Aus dem Land der aufgehenden Sonne kommt diese düstere Satire, welche sich mit einem besonders einheimischen Thema, der Ambivalenz zur Atombombe, auseinandersetzt. Der Titel zum Film an sich vermittelt daher auch bewusst weniger eine apokalyptische Schlagzeile als eine Ablenkung davon, dass man das Atom für die Sonne, für die Chance zum Aufstieg in der Weltordnung sieht – doch hinter diesem Glanz verbirgt sich auch bekannterweise der Tod. Diese kritische Haltung dürfte im internationalen Rahmen des Wettrüstens nicht so angenehm aufgenommen worden sein, weshalb Kazuhiko Hasegawas Werk auch kaum außerhalb Japans aufgeführt wurde. Dabei stellt es bis heute einen derartig effektiven Weckruf dar, den höchstens noch der ebenfalls aus dieser Problematik geborene Godzilla so präzise erzeugen kann: Die Bombe tickt schon bereits vom Vorspann an und fliegt zum Schluss hin wie prophezeit in die Luft.
Da der Film größtenteils von Paul Schraders Bruder Leonard geschrieben wurde, bekommen wir es nämlich auch hier mit einem Anti-Helden im Fokus der Geschichte zu tun, der in seinem anarchischen Handeln ähnlich soziopathisch, wenn auch noch viel radikaler vorgeht als Travis Bickle in „Taxi Driver“: Der junge Chemie-Lehrer Makoto (Kenji Sawada) aus Tokio, allzeitig mit einem frechen Kaugummi im Mund, plant den Raub von Plutonium aus seinem örtlichen Kraftwerk, um sich daraus in seinem chaotischen Unterschlupf einer mittelmäßigen Hochhauswohnung eine Atombombe zusammenzubasteln. Jene Maßnahme gründet sich keineswegs auf einem Rachegedanken an der Regierung oder der Gesellschaft seinerseits, vielmehr auf seinem selbstgefälligen Egoismus. So legt er auf seinem Fußboden die Flaggen der acht internationalen Staaten aus, die im offiziellen wie auch inoffiziellen Besitz der Atombombe sind und bezeichnet sich daher selbst provisorisch als Nummer 9.
Er ist dennoch augenscheinlich ein Vertreter des Mittelstandes, der Ausdruck eines jungen Japans, das mit den globalen Verhältnissen mithalten, dieselbe Macht besitzen möchte. Die verheerenden Ausmaße jener Atomkraft, unter anderem am Beispiel der eigenen Vergangenheit, scheinen ihm nicht bewusst zu sein – was gewissermaßen nachvollziehbar ist, wo die Bürger Japans doch im progressiven Wandel der Zeit relativ unbedarft Seite an Seite neben radioaktiven Kraftwerken zum Zwecke der Selbsterhaltung hausen. Wie einfach es dann auch für Makoto ist, sich mit den Eigenschaften des Atoms vertraut zu machen und an die Anleitungen zum Bau einer dementsprechenden Bombe heranzukommen, da diese ja ohnehin frei erhältlich sind. In diesem daraus resultierenden Leichtsinn gestaltet sich sein verschmitztes und exakt-durchgeplantes Eindringen in die Höhle des Löwen, dem Energiekern des Kraftwerkes, sodann eher als aufregendes Spionage-Abenteuer inmitten futuristisch-aufleuchtender Kulissen, in welchem er seine Widersacher so einfach niederschießt, dass auf dem Soundtrack Töne vom Videospiel „Space Invaders“ erklingen – während die musikalische Untermalung durchgehend leichtherzig mit symphonischem Groove agiert. Dies alles geht natürlich ausschließlich einher mit Makotos eigener Wahrnehmung, da überzeichnet der Film bewusst seine jugendliche Romantisierung des kriminellen Aktes.
Wer sich an Stanley Kubricks „Dr. Seltsam, oder wie ich lernte, die Bombe zu lieben“ (1964) erinnert, hat sodann sicherlich keinerlei Berührungsängste mit der darauffolgenden Visualisierung von Makotos Verhältnis zum gestohlenen Plutonium und was er daraus entstehen lässt. Da liegt die Metallsäule, welche das radioaktive Material umhüllt, neben ihm, wie eine Geliebte umklammert, im Bett und wird sodann auf die Geburt der Bombe vorbereitet, als Makoto seine gesamte Wohnung in einen abgeschirmten Brutkasten mit Schutzummantelung umfunktioniert. In detaillierter Methodik, eines Jean-Pierre Melville nicht unähnlich, präsentiert Regisseur Hasegawa darin die minutiösen chemischen und physikalischen Maßnahmen zur schweißtreibenden Entstehung der Massenvernichtungswaffe im Eigenheim, die fortan von Vater Makoto liebevoll als Baby bezeichnet wird und welche er auch als schwangere Frau verkleidet erstmals der Öffentlichkeit preisgibt. Dabei gibt er der Polizei aber auch einen Tipp zum Aufenthalt einer seiner ungefährlicheren Bomben, damit sie ihn wirklich ernst nehmen, aber auch um mit dem Kommissar Yamashita (Bunta Sugawara) in Kontakt zu treten.
