John Eleuthère du Pont (Steve Carell) liebt Vögel vielleicht mehr noch als Körper, die einander umkreisen, aneinander schlagen. Die Ornithologie erzählt ihm von den Schwingen und Kanten im Gefieder, wenn auch ebenso vom Abheben – und sie beobachtet dann noch mehr, als sie letztlich erzählen kann. Dafür schweigt sie immerzu. Wie du Pont selbst. Wenn er spricht, dann langsam, gefällig, bedacht. Als ob man ihn durch ein Fernglas beobachten würde. Als ob ihn jemand ausspähen könnte oder permanent unerwartet eine Kamera läuft, die seine Bewegungen einfängt. Die Vögel sind du Pont heilig. Aber heiliger noch als diese ist ihm Amerika, jenes Land der unbegrenzten Möglichkeiten, in der man höchstens selbst die Begrenzung ist. In Bennett Millers Studie zweier Beziehungen, die zu einem Bruder und die zu einem Mentor, wirkt du Pont als Verbindungsstrang zwischen beiden Ebenen und der Zerstörung dieser. So wie er ein Ornithologe ist, so ist er auch ein Conchologe; er studiert Schalen von Schalenweichtieren. Vielleicht regt ihn daher Wrestling besonders an. Vielleicht sieht er in Mark Schultz (Channing Tatum) ein Weichtier, welches er von seiner Schale befreien muss, damit es wirklich über sich hinauswächst.
„Foxcatcher“ heißt die Mannschaft, die du Pont schließlich für die Vereinigten Staaten zu den Olympischen Spielen in Seoul 1988 schicken will. Er lädt Mark zu sich auf sein Anwesen ein, zweihundert Hektar Land, es gibt nichts außer Natur, einer Trainingshalle und den Pferden von du Ponts Mutter (Vanessa Redgrave), die er jedoch nicht im Ansatz ausstehen kann, weil er ihren Sinn nicht begreift. Der Fuchs natürlich ist dort überall Symbol, man sieht ihn an den Wänden, den Tellern, Statuen. Er greift um, wenn man so will. Das Wrestling ist du Pont heilig, wie ihm die Vögel heilig sind. Wenn man sieht, wie Mark seinen Bruder Dave Schultz (Mark Ruffalo) umklammert, Mark seinen Kopf aggressiv in die Höhe reckt und aus Daves Nase beim Aufprall ein Blutschwall tropft, dann beginnt man zu verstehen, was diesen minderen Sport so ausdrücklich energetisch werden lässt. Es ist nicht nur die Wucht, es ist die Unzähmbarkeit, das Ausufernde und Treibende. Immer wieder implodiert im Schweiß auch etwas, weil diese ungewohnte Aggression ausbricht, wenn die Bewegungen fließen und die Welt um die Sportler stehenbleibt. John du Pont glaubt in Mark jemanden gefunden zu haben, der ebenso unfähig ist, sich zu artikulieren, der im Satz stockt, eine widersprüchliche Pause macht und der Erzählungen überdrüssig ist. Die einzige Erzählung des John du Pont ist die, dass er unbedingt gewinnen möchte. Die Tabula rasa ist in „Foxcatcher“ später zwingend, über sie wissen sollte man jedoch besser nichts. Aber sie ist inszeniert, als ob Miller das klassisch amerikanische Kino in Eastwood’scher Perfektion kochen lässt.
Gewiss zeigt Bennett Miller aber auch gehöriges Kalkül, seine Protagonisten in eben jener hoch analytischen Form tanzen zu lassen, die er in einem Aufbegehren für das Zahlenregime aus „Moneyball“ (ebenso ein wunderbar ungewöhnlicher Film über den Sport) entdeckte und hier nun nicht in ein Melodram überführt, sondern soweit arbeiten lässt, bis es eine Sinnsuche über den Wettkampf wird. Dabei droht „Foxcatcher“ in höchst amüsantem, unweigerlich spannendem Maße jederzeit zu kollabieren: Allein weil das amerikanische Gegenwartskino zur banalen Vereinfachung neigt. Miller aber erklärt wenig, er lässt sogar Steve Carell leicht abseits der eigentlichen Bildfläche ein psychologisches Konstrukt suchen, dass er mal in diesem obskuren du Pont findet und ihn mal umtriebig werden lässt. Als Mark in seinem Frust zusammen fällt, trimmt ihn danach sein Bruder auf dem Rennrad, die überschüssigen Pfunde rasch zu verlieren, damit er in der nächsten Runde antreten darf. Und du Pont bricht herein, eine hitzige Debatte entbrennt zwischen ihm und Dave, die man in der wilden Raserei Marks nicht hört, aber dennoch in der betont unterkühlten Bildsprache von Greig Fraser zu hören glaubt. Es ist nur Vorspiel. Aber die Sprachlosigkeit kennzeichnet diesen Film auch in erstaunlichem Maße: Sie ist verpflichtende Komponente. „Foxcatcher“ erstarkt dadurch, obwohl er du Pont in seinem Wahn nicht greifen kann. Stattdessen zwingt er, zu verstehen. Und weil man in ungeahnter Tragweite versteht, wird der Film zu aussichtslos schönem Kino.
Einmal, noch ganz zu Beginn, muss Dave überzeugt werden, Mark unter dem Regime du Ponts zu trainieren. Er weigert sich. Ob es um Geld ginge, will du Pont wissen. Mark meint darauf, dass Dave nicht zu kaufen wäre, dass er anders sei als er selbst. Wie Carell dort in die Leere blickt, wie er Mark im Unglauben für einige, für das zeitgenössische Kino sehr lange Sekunden fixiert, da sprudelt es seltsam aus „Foxcatcher“ heraus. Denn Bennett Miller schafft noch Film, der atmen kann und schlucken muss. Und wenn man sich bislang unsicher war, ob Miller nach der lustvollen Biografie „Capote“ (2005) und dem Baseball- wie Statistiker-Vehikel „Moneyball“ (2011) die dritte kohärente Geschichte über ein aus den Fugen fallendes Amerika stiften könnte, dem sei schließlich gesagt: Es sitzen noch Wunderkinder da draußen. Und Bennett Miller ist eines von ihnen.
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