Man kann Jean-Luc Godard für eitel und prätentiös halten, seine Kunst für elitär – doch man kann ihm nicht vorwerfen, er würde es sich im Alter gemütlich machen. Im Gegenteil: Seit seinem Debüt „Außer Atem“ (1960), in dem er den Gangsterfilm amerikanischer Prägung paraphrasierte, hat er seine Idee vom Kino stetig und immer kleinteiliger weiterentwickelt. „Adieu au langage“ wäre nun eigentlich der perfekte Schlusspunkt: Godard lässt die dem Kino zur Verfügung stehenden Mittel endgültig Amok laufen, kein Stein bleibt mehr auf dem anderen. Er seziert das Bild, negiert das Wort, zersetzt das Narrativ. Wir sehen und hören nicht einmal mehr Bilderstürme und Gedankenströme, sondern einen wild zerhäckselten Remix davon. Ein kakofonisches Essenzwerk, das seinen Rhythmus aus Dissonanzen entstehen lässt.

Irgendwo in diesem Film klingt noch das Echo einer Erzählung durch: Eine verheiratete Frau und ihr Liebhaber haben Sex, streiten sich. Sie spricht über die Beziehung, er über Scheiße, denn „darin sind wir alle gleich“ – meinen sie am Ende doch dasselbe, versagt hier nur die Sprache als Mittel zur Verständigung? Oder ist Sprache am Ende gar ein Irrweg, ein Konstrukt von vielen, um den Dingen eine Ordnung zu verleihen? Davor, dazwischen und danach: Samples aus Beethovens Siebter (ja, nicht einmal Beethoven darf hier „ausreden“, heilige Kühe existieren nicht mehr). Mehrsprachiges Stimmgewirr. Vorsätzlich falsch zugeordnete Zitate. Gedankenfetzen (würde die Gesellschaft Mord in Kauf nehmen, um die Arbeitslosenrate zu senken? Man wünschte sich, Godard hätte „The Purge“ inszeniert). Fahrige Digicam-Ästhetik neben impressionistischen Farbtupfern Malick’scher Anmut. Und ein Hund, der am Stadtrand umherstreunt; laut Off-Kommentar das einzige Lebewesen, das sein Gegenüber mehr liebt als sich selbst – freilich ohne dafür einer Sprache im herkömmlichen Sinne zu bedürfen.

Im Kino hat die verbale Sprache vor allem zwei Funktionen: Die Vermittlung zwischenmenschlicher Prozesse durch Kommunikation der Figuren untereinander und die direkte Kommunikation von Bedeutungen und Inhalten an den Zuschauer. Beides setzt Godard außer Kraft. „Adieu au langage“ ist ein diskursiver Film, der sich außerhalb gängiger Parameter wie „Verständlichkeit“ und jenseits des Konsumierbaren bewegt; ein Abschiedsbrief nicht nur an die Sprache, sondern an ihr Selbstverständnis – der auf jeder Ebene an Grundfesten rüttelt, an etablierten Definitionen und unseren Sehgewohnheiten. Nein, Bequemlichkeit liegt dem Kulturpessimisten Godard nach wie vor fern, noch nie hat er die Idee des Autors als „Wiedererschaffer“ (im Gegensatz zum „Réalisateur“) so radikal umgesetzt wie hier. Grund zur Revolte gibt es nach wie vor reichlich: Truffauts gewisse Tendenz im französischen Film – damals gemünzt auf das Cinema de qualité der Nachkriegszeit, das brave Abfilmen literarischer Vorlagen – ist aktueller denn je.

In Zeiten, in denen sich die französische Filmlandschaft vor allem aus kleinbürgerlichem Wohlfühl- und Selbstbestätigungskino zusammensetzt – in seiner unangenehmsten Ausprägung noch versehen mit deutlichem Rechtsdrall –, braucht es verquere, dringliche Zumutungen wie diese. Eigentlich kann man sich nur verheben, wenn man „Adieu au langage“ ausgerechnet mit dem Mittel der Sprache beizukommen versucht; auch wenn er anmutet wie ein filmisches Essay, will er nicht gelesen werden. Man muss sie sehen, erleben, sich an ihr reiben, dieser womöglich schönsten Unverfrorenheit des vergangenen Kinojahres – an deren Ende alles in Schutt und Asche liegt wie sonst vielleicht nur in den Filmen Michael Bays.

Meinungen

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