Diesen kennt Makoto noch von einer früheren Aktion, als ein verrückter alter Kriegsgeschädigter einen Bus mit seinen Schülern drin als Geiseln nahm, um damit eine Aussprache mit dem Kaiser von Japan zu erzwingen. Die Geiselnahme konnte letztendlich von Makoto und Yamashita beendet werden, weshalb beide als Helden gefeiert wurden und seither eine gewisse kollegiale Verbindung zueinander genießen. Yamashita repräsentiert dabei als Beamter, der schon seit dreißig Jahren im Dienst steht und daher noch gewisse Erfahrungen mit der Zerstörungskraft der Atombombe gemacht hat, das ältere vorsichtigere Japan, welches noch mit kritischer Ehrfurcht an das brisante Thema des Films herangeht (weshalb er bei jener Befreiung der Geiseln vom Kriegsgeschädigten auch aufopferungsvoll eine Kugel in Kauf nahm) – die daraus entstehende Dualität beider Gesinnungen wird sodann zum spannungsgeladenen Zentrum des Narrativs, als Makoto mit verstellter Stimme Forderungen an Yamashita (welcher als Korrespondent für die Regierung agiert) stellt.
Dabei testet Makoto zunächst aus, wie weit seine Macht gehen kann, indem er die Verlängerung der nationalen Baseball-Übertragungen über das siebte beziehungsweise achte Inning hinaus verlangt, weil es seiner Meinung nach doch gerade dann erst so richtig spannend wird. Die Entscheidungsträger gehen aufgrund ihrer natürlichen Furcht vor der unberechenbaren Bombenkraft auf seine Forderung ein, weshalb er anfängt, wie ein Kleinkind durchs Zimmer zu springen und mit seinem explosiven Findelkind wie mit einem Fußball herumzuspielen. Sodann stellt sich ihm aber auch die Frage, was er sich noch alles wünschen würde und da ihm nichts einfällt, wendet sich Makoto an die junge, hippe Radio-DJane Zero Sawai – welche aufgrund ihrer Sensationslust Gefallen an dem Gedanken eines rebellischen Bombenbauers findet und daher ihre Hörerschaft befragt, was man mithilfe der Bombe alles verlangen sollte. Dabei öffnet sich ein Spektrum an unbedachten und reaktionären Meinungen, welche neben infantilen und nationalen Wunschvorstellungen schließlich am Stärksten lediglich das belanglose Verlangen hervorbringen, die Rolling Stones als Ventil jugendlicher Eigensinnigkeit endlich mal in Japan live auftreten zu lassen (was bisher wegen deren Drogenbesitz nicht genehmigt wurde).
Da dies scheinbar auch in die Realität umgesetzt wird, sucht Zero in ihrer Faszination zum geheimnisvollen Terroristen die emotionale Annäherung zu Makoto, da dieser mit seiner Macht einen Traum von unbegrenzter Freiheit in ihr erweckt hat, der sich von den alten Konventionen entfernen möchte und stattdessen der Selbstbestimmung huldigt. Die törichte, verklärende Fantasie eines jungen Volkes, das es einfach nicht besser weiß – Hasegawa, selber ein Nachkriegskind, übt da durchaus Kritik an seiner eigenen, leichtsinnigen Generation und mahnt mit schwarzhumoriger Ironie zur Vorsicht. Ob sein Film dabei aber eine konservative Absicht einnimmt, darf zurecht bezweifelt werden, so intensiv er sich doch hauptsächlich mit seinen jungen Protagonisten beschäftigt und aufzeigt, wie wenig Aufklärungsarbeit und Beschäftigung mit der jüngeren Generation von Seiten der Alten aus getätigt wurden, welche sich zudem mit der Atomkraft als Energiequelle bequemen können, aber deren Missbrauch als Waffe verängstigt ignorieren. Kann man es da dem zeitgenössischen Volk verübeln, dass es den Bombenbauer als neuen Propheten ansieht? Erst recht, als dieser eine halbe Milliarde Yen mithilfe der Polizei über der Stadt ausfliegen lässt und somit scheinbar als eine Art Robin Hood der Bevölkerung übergibt?
