Ein bärtiger, zerzauster Jim Morrison steht am Straßenrand und wartet auf eine Mitfahrgelegenheit. Endlich hält ein Wagen und nimmt ihn mit. Im Hintergrund hören wir nur ein leises Surren, eine verzerrte Gitarre. Kurz darauf sitzt Jim selbst am Steuer. Ein surrealer Moment, denn im Radio verkündet der Moderator gerade den Tod von Jim Morrison. So beginnt Tom DiCillos Dokumentarfilm „The Doors: When You’re Strange“ aus dem Jahre 2010 mit Szenen aus Jim Morrisons eigenem Film „HWY: An American Pastoral“ und dem Tod des Rockstars. Der amerikanische Regisseur DiCillo vermischt die Ebenen der Wahrnehmung. Er kreiert eine beeindruckende Collage aus Archivmaterial. Kein Geringerer als Johnny Depp leiht dem Film seine Stimme. Als Erzähler begleitet er die Originalbilder.

Dabei beschränkt er sich nicht nur auf die Lebensgeschichte des „The Doors“-Frontmannes und seiner Band, sondern spannt den Bogen weiter, indem er den Film zu einem Stück Zeitgeschichte werden lässt. USA in den sechziger Jahren: Ein Land im Umbruch, zwischen Vietnamkrieg und sexueller Revolution. Abgründe eines Jahrzehnts. Und mittendrin eine Band, die Geschichte schreibt. Es gibt sie nur 54 Monate lang. Doch in dieser kurzen Zeit werden sie zum Sinnbild einer Generation. Aber vor allem ist es deren Sänger, der immer wieder Schlagzeilen macht. Er hat viele Gesichter, ist zugleich introvertierter Poet, Exzess liebendes Sexsymbol, drogensüchtiges Musik-Genie. Ein Mythos. Das „The Doors“-Lied „People Are Strange“, welches DiCillos Dokumentarfilm seinen Titel gibt, erklärt in seinem Refrain: „When you’re strange. No one remembers your name“. Jim Morrison bestätigt jedoch das Gegenteil. Sein Name ist noch längst nicht vergessen.

„The Doors: When You’re Strange“ versucht neutral zu bleiben, den Mythos Jim Morrison nicht zu verherrlichen, sondern Persona und Zeit kritisch zu betrachten. Die Schwierigkeiten, mit denen die Band konfrontiert wurde, werden immer wieder hervorgehoben. Interne Konflikte und Stolpersteine von außen. Jim Morrisons innere Unruhe wird dabei zum Leitmotiv. Sie zieht sich wie ein melancholischer Schleier durch den gesamten Film. Der Ruhm, der Erfolg der Band wird mit den Schattenseiten kontrastiert und in einen gesellschaftlichen und politischen Kontext gestellt, ohne dabei den Zeigefinger zu heben. „The Doors: When You’re Strange“ ist keine Hommage an eine vergangene Zeit. Keine Verehrung eines Heiligen.

1991 wagte sich bereits Oliver Stone an den Mythos Jim Morrison. Mit seinem Biopic „The Doors“ verfilmte er das Leben des Sängers und besetzte die Hauptrolle mit Val Kilmer. Es dauerte also knapp zwanzig Jahre, bis sich ein zweiter an diesen Stoff wagt und sogar einen Schritt weitergeht, indem er eine historische Dokumentation inszeniert und ausschließlich mit Archivmaterial arbeitet. Nachrichtenbilder, Szenen aus „HWY“, Konzertaufnahmen. Immer wieder steht vor allem die Musik im Vordergrund. So gibt es fast jeden „The Doors“-Hit zu hören oder sogar zu sehen. Ein Frontmann im Rausch, eine Band im Rausch, eine Generation im Rausch. DiCillo schafft es, eine nachdenkliche Geschichte zu erzählen. Die Geschichte eines paradoxen Künstlers, und seiner Band: a stranger with a soul torn between heaven and hell.

„The Doors: When You’re Strange“ endet, wie er begonnen hat – mit dem Tod von Jim Morrison. Der Rahmen schließt sich. Es ist das Jahr 1971: Die Welt trauert um den nur 27-jährigen Rockstar, der in einer Pariser Wohnung tot aufgefunden wurde. Eine Ära geht zu Ende. Während Johnny Depp dem verstorbenen Jim ein paar letzte Worte widmet, sieht man den Rockstar noch einmal auf der Leinwand. Ungewohnt glücklich verbringt er einen Urlaub mit den Bandkollegen auf einem Segelboot. Sonnenstrahlen reflektieren in den Brillen, die Stimmung ist fröhlich. Ein seltenes Moment Freiheit.

Meinungen

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