaption-Maschinerie anschmeißt, ist eigentlich unwesentlich. Sie alle verbindet nämlich nicht nur der obligatorische Gastauftritt Stan Lees, sondern auch der permanente Zwang von Sequel-Gefälligkeit und profitablen Formelanbiederungen, basierend auf der Idee eines gewissen Cinematic Universe. Diese Umstände muss man wohl inzwischen als gegeben hinnehmen, sind sie doch schon so weit durchgeplant, die nächsten Dekaden des Blockbusterkinos zu beherrschen. Solange eben der Rubel rollt, kann man den Entscheidungsträgern eigentlich keine Schuld daran geben, allerdings sollte es einen nicht davon abhalten, diese risikofreie Entwicklung zu hinterfragen, aber auch neben aller Serien-Routine gewisse Eigenarten, positive wie auch negative, herauszufinden und zu bewerten. Wäre das im Endeffekt aber auch nichts anderes als die Bekräftigung von Marketing-technischem Finetuning? Offenbar haben Sony und Marc Webb nach ihrem letzten Output genau darauf Rücksicht genommen und ihre Formel dem anspruchsvolleren Zielpublikum entsprechend alleine schon oberflächlich verbessert – nicht aber ohne erwartungsgemäß auf Nummer Sicher zu gehen.
So bleibt Peter Parker (Andrew Garfield) noch immer der freundliche Helfer Spider-Man, der in seiner Freizeit Verbrecher jagt und mit Fotos für den Daily Bugle ein bisschen Taschengeld dazu verdient, während seine Tante May (Sally Field) jene Superhelden-Identität seinerseits noch immer nicht herausgefunden hat. Seine Freundin Gwen Stacy (Emma Stone) hingegen fühlt sich nach ihrem College-Abschluss zu Höherem berufen und weil Peter ihrem Vater George (Denis Leary) – der in den ungünstigsten Momenten als mahnende Vision erscheint (merkwürdigerweise kein Onkel Ben) – ja ohnehin versprochen hat, sie nicht mehr in seine Abenteuer mit einzuwickeln, wäre eine Trennung zunächst eigentlich das Beste für alle. Aber love conquers all und die Beiden können in ihrem romantischen Spinnennetz einfach nicht voneinander, was aber auch selbstverständlich seine schicksalhaften Konsequenzen hat.
Jugendliche Coming-of-Age-Tendenzen haben nun mal selbst in diesem Genre immer mit Entsagung und Verantwortung zu tun – und so versäumen es Webb und seine Drehbuchautoren (Alex Kurtzman, Roberto Orci) nicht, alle gängigen, moralischen Konflikte des modernen Superheldenfilms ebenso hier in wirksam-harmonischer Aufarbeitung einzubinden: Vertrauen, Verrat, Schuld, Vergangenheit, Pflicht, Hoffnung, Heldenkult, Freundschaft, Ehre, Liebe – nicht nur zu den Menschen in nächster Nähe, sondern auch zur Gesamteinheit New York, die unseren Helden anfeuert. Daraus entsteht aber lediglich ein Status quo, welcher nur derartigen Entfaltungsraum anbietet, um vorwiegend den erneuten Kreislauf der Überwindung eines Super-Bösewichtes zu initiieren. Die oben genannten Faktoren fördern nämlich gleich zwei Obermotze zu Tage, die aufgrund ihrer Bewunderung und Obsession für den Spinnen-Mann einschlägige Enttäuschung erfahren und demnach auf die Gegenseite wechseln. Relativ plakativ und kurzgefasst gestaltet sich da der Werdegang des Social–Outcast-Wissenschaftlers Max Dillon (Jamie Foxx) zum fiesen Stromfresser Electro, welcher eines Tages vom rotblau-gesponnenen Freund und Helfer gerettet wird und fortan mit kindischer Naivität einen Führer und Verbündeten in ihm sieht – aber auch nach seinem sozialen Ansehen strebt.