Die Hintergründe jener Taten sprechen jedenfalls eine andere Sprache. So wollte Makoto das Geld eigentlich für sich alleine haben, um seine Schulden abzuzahlen. Da sein Körper jedoch aufgrund der Radioaktivität, derer er sich trotz aller Vorzeichen (der Tod seiner Katze durch das Einnehmen von atomaren Splittern) freiwillig ausgesetzt hat, allmählich zerfällt, hat er ohnehin nichts mehr zu verlieren. Als dann auch noch seine neue Liebe Zero dabei zugrunde geht – nachdem beide bei ihrer naiv-freimütigen Outlaw-Flucht vor der Polizei à la Bonny & Clyde ein sensationelles Spektakel für die exklusive Berichterstattung ihres Senders entfachen und dabei sogar einem Hal Needham gerecht werden dürften – sieht Makoto einen seelischen Trümmerhaufen vor sich und entscheidet sich in letzter Konsequenz zum kaltschnäuzigen Selbst- und Massenmord seiner verblendeten Jünger. Nicht aber ohne noch einmal sein ideologisches Gegenstück Yamashita zu stellen, dem er sodann auf dem Dach eines Wolkenkratzers gegenübersitzt. Um sie herum steht ganz Tokyo und in dem Sinne auch ganz Japan – die Kamera zoomt in die Häuserschluchten hinein, während zwischen den Beiden der ungemein angespannte Konflikt argumentativ ausgetragen wird. Worte können da nicht mehr helfen und so greift Yamashita zur Gewalt, die er mit weiteren Kugeln bezahlen muss. Er denkt jedoch nicht daran, zu sterben und kämpft hartnäckig um die Macht über die Atomkraft – selbst wenn beide beziehungsweise ganz Tokyo dabei draufgehen müssen.
Ein derartiger Widerstand und Fatalismus hinterlässt seine Spuren: Makoto und sein Baby, die Bombe, überleben den freien Fall – doch eine Einsicht ist mitnichten geschehen, eher wurden sie nochmals härter und starrköpfiger von der Haltung der alten Generation abgestoßen. Und so kaut Makoto weiterhin unbeeindruckt seinen Kaugummi inmitten der bevölkerten Straßen, als seine Bombe endgültig aufhört zu ticken. Ein durchaus finsterer, wenn auch folgerichtiger Schlusspunkt für Hasegawas Sozialsatire, die zwar nie auf platt-ulkige Gags oder Situationskomiken setzt, dennoch ein ätzendes Gleichnis zur damaligen Gesellschaftsdynamik abgibt. Als subversiv-überzeichnende Mittel dieser abwägenden Inszenierung reüssieren sowohl die schwelgerisch-jazzige und bisweilen leichtherzige Musikuntermalung mit deutlichen Sympathien zum kontemporären, liberalen Reggae-Kult Bob Marleys wie auch die intim-stimmungsvolle, visuelle Gestaltung – welche zwar anfangs noch leicht poppig und schnörkellos-kantig wirkt, allerdings im Verlauf eher einen romantisiert-melancholischen Milieu-Realismus, ähnlich Roland Klicks „Supermarkt“ (1974), ausdrückt.
Die inhaltliche Ebene sendet dementsprechend bittere, anspannende Wellen eines Albtraumszenarios vom inneren Terror aus (siehe auch Tsui Harks „Söldner kennen keine Gnade“ von 1980), die allerdings von einem faszinierenden Anti-Helden geleitet werden und ihn bisweilen (auch bei der Bevölkerung) sympathisch, weil frech und anti-autoritär erscheinen lassen. Diese zwiespältige Stärke im Gerangel der Generationen reflektiert somit auch kongenial die jeweiligen Neigungen Japans zum Problemthema Atomkraft und macht Hasegawas Film zum prägnanten Zeitdokument mit provokanter Durchschlagskraft. Eine Schande, dass er außerhalb seines Entstehungslandes keinerlei Veröffentlichung erfahren hat, aber gerade heute noch, in Zeiten von Fukushima und Gorleben, ein eindrückliches Echo der Relevanz erzeugen dürfte.
Meinungen
Teile uns deine Meinung zu „Taiyô wo Nusunda Otoko – The Man Who Stole the Sun“ mit. Die Angabe eines Namens, einer korrekten E-Mail-Adresse sowie der Kommentartext sind verpflichtend. Alle Meinungen werden moderiert.