Wunderbar klares Wasser, in einem intensiven Türkis. Der Traum vieler: Willkommen im Paradies. Der Augenblick hält jedoch nicht lange an. Schnell taucht die Kamera aus diesem farbintensiven Wasser auf und distanziert sich langsam. Richtung Himmel. Aus der Ferne lässt sich dann erkennen, dass es sich nur um einen kleinen Pool vor einem ganz einfachen Haus gehandelt hat. Keine Südsee-Oase, kein weißer Sandstrand. Alles nur Illusion. Dennoch ist dieser Pool gar nicht so banal. Es handelt sich dabei um ein Becken in einem Becken, einer künstlich angelegten Flusslandschaft: Discovery Bay. Eine Wasserstadt in Kalifornien. Wasserzungen schlängeln sich durch die trockene Gegend und lassen eine neue Wohn-Oase entstehen. Entlang dieser Flussläufe reiht sich ein Haus an das andere. Eine Version des amerikanischen Traum vom ‚perfekten‘ Leben, where anything goes? Die Filmemacherin Jennifer Baichwal und der Fotograf Ed Burtynsky erforschen in ihrem neuen Dokumentarfilm „Watermark“, wie sich Mensch und Wasser gegenseitig beeinflussen, ergänzen und gar zerstören.
„Water, water everywhere” schrieb einst der englische Lyriker Samuel Taylor Coleridge in seinem Gedicht „The Rhyme of the Ancient Mariner”. Ob Traum oder Fluch. Immer wieder sucht der Mensch – der ja selbst zu mehr als 70% aus Wasser besteht – die Nähe zum Wasser. Ein Haus am Meer, am See. Die Ruhe finden in der Natur. Das ist ein Traum vieler. Endlich dem Stress zu entfliehen und ein Leben in Ruhe und Abgeschiedenheit genießen zu können – frei von allen Sorgen. Doch werden wir immer wieder daran erinnert, dass diese Idylle auch schnell zur unberechenbaren Katastrophe werden kann. Hurrikan Katrina 2005 in den USA. Der Tsunami 2004 in Thailand. Immer wieder holt uns die Realität ein. Jennifer Baichwal und Ed Burtynsky sparen diese Ereignisse dagegen völlig aus und nähern sich dem Thema von einer ganz anderen Seite und verweisen nur ganz subtil auf die Zerstörung der Natur durch die Menschen. Im Mittelpunkt von „Watermark“ steht die Schönheit der Natur. Ihre Vielfalt. Ihre unendliche Weite. Ihre Faszination. Das Element Wasser wird dabei zur zentralen Metapher. Es steht für Leben und Glück, Hoffnung und Zuversicht – aber auch für Kraft und Zügellosigkeit. Um diese Palette abbilden zu können, arbeiten Baichwal und Burtynsky häufig mit Kontrasten. Während in einem Moment braune Schlamm- und Wassermassen von einer Seite zur anderen preschen, erscheint einen kurzen Augenblick später – nach einem harten Schnitt – ein völlig ausgetrocknetes Flussbett. Die ehemaligen Ausläufe des Colorado River in Mexico. Einst eine grüne Oase, jetzt nichts mehr als dürre Wüstenlandschaft. Wo ist nur all das Wasser hin? Ins Nirgendwo. Von Menschenhand umgeleitet. Für irgendwelche landwirtschaftlichen Zwecke abgezweigt. Zurück bleibt ein braches Land und ihre hoffnungslosen Bewohner.
Baichwal und Burtynsky arbeiteten drei Jahre lang an diesem Dokumentarfilm. Gemeinsam mit ihrem Kameramann Nicolas de Pencier sammelten sie beeindruckendes Bildmaterial und reisten in rund zehn Länder. Es entsteht eine konstrastive Hommage an das Element Wasser: Panoramaaufnahmen aus ihrer Heimat Kanada, die die wunderbaren Farbwelten der Rocky Mountains zeigen. Aber auch das ferne Asien spielt eine zentrale Rolle. In China begleiten die Drei den Bau eines gigantischen Staudamms. Aus der Ferne und der Nähe. Die ganze Wucht dieses Betonwalls. Von uns Menschen errichtet, um gegen die Kraft des Wassers anzukämpfen. Tief unten im Bett des noch leeren Damms fegen sie, die Menschen, sie schrauben, sie reparieren und sie planen. Es ist ein monumentales Projekt. Der komplette Umfang dieses Damms wird erst gegen Ende sichtbar. Im Zeitraffer füllt sich das Becken langsam. Die Mauer steht. Ein künstlicher See ist entstanden. Langsam entfernt sich die Kamera. Man sieht nun einen Mann, der ein kleines Motorboot steuert und sich gemeinsam mit uns vom Staudamm distanziert. Im Hintergrund bleibt er, der Damm, und wird immer größer statt kleiner, bis er schließlich endlich ganz auf der Leinwand zu sehen ist. Der Mensch und sein Größenwahn.
Wie grotesk und absurd diese Beziehung zwischen Mensch und Natur sein kann, erzählt „Watermark“ mithilfe verschiedener Mittel. Aus der Vogelperspektive werden abstrakte, mosaikartige Momentaufnahmen und Fotografien von Ackerflächen in den USA präsentiert. Sie erinnern vielmehr an ein klassisches Stillleben in der Kunst. Farbenpracht und Formenvielfalt. Irgendwie von einem anderen Stern. Natur, die zur Kunst wird. Doch nur wenige Augenblicke später wird man in die Realität zurückgeholt und kann asiatische Touristen dabei beobachten (Achtung: Klischee!), wie sie vor den gigantischen Wassermengen aus den Schleusen des Xiolangdi-Staudamms am Huang He in China Familienporträts schießen, um dieses Naturspektakel festzuhalten. Eine absurde Vorstellung. Und doch ganz normal. Natürlich möchte man dieses Erlebnis mit möglichst vielen Menschen teilen, vor allem den Daheimgebliebenen. Faszinosum Wasser, ein Geschenk des Weltalls. Unendlich ist die Begeisterung für dieses Element. Sie findet ihren Höhepunkt in Indien. 30 Millionen Hindus pilgern hier alle zwölf Jahre an den Ganges, um sich dort von ihren Sünden zu reinigen. In völliger Ekstase waschen sie sich, baden sie und hoffen, auf Vergebung. Wasser, Wasser überall.
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