Umso stärker wirkt natürlich das Gefühl von Verrat, als er aufgrund seiner durch einen Betriebsunfall transformierten Form vom kostümierten Helden bekämpft wird und so scheinbar zum zentralen Bösewicht des Narrativs erhoben wird – der folglich den Strom und die Aufmerksamkeit New Yorks aus Spider-Mans Fäden entziehen möchte. Diese bösartige Ehre muss er sich aber mit Harry Osborn (Dane DeHaan) teilen, der als Freund Peters von Kindheit an Heimvorteil hat und daher weit mehr Mitleid vonseiten des Helden und auch des Films erfährt. Seine Last einer vererbten Krankheit und der daraus resultierende Drang nach Heilung, der von Spider-Man schweren Herzens abgelehnt wird, bringt den Charakter eher in den emotionalen Fokus der Antagonisten – entlarvt den Film und seinen Untertitel letzten Endes aber auch als Mogelpackung, da trotz des übermäßigen Actionanteils Electros eher die Etablierung des Green Goblins im Vordergrund steht. Dass er als Machthaber des berüchtigten Oscorp-Konzerns die essenziellen Mächte zur Erweckung vieler weiterer Villains inne hat, kommt da gerade recht als willige Grundlage späterer Leinwandabenteuer.
Die Zeichen werden klar gesetzt: Kommt zurück beim nächsten Mal, dann ziehen wir den wahren Zaubertrick aus dem Hut heraus. Bis dahin soll uns dieser abendfüllende Trailer die Zeit vertrösten, der in seinen über 140 Minuten Laufzeit kaum mehr voranbringt, als die eigentlichen Trailer zum Film selbst – damit genau dasselbe unerfüllte Gefühl vom ersten Teil hervorbringt, dessen Charakterentwicklungen und Schluss sich hier quasi 1:1 wiederholen und ebenso mit vielversprechenden Cliffhangern aufwarten (ohnehin darf man darauf gespannt sein, ob man den gesamten Text hier nochmals quasi 1:1 bei den Fortsetzungen anwenden kann). Darin liegt nun mal die Last der forcierten Serienartigkeit, die von Natur aus nur bedingt damit kokettieren kann, in-sich-geschlossene und eigenständige Geschichten zu erzählen (dagegen mal die dramaturgische Intensität eines „Man of Steel“!). Was aber nicht ausschließen muss, diesem Unterfangen eines zweiten Aktes als Spielfilm genussvolle Energie einzuverleiben. So tritt hierbei neben der verstärkten Liebe zum digitalen Effektspektakel am allerstärksten das musikalische Verständnis heraus. Dies gründet sich zunächst in der Ambition des Komponisten Hans Zimmer, der eigens für diesen Film die Superband The Magnificent Six – zusammengestallt aus Pharrell Williams, Johnny Marr, Junkie XL, Michael Einziger – gründete, um so eine breitgefächerte Tonpalette zu erschaffen, die zwischen hymnisch-heroischen Fanfaren mit Posaunen für die Heldenfraktion auch distinktive Leitmotive und sinistere Flächen für den Gegenpol heraufbeschwören.
Der aufbrausende, künstlerische Drive entfaltet sich am Deutlichsten in der Figur Electros (allein der Name schon!), dem nicht nur mystisch-gehauchte Textzeilen mit Befehlsfunktion unterlegt werden (ähnlich dem Charakter Sex Machine aus „From Dusk Till Dawn“), sondern auch die logische Weiterentwicklung kontemporärer Blockbuster-Vermarktung: knarzig-brachialer Dubstep als symphonisches Leitmotiv. Dadurch verwandeln sich seine einkrachend-elektrischen Zerstörungsorgien in poppige Musikvideos, die zudem von der schwelgerischen Bildsprache Webbs (selber weiterhin aktiver Musikvideo-Regisseur) entsprechend rhythmisch aufgeladen werden: Spideys Sinne bewegen sich in Zeitlupe durch die Atmosphäre, suchen nach flinken, taktischen Lösungen des Kämpfens und des Rettens – beweisen die Finesse eines perfekt-choreographierten, technischen Balletts. Speziell sei dabei die Szene genannt, in welcher Electro unseren Helden ähnlich einer Flipper-Maschine an mehreren Strommasten abprallen lässt und dabei knallige Powerchords im Takt entlädt.
