Der Neorealismus ist einer der bemerkenswertesten Epochen der Filmgeschichte, allein weil er ein Ausdruck von währender Kunst in Zeiten der italienischen Diktatur unter Benito Mussolini ist. Der Faschismus unterdrückte das einfache Volk und filmische Unterhaltung definierte sich nicht durch realistische Abbilder, sondern durch sogenannte Telefoni-Bianchi-Filme, die eine Art Nachahmung amerikanischer Produktionen der dreißiger Jahre darstellten und weiße Telefone als Symbol für Bürgerlichkeit und Wohlstand konformistisch einsetzten. Im Gegensatz zum Nationalsozialismus gab es jedoch für Intellektuelle die Möglichkeit, sich künstlerisch zu äußern, aber dies in einer höchst ironischen Situationslage: Vittorio Mussolini folgte Ende der Dreißiger seinem Vater auf keinster Weise in die Politik, viel mehr interessierte ihn das Kino. Er war es, der Regisseuren wie Fellini, Rosselini und Visconti Rückendeckung gab, innerhalb der faschistischen Gleichschaltung des Konformismus. So entstand das Salotto, ein Salon für Filmschaffende – und die prägende Zeit des Neorealismo war geboren.

Luchino Viscontis Debüt „Ossessione – Von Liebe besessen“ wird häufig als eines der ersten Werke jener italienischen Strömung bezeichnet, offenbart es doch in höchst realistischem Sinne gesellschaftliche Probleme des faschistischen Italiens. Nach ein paar Vorstellungen wurde der Film prompt verboten, hinzu kam, dass „Ossessione“ eine freie Romanverfilmung von James M. Cains „Wenn der Postmann zweimal klingelt“ ist, wofür Visconti aber keinerlei Rechte besaß und weswegen das Verbot bis 1976 standhielt. Gleichzeitig gab es 1946 eine amerikanische Version von Tay Garnett, produziert durch Metro-Goldwyn-Mayer. Man kann sagen, dass Visconti den Roman auf clevere Art und Weise dazu benutzte, seine eigenen Ideen, seine Sicht auf Italien zu implizieren. Clever, da die Befugten keine negative Darstellung der Faschisten erwarteten, sondern eine dem Original ähnelnde Mordgeschichte.

Der Tramper Gino (Massimo Girotti) und die verheiratete Giovanna (Clara Calamai) verlieben sich ineinander, als sie zum ersten Mal aufeinander treffen. Ihr Mann Bregana ist einfältig und von massiver, physischer Präsenz, gemeinsam leiten sie ein Restaurant in einer ländlichen Gegend. Ginos Verbundenheit zur Straße wird mehrfach betont, durch Giovanna ergibt sich jedoch eine neue Ebene, die der Liebe, der Familie. Bregana hindert die Zweisamkeit der beiden allein durch seine Existenz, daher will Gino mit Giovanna das Weite suchen. Es prallen zwei Welten aufeinander, die sich beide suchen und abstoßen: Freiheit, Spontanität, Ungezwungenheit, aber auch Unsicherheit und Mittellosigkeit kollidieren mit Tradition, Familie, Pflicht, Heimat, Sicherheit und Stabilität. Giovanna weiß um Ginos Liebe zur Straße und erkennt die Instabilität des Vorhabens, weswegen sie sich dafür entscheidet, bei ihrem Mann zu bleiben.

Visconti baut immer mehr Parallelen ein, seine Filmsprache drückt in wunderschönen Fahrten und Einstellungen in tiefsinniger Weise eine Einheit von Schauspieler und Set aus. So entscheidet sich Giovanna erst gegen Gino, als sie sich beide schon auf der Landstraße zur „Freiheit“ befinden. Sie treffen aber später wieder aufeinander und planen den Mord an Bregana, um ihre Liebe endlich ausleben zu können. Die Probleme sind bisher nur auf Beziehungsebene entstanden, doch der Hintergrund der Figuren deutet darauf hin, dass sie in diesem Konformismus determiniert sind und eine Katastrophe unausweichlich ist. Die arme Giovanna wurde einst von Bregana aufgenommen, wird aber selbst als seine Frau von ihm wie eine dienende Sklavin behandelt. Nach dem Mord ist die erwünschte Flucht aus der festgefahrenen Situation nicht geglückt; im Gegenteil: Gino will mit Giovanna den von Bregana bewohnten Ort verlassen. Doch wieder scheitert das Paar an den verschiedenen Grundbedürfnissen. Daher kann dieser Idealzustand nicht erlebt werden, viel zu viele Probleme schießen durch die Idylle.

Visconti fädelt die Beziehungsgeschichte in die von den Faschisten geprägte Zeit ein, er sieht Mord, Betrug und Voyeurismus als eine Konsequenz der ungleichmäßig verteilten Gesellschaft, welche die Protagonisten letztendlich in die Katastrophe stürzt. Von den Faschisten beschlagnahmt und vernichtet, hätte „Ossessione“ beinahe nie wieder bestaunt werden können, doch Visconti gelang es, ein dupliziertes Negativ zu behalten.

Meinungen

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