Alain Resnais’ komplettes Œuvre wird seit Anfang Januar 2015 chronologisch im Filmmuseum München gezeigt. „Hiroshima, mon amour“ bildet einen weiteren Teil unserer Retrospektive über einen der wichtigsten Regisseure aller Zeiten.

Zwei Welten prallen 1959 aufeinander. Vierzehn Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges verschmelzen die Körper der französischen Schauspielerin Elle (Emmanuelle Riva) und des japanischen Architekten Lui (Eiji Okada) in Hiroshima. Der erste Spielfilm von Alain Resnais fängt unwiderstehlich ästhetisch an, es paaren sich nicht nur Archivaufnahmen, sondern auch die französisch-japanische Bekanntschaft dieser zwei Verheirateten. „Du hast nichts gesehen in Hiroshima“, sagt der Architekt zur Schauspielerin sich ständig wiederholend. Doch er wird nicht recht behalten, denn gerade sie versteht etwas sehr Persönliches während ihres Aufenthalts.

Sie erwiderte während des Krieges die Liebe eines deutschen Soldaten, der in ihrer Heimatstadt Nevers teil der Besatzung war und schließlich erschossen wurde. Kahl geschoren wurde sie eingesperrt, als Verräterin von den eigenen Eltern nach Paris ausgestoßen, wo sie ihren Ehemann kennenlernte, der für die wunderbare Geschichte von „Hiroshima, mon amour“ so gut wie keine Rolle spielt. Denn es ist die subtile Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit im Licht des kaum begreifbaren Kontrasts, die den Zuschauer beschäftigt und nicht die verbotene Zusammenkunft, die gleich zwei Ehepartner auf einmal betrügt. Einen Kontrast, den die beiden Protagonisten in ergänzender Weise ergeben, wobei es ein Mysterium bleibt, nach was sich die Beiden in Wirklichkeit sehnen. Der beinahe aufdringliche Lui schreit nach Zuneigung, explosiv wie die nukleare Katastrophe Hiroshimas; die gedanklich abwesend scheinende Elle öffnet sich mit wechselndem Temperament, das zwar verschiedenste Charakterzüge aufzeigt, jedoch das besagte Mysterium nur verschärft.

Dabei ist der Dialog ein wichtiger Teil der Reflexion, die zwei Menschen gleichzeitig charakterisiert. Die Französin bleibt stets reserviert, beginnt aber, sich zu erinnern, ihre verdrängten Gefühle offenzulegen, wie sie es noch nie in ihrem Leben getan hatte. Sie vertraut dem Japaner als Einzigem ihren eigenen Hintergrund an, welcher daher ihr gegenüber in eine obsessive Haltung gerät und sie an sich binden will. Er glaubt und hofft, er könne durch sein Wissen ihren Willen dazu beeinflussen, bei ihm zu bleiben. Die Faszination am Fremden, sozusagen das Gegenteil von Fremdenhass, bringt die Lieblosen zueinander. Die Reflexion begegnet der Obsession in einem sexuellen Gemenge, das die Psychen der Beiden verändert. Ob diese Veränderungen zu bewerten sind, bleibt dem Zuschauer überlassen. Resnais zeigt sie uns, inszeniert den Kontrast mit akribischer Sorgfalt, während die Schauspieler durch ihr inneres Suchen gleiten.

Zwei Kulturen prallen 1959 aufeinander. Aber sind sie so verschieden? Resnais’ Film fragt niemals nach den konventionellen, stereotypischen Unterschieden, vielmehr setzt er eine Frau und einen Mann in Szene, die jeglicher Ethnie entstammen könnten. Ihn interessiert das Menschliche, ihn interessiert das Scheitern der Kommunikation trotz vermeintlichen Verstehens. Dennoch handelt der Film auch symbolisch gesehen von Hiroshima 1945 sowie dem Ende des Zweiten Weltkrieges und setzt zwei parallele Ereignisse interessant gegenüber: Die verstoßene Elle ist gerade in Paris angekommen und kann endlich frei von den maßlosen Anschuldigungen ihr Leben führen. Gleichzeitig fallen die amerikanischen Bomben auf Hiroshima, tausende Menschen sterben, so auch einige von Lui‘s Familie. Es gibt keine Symbiose – es gibt nur den Versuch, auf gemeinsamen Schnittpunkten aufzubauen. Doch Elle will zurück nach Paris: sei es wegen des Ehemanns, sei es wegen der Reue über ihr möglicherweise unüberlegtes, überstürztes Verhalten, sei es, weil die frauenhafte Flucht ihr als beste Option erscheint.

Man vergisst leider schnell, wo spezifische Innovationen ihren Ursprung hatten. Resnais ist ein Wegbereiter des postmodernen Kinos, er führte weiter, was Regisseure wie sein Landsmann Abel Gance 1927 mit „Napoleon“ vormachten: das nicht lineare Erzählen. „Hiroshima, mon amour“ ist nicht nur der direkte, befreundete Vorgänger seines zeitlosen Meisterwerks „Letztes Jahr in Marienbad“, das Mysterium per se, sondern der Grundstein für eine der wichtigsten Strömungen der Filmgeschichte: die Nouvelle Vague, welche mit François Truffaut, Claude Chabrol, Jacques Rivette, Éric Rohmer und Jean-Luc Godard ihre wichtigsten Vertreter gefunden hatte. Resnais’ Debut war aufgrund seiner Machart ein frühes Ergebnis der französischen Welle, die noch bis heute nicht zum Stillstand gekommen ist (Godard machte 2014 immer noch Filme). Dennoch sah er sich selbst immer außerhalb dieser Truppe, weshalb eine Kategorisierung oft unglücklich erscheint.

Genauso wie bei „Nacht und Nebel“ waren Anatole Dauman als Produzent und Sacha Vierny als Kameramann beteiligt, das Drehbuch schrieb Marguerite Duras, welche die Anweisung erhielt, Literatur zu schreiben, was ein sehr interessanter Ansatz ist. Als Komponist wurde der legendäre Georges Delerue verpflichtet, der zu diesem Zeitpunkt keineswegs legendär war, sondern am Startpunkt seiner Karriere. Resnais verhalf also nicht nur dem eigenem Land zur fälligen Neubetrachtung, er verhalf einzelnen Involvierten zu größerer Bekanntheit.

Meinungen

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Bisherige Meinungen

Yannic
30. Januar 2015
20:00 Uhr

Letztes Jahr auch die Gelegenheit genutzt und den auf 35mm gesehen. War famos. „Marienbad“ wurde leider nur digital gezeigt … :-/

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