Mehr oder weniger freiwillig schließt man sich unter der unbarmherzigen Führung von Ulrich Seidl in eine provinzielle Unterwelt versteckter Perversionen und Obsessionen, ausgelebter Machtfantasien und auch psychischer Verstörungen ein, denn Im Keller“ herrscht moralische Gesetzlosigkeit im Sinne extremer Selbstgefälligkeiten. Mit stummer Statik wird sich dabei an horrible Bilder eines zeitlosen Alltags geklebt, bei dem man sich wünscht, das eingebaute Neon-Licht würde versagen, damit man es nicht alles mit ansehen müsste. Fluchtmöglichkeiten sucht man als Zuschauer ohnehin vergebens wie das unwissende Meerschweinchen bei der Schlange im Gehege. Im freiförmigen, teils episodenhaften Porträtieren österreichischer Eigenbrötler und vor allem sexuell aktiver Pärchen drückt Seidl nämlich mit dringlicher Gestaltung, selbst im relativ umfangreichen Schnitt zwischen den Szenarien, ein beständiges Gefühl des Gefangenseins aus – sogar dezent plump bis hin zu einem wahrhaftigen Käfig visualisiert. Verschärft wird dies anhand allmählich stattfindender Offenbarungen, welche den Zuschauer vor noch kommenden Eindrücken und Persönlichkeiten, die jene Protagonisten aus ihren geheimen Ecken hervorholen könnten, fürchten lassen.

Der schon lang von Seidl angewandte semidokumentarische Stil findet hier zwar auch seine Anwendung und mag bei manch unwahrscheinlicherem Extrem womöglich präsent sein, aber umso ungewisser bangt man dann beim Gezeigten – das ist sich der Regisseur mit einem gewissen Hang zum Shock-Value durchaus bewusst. Die Verwendung des Kellers als Hobby-Schauplatz ist ja auch ein komplett nachvollziehbares und daher hier stark involvierendes Konzept. Diesen wie zum Beispiel im Film dargestellt als Schussanlage zu benutzen, ist somit keine irreale Vorstellung, doch in der Konstellation mit den anderen präsentierten Verwendungszwecken zeichnet sich unweigerlich ein beängstigendes Bild brodelnder Soziopathie ab, die hier wohl oder übel noch ihr Ventil findet. Meist behelfen sich Vertreter der Männlichkeit, allesamt älteren Jahrgangs, gleichsam steinernen – auch uninformierten oder herrischen – Idealen und Ikonen, die von der Gesellschaft schon größtenteils abgelegt wurden, aber hier noch in kleinsten Zellen weiterleben. Ihre obsessiven Bewunderer unterziehen sich dabei einer Verblendung; erkennen nicht an, dass sie Verlebtes, Abgründiges, Leichen unter Dole-Kartons romantisieren. Nostalgie und Euphorie für Triviales sind menschliche Grundeigenschaften, aber selten erreichen sie einen derartigen Anteil an Morbidität.

Im Verlauf bleibt die Stimmung – zwischen musikalischen Ambitionen und politischen Theorien – zwar angespannt, aber dazwischen bleibt immer noch Raum für die vergleichsweise freundliche Tristesse einfacherer Leute mit ihrer einfältigen Praktikabilität des Kellers als bloßen Waschmaschinenhort oder langweiligen Partyraum. Jugendliche nutzen ihn höchstens noch unschuldig für Bandproben, aber der verbindende Faktor des Treffpunkts Keller bleibt auch da bestehen. Noch mal in unterhaltsamere Gefilde wird man dann mit sadomasochistischen Spielereien verschiedener Paare geführt, die ihre Praktiken in der Liebe und Zuneigung für ihr Gegenüber (oder auch fürs Hobby) gründen. Die leben sie mit Genitalfolter und Unterwerfungston ebenso kompromisslos im Untergeschoss aus wie die finstereren Gesellen dieses Films ihr Sujet, präzisieren diese jedoch als gemeinsame Leidenschaft und münden dabei vor allem mit Lebhaftigkeit in die Ekstase. Das besitzt trotz stets uriger Gestalten nun mal eine jüngere Frische; aber selbst diese Kellerkultur als versteckter Ort der Glückseligkeit birgt wie auch alle anderen Ausprägungen ihrerseits gleichsam soziale Engpässe, die sich ebenso verzahnen könnten wie der Würgegriff der Schlange am Genick ihres Opfers.

Diese Bewertung erfolgt aber auch zwangsläufig aus dem manipulativen Blickfeld Seidls, das den dokumentarischen Ansatz des Themas und dessen scheinbar freiwillig eingedrungene Akteure zwar authentisch beisammenhält, in seiner still hingenommenen Inszenierung jedoch trotz verstörender Wirkung zum Hinterfragen der Wahrhaftigkeit einlädt. So entsteht unweigerlich eine Tendenz zur Bedrängnis in narrative Extreme, in drastische Schauwerte, die auch immer wieder zwischendurch auftauchen und offensichtlich mit der Moral jonglieren, wenn man glaubt, das Schlimmste sei ausgestanden. Man merkt, dass Seidl wie seit jeher nicht umhin kann, eine eher kritischere Menschenkenntnis anpacken zu wollen und sie entsprechend einschlagend zu montieren. Doch dafür bringt er die potenzielle Ungewissheit zu den Mitmenschen und ihren Geheimnissen noch immer spannend zum Vorschein, selbst in asketischer Ermattung und Objektivität seiner filmischen Mittel, die eine geradezu selbstverständliche Auflösung der Privatsphäre zur Wahrheitsfindung in Kauf nehmen (und fordern). In jener stilistischen Starr- und Offenheit fühlt man die Manifestation einer psychotischen Wurzel aus dem jeweiligen Menschen heraus aber auch ärger, je enger die Wände zusammenrücken und kaum Licht rein lassen – außer durch meist zwei obere, nebeneinandergelegene Schlitze, die mit den darunter befindlichen Heizungen eine fast teuflische, endlos beobachtende Fratze ergeben. Horror ohne Ausweg, dieser freiwillige seelische Käfig. Wenn auch etwas merklich auf Kalkül gebürstet.

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