Die Erde, sie blutet in Darren Aronofskys „Noah“. Aus ihrer Tiefe quirlt bleiernes Blut, vorbei an Wasser, Lehm und Sand, und frisst sich in die barfüßigen Sohlen des Erdenbewohners Noah (Russell Crowe), dessen sechshundertstes Lebensjahr des „Schöpfers“ Apokalypse einläutet. Es ist nur ein Traum, doch der Traum offenbart die Zukunft: die Zukunft des Nichts, von einer Sintflut bedingt. Die Flut dann, sie schießt empor in Säulen von unten, in prallen, CGI-entflammten Tränen von oben und platzt schließlich von Norden, Osten, Süden, Westen gegen einen verteerten, klobigen Kasten. Denn ein Kasten ist die Arche hier, kein eleganter Kahn, kein artikulierter Körper, der im Meer noch tanzt wie Natalie Portmans Ballerina Nina Sayers in Aronofskys „Black Swan“ Räume aus sanften Gestiken und pirouetten-gesteuerter Ekstase schuf. „Noah“, der Film Aronofskys, fühlt sich ebenso als Koloss, geboren aus dem Studiosystem Hollywoods und beinahe begraben von ihm: Mit seiner Existenz ist gut zu zweifeln. Auch, weil sein Regisseur sich höchst zu eigen gemachter Konventionen bedient: Zunächst lotst Aronofsky selbst den Rausch aus biblischer Genesis, dem äthiopischen Buche Henochs und seiner eigens kreierten Graphic Novel noch in eine Strömung des Körperkults, der wulstigen Bizeps und ledrigen Kleider, dass es wie ein abstruser Zwitter aus „Waterworld“ und „Mad Max“ scheint.

Da sah Gott auf die Erde, und siehe, sie war verderbt; denn alles Fleisch hatte seinen Weg verderbt auf Erden.

Gen 6,12

Dabei stützt „Noah“ vielmehr die logis(tis)che Exploration der bereits in „The Fountain“ angerissenen Ambivalenz über den Glauben per se und seine Deutung abseits rein christlicher Interpretation. So spricht niemals ein einziger Protagonist über „Gott“, sondern ein jeder über den „Schöpfer“ – selbst die Wehklagen orthodoxer Alttestamentler dürften infolge solch minimaler „Adaptionswut“ schnell zu Staub zerfallen. Darren Aronofskys „Noah“ nämlich ist lediglich so frei in seiner Adaption wie eine Adaption aus einer Skeletterzählung (wie es die Sintflut um Noah in der Genesis nun ist) überhaupt frei sein kann; so frei, wie ein Film eines Mannes sein kann, der von sich selbst sagt, er glaube nicht an Gott, sein Gott sei der Film. Seine Freiheit ist gar bloße Politik, die Kritik äußert, wo sie noch unangebracht, weil nicht greifbar ist. Damit würde man zudem schnell das eigentlich Wundervolle an Aronofskys Experiment verkennen, den steinzeitlichen Bibelepos endlich in die Moderne zu überführen, ohne seine Kraft in visuell-versprengter Werbeclip-Ästhetik zu schmälern. Leider (!) bleibt es dennoch nur Experiment; zwar weniger halb gar, als die sperrige Vermarktungsstrategie durch Paramount vermuten ließ, aber herzlich blass in seinem Tenor, den Menschen und seinen archaischen Zwist mit sich, seiner Umwelt und der Schöpfung definit abzubilden.