Paart man dies alles mit dem spielerischen Auftreten des Spider-Man-Titelthemas aus der alten Zeichentrickserie als Handyklingelton, das Summen der Jeopardy-Grübelmelodie als einschüchterndes Verhörmittel und der Untermalung mehrerer montierter Einzelsequenzen mit flottem Liedgut, bekommt man eher den Eindruck, einem versteckten Musical beizuwohnen. Wie passend, läuft doch schon seit 2011 das problematische Rock-Opus „Spider-Man: Turn Off the Dark“ auf dem Broadway. Webbs Film kann man daher neben dem selbstverständlichen Einfluss der weitläufigen Comicvorlage als filmische Quasi-Umsetzung jener Revue-Adaption ansehen. Diese Deutung verstärkt sich dann auch nicht nur durch die dringlichen, inneren Stimmen Electros als vordergründige Charaktermotivation, sondern auch im Cameo des Green Goblins – welcher zunächst in operettenhafter Grandiosität seine Transformation zelebriert, um sodann als grinsend-keifende Fratze eines verschämten Phantoms auf die Bühne zu schwingen und mit der Herzallerliebsten Gwen Stacy in das gotische Uhrwerk zu entwischen. Diese Theatralik geht dann auch letztendlich einher mit den allenfalls pointierten Dialogen des Films, die von der unbedarften Natürlichkeit der Darsteller sympathisch vermittelt werden, sowie dem süß-romantischen Kitsch, der die Beziehung zwischen Peter und Gwen auszeichnet (was sogar soweit geht, dass seine Spinnenweben in Detailaufnahme einer helfenden Hand nachempfunden sind).
Letztendlich unterstützt das aber auch maßgeblich den angebrachten Comic-Faktor dieser eskapistischen Sommer-Sause, die sich trotz aller dramatischer Ernsthaftigkeit in Studio-gerechter Effektivität einer Poesie gewitzter Wortgefechte und visueller Gags bedient – zudem in ihrer ultimativen Aussicht nach Hoffnung in Spider-Mans Verteidigung der Menschheit, ähnlich einer ersehnten Zugabe beim ausverkauften Konzert, dem erneuten Comeback-Auftritt entgegenfiebert. Selbiges überträgt sich dann auch beim Zuschauer, der gezwungenermaßen mehr sehen will, jetzt wo der Film ihn doch Trailer-artig angeheizt hat, ohne tatsächlich eine profunde Geschichte erzählen zu müssen. Man kann sich keine bessere Kraft im harmlosen Unterhaltungskino wünschen, speziell was Prognosen auf den Kassenerfolg betrifft: Eskapismus in virtuoser Frische und emotionalisierten Gloss, voller stilechter moments of wonderment – und doch so simpel und gleichzeitig aufs Unwesentliche ausgewalzt, dass sich Adrenalin und Frust hinsichtlich dieser nichtssagenden 2 1/2 Stunden-Parade gegenseitig abwägen. Ein Konflikt der Sinnhaftigkeit, der durch den Unterhaltungsfaktor schon wieder wettgemacht wird.
Man darf sich zurecht fragen, wohin das alles, abgesehen vom Altbekannten, führen wird, aber genießen darf man es auch. Einfach mal wieder im Kinosaal mittanzen und mitsingen, propagiert der Film in seinem Teenie-charmanten, musischen Ehrgeiz. Naja … warum eigentlich nicht? Man sollte sich aber immer bewusst sein, dass dabei Abermillionen von unserem Geld perfekt-geplant von der Tanzfläche eingesammelt werden.
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