Da ist es nun also: jenes Dokumentations-Feature, welches bei den diesjährigen Academy Awards solch aufregende Kandidaten wie „The Act of Killing“, „Dirty Wars“, „The Square“ und „Cutie and the Boxer“ in der Gunst der Juroren überragte. Dabei ist es gar nicht mal allzu schwer, nachzuvollziehen, warum der verhältnismäßig harmlose „20 Feet from Stardom“ den Oscar gewann (abseits der Nachwehen eines „Searching for Sugar Man“), beherbergt er doch ein beherztes Porträt von einer gewissen Art Underdogs, den mehr oder weniger populären Background-Sängerinnen Amerikas. Sie stehen immer etwas hinter dem Rampenlicht, dienen der Unterstützung ihrer Frontmänner (eine der wenigen Ausnahmen: Sheryl Crow) und glänzen durchgehend mit einem Talent, welches dennoch nur bewusst die zweite Geige spielt (da Musik nun mal so als Einheit funktioniert).
Diese Unterordnung kennen die meisten der hier porträtierten Künstler noch aus dem Kirchenchor und jene Gospel-Artigkeit schlägt sich ebenso in den von ihnen begleiteten Werken des 20. Jahrhunderts nieder, welche in den vielfältigen Genre-Varianten des Rock ’n’ Roll immer eine gewisse Verbindung zur afro-amerikanischen Kultur aufzeigten. Dies untermauert Morgan Neville in seinem Film mit reichlich routiniert aneinander montierten Talking Heads und Archivaufnahmen von international bekannten Musikgrößen, welche die Wichtigkeit ihrer Mitsängerinnen betonen und auch reichlich heitere Anekdoten vom Stapel lassen.
So agieren dann auch die zentralen Subjekte dieser Dokumentation: Etablierte, unterstützende Talente wie Darlene Love, Lisa Fischer, Merry Clayton und Táta Vega berichten mit leichtherziger Lockerheit von einzelnen Meilensteinen der modernen Musikgeschichte, an denen sie mit voller Kraft mitgewirkt hatten. Trotz ihrer fantastischen, hörbaren Erzeugnisse war es allerdings nur wenigen vergönnt, eine Karriere im Rampenlicht zu erleben. Betrachtet man dazu den zeitgeschichtlichen Rahmen, besitzen diese Umstände auch einen politischen Faktor – woran der Film uns auch durchgehend erinnert. In Zeiten des gesellschaftlichen Umbruchs und der Emanzipation der schwarzen Bevölkerung in den USA wollten sich die Stimmen der im-Schatten-Verbliebenen ebenso allmählich Gehör verschaffen, was auch nur rechtens ist, so wie jene Musik sich dem Talent und der Kultur derer bedient. Jedoch war einerseits der Unmut in der Industrie eine schwer zu meisternde Hürde, andererseits aber auch der innere Schweinehund, um aus den gängigen Gruppenmustern auszubrechen und mit einem gewissen Ego nach vorne zu preschen – innere Konflikte, die bis heute jene Künstler begleiten. Doch wie immer es um einen steht: Hauptsache, man bleibt engagiert am Ball und macht das, was einem das Herz erfüllt. In diesem Fall gilt also: Musik, Musik, Musik.
Dass insofern nicht allzu viele kritische Aspekte jener Profession und Industrie angepackt werden, ist leider die ernüchternde Krux dieser Dokumentation. Wie schon aus zahlreichen ähnlichen Produktionen über die großen, popkulturellen Künstler unserer Zeit (siehe MTV Masters), erhält man lediglich größtenteils glatt gebügelte Berichterstattung vergangener Ären, voller Enthusiasmus für die Kunst und den Spaß am Musikmachen – mit all den Berühmtheiten, über die hier so gerne Auskunft gegeben wird, als wäre man beim gehobenen Kaffeetratsch. Im Grunde feiern sich die Beteiligten nur gegenseitig ab und erinnern sich hauptsächlich an Zufriedenheit, Harmonie und Wunschträume (beste Beispiele: der teils todschweigende, romantisierte Umgang mit kontroversen Persönlichkeiten wie Phil Spector und Michael Jackson). Erträglich werden solche eigentlich belanglose Retro-Schwelgereien durch jene launigen Interviewpartner, welche mit einer gewissen, bescheidenen Weisheit auf ihre Karriere zurückblicken können und sich trotz aller widriger Umstände immer wieder aufgerafft, durchgehalten haben, nach Spaß und persönlicher Erfüllung strebten.
Allerdings erlebt man dabei auch keinerlei wirklich gescheiterte Existenzen. Diese können ja offenbar gar nicht erst entstehen, vertrauen jene Background-Sänger doch noch immer auf Gott oder eben das Nächstbeste, den Frontmann – Arbeit gab und gibt es in der Branche immer noch genug und alle machen willig mit. Dass der Drang nach dem ersten Platz auf der Bühne dennoch jeden in eventueller Verzweiflung antreibt, gehört sicherlich zum Wesen des künstlerischen Ausdrucks und des American Dream dazu – jeder will ein Star sein, doch man kann auch zufrieden sein mit seiner Kraft aus der zweiten Reihe. Folge deinem Traum, aber auch deinem Paycheck. Eine recht konventionelle Konsequenz in Sachen Selbstständigkeit. „20 Feet from Stardom“ will nun mal nicht mehr sein als eine versöhnliche, leichte Anerkennung musikalischer Talente mit Hintergrundfunktion. Zudem stellt er auch ein Beispiel für jene Motivationsfilme im Fahrwasser der Obama-Welle dar, welche das Selbstbewusstsein der afro-amerikanischen Gemeinde zu stärken gedenken – siehe ebenso Lee Daniels „The Butler“ und Oscar-Preisträger für den besten Film 2014, Steve McQueens „12 Years a Slave“.
Ob jene zeitgeschichtlichen Verknüpfungsversuche des Films insofern nicht schon wieder zu viel des Guten sind – wo selbst Background-Gesang zum Befreiungskampf der Black Pride erhoben wird – sei mal dahingestellt. Fakt ist jedenfalls, dass Regisseur Neville und seine beschwingten Befragten nur ihre künstlerischen Ambitionen freilegen wollen und daher darauf verzichten, irgendetwas Bedeutendes zu erzählen, außer der Glaube an einen selbst und die Magie musikalischer Kunst. Das ist nobel, das ist aufrichtig und erbauend – als Film leider nur schon allzu oft da gewesen und trotz aller inszenatorischer Kurzweiligkeit und Erzählfreude über vergangene Zeiten eine größtenteils belanglose Angelegenheit mit einem dramaturgisch flach gehaltenen Spannungsbogen. Damit arbeitet er aber im Grunde genauso wie seine ins cineastische Rampenlicht gerückte Schützlinge: In seiner funktionellen Wirkung macht er einen passablen und harmonischen Eindruck, die wahren Größen des Dokumentarfilms haben aber weit spannendere, menschliche Geschichten zu erzählen. Nicht jeder ist nun mal zum Star geboren und damit hat sich auch der Film zufriedengegeben. Dass er dennoch einen Oscar mit nach Hause nehmen durfte, wirkt daher gut gemeint, wenn auch eher aus Mitleid geschehen. Wenn’s hilft …
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