Der Kampf Noahs gleicht dem Kampf Randy Robinsons aus „The Wrestler“, wenn auch nicht bis ins bullige Mark, wenn auch nicht fixiert auf eine Kultur, die sich an den Gewinnern ihrer Zeit warm hält, wie sie sich gleichermaßen in ihren Verlierern suhlt. Da ist eine Geschichte zu lesen aus Robinsons deformierter Visage, welche über die irreversiblen Geschwülste durch Tackernadeln, Stacheldraht und Klappstühle eine Seelenlandschaft öffnet, die der pre-apokalyptischen Natur aus „Noah“ in ihrer dürren Ödnis ähnelt. „The Wrestler“ ist der Untergang des Individuums; „Noah“ gleich der Untergang der Zivilisation. Als der zerschundene Robinson gen Ende vielleicht in einem letzten Aufbegehren durch den Ring segelt und nach Lebensluft hechelt, definiert Aronofsky damit den seiner gesamten Filmografie anhaftenden Formalismus: Leben heißt niemals weniger, als an einer Liane zum Tod schwingen. Spektakel inklusive. Und solch Spektakel ist „Noah“ nun entgegen aller narrativen Statik und unförmiger Struktur gewiss – gewiss aber auch kaum Mainstream für jedermann, der sich an christlichen Gladiatorenspielen betäuben, ergötzen, abarbeiten möchte. Der Kampf – eine weitere Parallele zu „The Wrestler“ – agiert nicht im offensichtlichen Geheul der Flut, sondern mittels innerer Wunden, die in scheinbarer Sicherheit aufbrechen.

Dort, in der Flut aller Fluten, generalisiert sich der postmoderne amerikanische zu einem göttlichen Traum: Denn wo Noah unter den Widrigkeiten des freien Lebens eine Mission erhielt, sie zu erfüllen hatte und schließlich erfüllte, da spinnt ihm die Botschaft des „Schöpfers“ im vakuumierten Bunker der Arche eine Paranoia zurecht. Erst hier erlaubt sich Aronofsky, die mangelnde Ausführlichkeit der biblischen Erzählungen explizit auszustaffieren. Es träumt sich ein sechshundertjähriger Mann hinein in die kommende Misere aller Menschen, die wie Randy Robinson und Nina Sayers den eigenen Untergang gleich eines Virus verschleppen, bis sie in eigentümlicher, letzter Euphorie auf ihrem Zenit krepieren. Darren Aronofsky gönnte ihnen bislang wenn, dann nur ein ambivalentes Zucken ihres schon erkalteten Körpers. Noah dagegen lässt er wiederauferstehen – und für einen Aronofsky bleibt dies bizarr unergründlich, obwohl in Genesis abgesichert. Was wäre es für eine Symbiose (und gleichsam wirkliche Ohrfeige an jene Alttestamentler), würde Noah nackt im Sand wie ein Neugeborenes gleißend ins Licht getaucht und die wärmende Decke seiner Söhne Shem und Japheth die Abblende einleiten.

Nach der Offenbarung aber folgt die Paranoia; nach der Paranoia folgt der Alkoholismus. Dieser Noah ist Mensch, und der Mensch ist Sünde. Eine kleine Erkenntnis für einen großen Film. Aber warum sollte der Koloss „Noah“ aus den Händen Darren Aronofskys nicht zweifeln dürfen? Warum sollte er der Tragödie aller Eintracht folgen, deren einziges Wagnis darin besteht, inmitten zig Millionen Dollar eine nichtige Erwartung zu befriedigen? „Noah“ ästhetisiert die Idee eines Glaubens an die Schöpfung, wie auch immer begründet diese sein mag, und reguliert gleichsam den christlichen Zwang, eine einzige Interpretation erzähle eine Geschichte auf die einzig richtige Weise. Der „Schöpfer“ weist Noah in jenes Dilemma, in welches der Mensch vor und nach ihm selbst ohne, selbst mittels Gottes Beistand flüchtete: Dass schließlich doch alles um den Sündenfall zirkuliert, dass der Mensch als Mensch die Sünde begehen muss, um überhaupt Mensch zu sein, überhaupt Mensch zu werden. Der amerikanische Traum endet eigentlich schon im Paradies. Aber warum Mensch sein, ohne der Utopie eines Ideals in immer gleich gestörten Bahnen zu folgen? „Noah“ ist mit seinem Protagonisten Imperfektion – und beinahe möchte man meinen, dass dies die wahre Intention Darren Aronofskys war.

Meinungen

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