Ein Debüt ist eine sehr schwierige Aufgabe, zumal, wenn die Geschichte vier Protagonisten in neunzig Minuten angemessen vereinen soll. Die Idee von Michael Bachochin ist nicht neu: In „God Forgive Us“ sind Menschen aus unterschiedlichsten Gründen miteinander verbunden, treffen unbemerkt aufeinander und lernen sich schließlich teilweise kennen. Ein Pfarrer (Matthew Urban), dessen achtzehn ehrfürchtige Dienstjahre seinem baldigen Tod durch einen Gehirntumor gegenüberstehen; eine hübsche, aber drogenabhängige Prostituierte (Lindsay Rathert), die von ihrem Lebensgefährten, der gleichzeitig ihr Zuhälter ist, von Tür zu Tür geschickt wird; ein nihilistischer junger Mann (James R. Doherty), der sich nach Liebe sehnt und wegen eines Suizidversuchs in Therapie geht; ein Vater (Brian Rooney), dessen kleine Tochter an Leukämie verstorben ist. Sie alle leben in derselben Stadt, vermutlich im US-Staat Wisconsin, und sie allen haben offensichtlich eines gemeinsam: Sie leiden, befinden sich am Tiefpunkt ihrer Leben und können keine Leiter nach oben finden, obwohl ihnen diese immer wieder vor die Nase gehalten wird. Die Hoffnung und der Glaube sind nur Schleier über dem sicher kommenden Tod, der möglichen Erlösung.

Leider gelingt es Bachochin nicht, diese vier Charaktere interessant zu verbinden. Auf der einen Seite wirken die Zusammenhänge zu konstruiert, auf der anderen Seite werden sie kaum angesprochen. Dass der Pfarrer in Wahrheit der Vater der Drogenabhängigen ist, wirkt wenig einleuchtend – es wäre entschieden mehr Zeit vonnöten, um diesen Plot Point einzuführen. Viele Themen werden auf diese Weise angerissen, während Bachochin meist versucht, das Schwarz-Weiß auszublenden, indem er beispielsweise einen mitfühlenden Polizisten anhand von zwei Szenen charakterisiert. Vielleicht hätte er sein Augenmerk mehr auf die vier wichtigen Darsteller legen sollen, deren Charakterisierung auf keinen Fall ausgeschöpft ist. Es sind vor allem die Nebendarsteller, wie der aufbrausende Therapeut oder die beiden Mütter der jüngeren Hauptfiguren, die dem Film immer wieder Leben einhauchen müssen, weil die Protagonisten allein nicht fesselnd genug sind.

Dennoch sollte man Hochachtung haben vor jungen Regisseuren, die ihren ersten Spielfilm drehen, da ein solches Unternehmen nicht nur Geschick erfordert, sondern vor allem Ausdauer. Bachochin nimmt noch dazu die Position als Drehbuchautor und Mitproduzent ein – umso anstrengender, dort den Überblick zu behalten. Diese Aufgabe meistert der Amerikaner lobenswert, obwohl weitere Defizite aufkommen, die „God Forgive Us“ keinen Vorteil verschaffen. Immer wieder blitzen mangelnde Fähigkeiten der Schauspieler auf, deren Mimik sich in Momenten der Affektivität beinahe lächerlich ausweitet. Abgesehen von einer einwandfreien Bildgestaltung bleiben auch bei manchen Kameraeinstellungen Fragezeichen offen. So wie vom Bildausschnitt eingeklemmte Gesichter, die auf die Unendlichkeit des Meeres blicken und nach Gott suchen. Auch die populären Jumpcuts aus Jean-Luc Godards „Außer Atem“ werden zitiert. Einen Kritikpunkt bildet ebenso die teilweise unpassende Musik in Sequenzen der Gewalt, durch die wie in „Das finstere Tal“ eher unfreiwillige Komik und Unverständnis entsteht, als dass Spannung betont wird.

Es fehlt weder an Ambition noch an Inspiration – eher an filmischer Perfektion, die bei einem Debüt aber niemals erwartet werden sollte. Vielmehr sollte sich der interessierte Zuschauer an den positiven Momenten orientieren, um nicht aus Desinteresse an möglicherweise herausragenden, zukünftigen Werken vorbeizuschrammen. Neben guten technischen Aspekten überzeugt die Thematik in „God Forgive Us“ nämlich, auch wenn deren Inszenierung am Ziel vorbeischießt. Der oft verwendete Topos von der schicksalhaften Verbindung einer ausgewählten Anzahl an Figuren wird hier bemerkenswerterweise nicht religiös aufgegriffen, obwohl der Film unter anderem vom Glauben an Gott handelt. Gleichzeitig treffen nicht alle Protagonisten aufeinander und sind daher auch in keiner einzigen Szene vereint. Sogar ein atheistischer Mensch kann in Zeiten der Existenzangst und Not gläubig werden. Häufig wird sein Leiden in Halt gewandelt, Aggression in Geduld, Furcht in Vertrauen. Doch die vermeintliche Sünde verschwindet nicht durch die Vergebung.

Meinungen

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