Eine Nick-Hornby-Verfilmung scheint eine sichere Bank zu sein: „Fever Pitch“, „High Fidelity“ und „About a Boy“ bewiesen bereits die Leinwandtauglichkeit des britischen Kultautoren. Vom manischen Fußballfan über den einsamen Musik-Nerd bis hin zum Enten-tötenden-Eigenbrödler überzeugt der schwarze Humor von Nick Hornby nicht nur auf dem Blatt, sondern auch im Kino. Es sind diese verlorenen Seelen, diese besonderen Menschen, die Hornby und auch sein Publikum faszinieren. Ihre Eigenarten, ihre Lebensunfähigkeit, ihr Leben und letztlich vor allem die Frage: Wie finden sie ihren Platz in der Gesellschaft?

Nun kommt ein neuer Nick Hornby auf der Kinoleinwand: der tragikomischer Suizid-Roman „A Long Way Down“, der 2005 erstmals erschien. Jack Thorne bleibt mit seinem Drehbuch sehr nah am Original und verändert nur einzelne kleinere Passagen. Ein interessanter Kniff ist dabei die Erzählstruktur. Im Roman schildert jeder der vier Protagonisten in der Ich-Perspektive seine/ihre eigene Geschichte. Im Film hingegen wird jeder Hauptfigur ein Kapitel zugeschrieben, welches von einer der anderen Hauptfiguren aus dem Off erzählt und kommentiert wird. Diese Veränderung ist sowohl Fluch als auch Segen, denn zum einen bieten die vielfältigen Perspektiven einen komplexeren Einblick in das Leben der Figuren, zum anderen wirken gerade diese Einblicke oft unglaubwürdig und verfremdet. Die emotionale Nähe zum Erzählten, zum Erlebten geht verloren. Was bleibt, ist unbeschwertes Entertainment mit einem morbiden Unterton.

Man muss sich vorstellen: Vier Fremde fassen zufällig im gleichen Moment den gleichen Entschluss, dass sie an Silvester ihrem Leben ein Ende machen wollen. Die vier verlorenen Seelen treffen sich in der Neujahrsnacht auf dem Toppers Tower im Zentrum Londons. Nach und nach stolpert ein neuer Selbstmordkandidat ins Bild. Zunächst beobachten wir den Ex-Fernsehmoderator Martin (Pierce Brosnan) dabei, wie er versucht den Mut zu fassen, vom Hochhaus zu springen. Unbeholfen stülpt er eine Leiter übers Geländer und blickt in die Tiefe. Bis schließlich die frustrierte, alleinerziehende Mutter Maureen (Toni Collette) die Tür zum Dach aufreißt und in einer typisch britischen höflichen Manier fragt: „Excuse me. Are you going too be long?“ Eigentlich schon absurd komisch diese Situation. Er solle doch mal bitte schnell machen, sie würde es ja schließlich auch gerne endlich hinter sich bringen. Die beiden geraten in eine hitzige Diskussion und können sich nicht einigen, wer sich denn jetzt als erster in die Tiefe stürzen soll und ob, wie und warum es überhaupt einen Grund dazu gäbe.

Dann spurtet auch schon die junge Aristokraten-Tochter Jess (Imogen Poots) dem Sprung vom Dach entgegen. Das Haar zerzaust, die Schminke überall im Gesicht verteilt, emotional völlig am Ende. Maureen und Martin können sie gerade noch zurückhalten. Dann steht da auch schon der Ex-Rockstar-Jetzt-Pizzabote J.J. (Aaron Paul), der das ganze Geschehen schon eine Zeit lang beobachtet zu haben scheint und sich nun einreiht in die Gang der Ausweglosen. Das Dream Team ist komplett. Gemeinsam beschließen sie, bis Valentinstag durchzuhalten, und dem Leben eine neue Chance zu geben. Von nun an sind die vier füreinander da und unterstützen (oder auch nicht?) sich gegenseitig. Sie bekämpfen den Medien-Trubel, der um sie herum entsteht, geben Matt Damon in Gestalt eines Engels die Schuld an dem ganzen Chaos und fliehen letztlich in den Süden, um auf einer idyllischen Insel ein paar gemeinsame Stunden zu verbringen.

„Mamma Mia“-Ästhetik (nein, Pierce Brosnan verzichtet dieses Mal leider auf eine Gesangseinlage) trifft in „A Long Way Down“ auf den schwarzen Humor von „About a Boy“, jedoch stets gepaart mit einer Portion unglaubwürdiger Leichtigkeit. So ein Selbstmordversuch – ja gleich mehrere Selbstmordversuche von mehreren Personen – ist doch schon ein sehr ernstes beziehungsweise ernst zu nehmendes Thema. Was Nick Hornby in seinem Roman mit der nötigen Prise Ironie und Zynismus ausdrücken kann, wird in der Verfilmung von Pascal Chaumeil zur bloßen Unterhaltung. Der Humor bleibt trotzdem britisch und schräg. Auch der französische Regisseur Chaumeil und sein britischer Drehbuchautor Throne setzen auf Situationskomik und Wortwitz. Dennoch geht dieser oft in der makellosen Kulisse unter. Das durchgestylte, wenn auch ein wenig abgefuckte London. Die Palmen-Strand-Romantik auf Teneriffa. Am Ende stehen die vier dann doch wieder hoch über den Dächern Londons auf dem Toppers Tower. Und was kommt? Der Sturz in die Tiefe? Natürlich nicht.

Meinungen

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