Der Teufel wippt, der Kreis schließt sich: Polizist fordert Spitzel, Spitzel fordert Polizist – aus dem einen wächst das Leben, aus dem anderen der Tod. Sogleich eint sie der gemeinsame Tanz. Da schwenkt die Kamera in Martin Scorseses „Departed – Unter Feinden“ noch in animalischer Mühe an einem Mann vorbei, seine Stimme gleitet gleich seines Zigarettenqualms empor in die Vergangenheit. Es schüttelt ihn. Passé soll die Institution Kirche sein, passé Schicksal und Dichte im irisch redigierten Part Bostons. Das Verbrechen flaniert dennoch in den dreckgebürsteten Gassen. Denn dieser Koloss mit schütterem Bart und unsteter Lust bohrt jedes Gesetz in die starren Augen der Gesetzestreuen, wie das Dunkel zugleich Unterschlupf und höchste Bedrängnis ebnet. Er funktioniert in sich – als Produkt seiner Umwelt, deren Produkt er niemals sein wollte. Langsam reibt er seinen Körper ins Licht, um sich zu entblößen und den von ihm Getöteten ein Gesicht zu schenken: Frank Costello ist sein Name; wie es auch der des italo-amerikanischen „Premierministers der Unterwelt“ und realen Frank Costello war. Der eine frönte seiner Triebe in Massachusetts, der andere in New York. Ein köstlicher „Zufall“, da die fiktive Gestalt vielmehr den Riten Whitey Bulgers entspricht. Auch ein Mobster. Natürlich.

Ebenso illustriert „Departed“ als einzige Erzählung im Scorsese’schen Œuvre die gänzlich kohärente Verschränkung des rebellischen Wunderkinds Scorsese der siebziger Jahre mit jenem Handwerker, der das alte Hollywood in das neue transformierte. Das musste auch die Academy of Motion Picture Arts and Sciences spät ableiten, übergab (forciert) immerhin vier Oscars und darunter den berühmten ersten an den Regisseur Scorsese selbst. Darin ruht freilich noch eine Dopplung: Denn die Werke dieser Koryphäe des Zeitgeistes bauschen den ihnen innewohnenden Kommerz zu Geschichten der Identitätsfindung, des Egoismus und der reinen Funktionalität auf. Diese Geschichten nehmen die Luft zum Atmen. Allein, da sie von Tortur und Psyche sprechen, von einem chronisch anliegenden Korsett des Lebens und dessen Ausbruch durch Wut, Tränen, Blut und Fleisch. Nicht umsonst betont Scorsese alle Theorie explizit mittels „Gimme Shelter“ von den Rolling Stones. Laut, wühlend, energetisch bietet er den Gangstern Schutz. Er schreit es geradezu. „Gimme Shelter“ formt eine manische Grundstruktur in all seinen Offerten – nicht nur in „Departed“, sondern auch in „Goodfellas“ und „Casino“. Gewiss presst das Lied Vergangenheit und Gegenwart aufeinander.

Nun windet sich in „Departed“ wiederum eine abnorme Schraube, die im filmischen Klima permanent rotiert: die der Neu-, Um- und Fortgestaltung. Hier übersetzt sie das asiatische Melodram „Infernal Affairs“ und sein Leitmotiv vertauschter doch in sich gleichsam verstörter Seelen zu einer Fabel über das Amüsement des Schicksals. Allein die Handlung wirkt wie eine Achterbahn durch rissige Spiegel – jede Geste besitzt irgendwo ein verzerrtes Echo. Ob nun Triaden oder gleich die irische Mafia: Die Ausgangssituation beider Werke verschränkt sich ineinander, die Qualität beileibe nicht. Ein Polizeirekrut namens Billy Costigan (Leonardo DiCaprio) mit Köpfchen, Temperament und einem Familienstammbaum voll von Armen und Kriminellen soll da seiner eigentlich vorhergesagten Biografie dienen. Ins Gefängnis schleusen seine Vorgesetzten ihn ein und flugs darauf in das Kartell Frank Costellos (Jack Nicholson). Dieser dagegen heckt eine entgegengesetzte Infiltrierung aus und fördert schon früh den Jungen aus der Nachbarschaft, Colin Sullivan (später: Matt Damon). Mittler und Spitzel, Dreh- und Angelpunkt, Zucker und Salz, Verbrechen und Gesetz: Es könnte sich zugleich inmitten der Symmetrie eine physikalische Ordnung über Gravitation und Rotation entspinnen.

Dafür mangelt es Scorsese jedoch an Fleisch und einer maximierten Potenz inmitten seines Spiels. Denn so wie er entscheidende Dynamiken unterfüttert, überfrisst er sich dank einer redundanten Psychologin im romantischen Milieu. Mehr noch demonstriert die eingeschobene Dritte jedoch eine Lücke in der Handlung, an der es „Departed“ zu zerfressen droht. Mochte das Original sich als zierlich angelegter Spießrutenlauf in das kalte Herz Hongkongs definieren, stößt Scorsese vielmehr die Hörner seiner Protagonisten in den hitzigen Gefechten Bostons ab – wobei alles Drängen und Vibrieren schließlich den Minimalismus seiner Vorlage weiterführt, indem es ihn zerstört. Das südliche Boston in „Departed“ mäandert ebenso zäh und wirr in die Zukunft, wie der Neponset River es umfließt – weniger wie eine Metropole, sondern eher wie ein Maßanzug, der sich mit Instinkt und fleischgewordener Lust auf Costellos Gangsterformation stülpt: der Umgang rau, die Wortwahl sexistisch, gestorben wird schnell, blutig und oft.

Dabei marschierte die Jagd schon als Chiffre durch „Internal Affairs“; die Suche nach der eigenen Identität und der Kenntnis jener des Feindes. Im Grunde geht es um Selbstzerstörung, um ein Fegefeuer der Qualen in einem ausweglosen Labyrinth und den endlosen Weg aus diesem heraus. Als Costello zu Beginn Geld von einem Handlanger im Restaurant eintreibt, drückt sich auch der gerade zehnjährige Sullivan am Tresen herum, wird bemerkt und mit Lebensmitteln und einem Comicheft ausgestattet. Der Sog des Teufels bricht just über das Kind hinein, es kann ihm nicht widerstehen. Ganz ähnlich ergeht es dem Zuschauer: Die Vision Scorseses mag altertümlich, fahrig, gestreckt, unschlüssig wirken, porträtiert darin aber gleichwohl eine beinahe fiebrige Schmähschrift auf das amerikanische Gegenwartskino an sich. Obwohl dieses Duplikat eines eigentlich aufgrund kultureller Disparitäten duplikationsbefreiten Originals zwar ausblutet, muss die folgende Transfusion nicht zwingend seinen Geist kopieren – allein, weil das beinahe blutleere Konzept sich als tragender erweist.

So treibt es Martin Scorseses Melange eines teuflisch angenehmen Fiebertraums gleich des von ihm aufgegriffenen Lieds von Pink Floyd „angenehm betäubt“ voran. Wieder bar jeder Emotion, wieder rasiermesserscharf, wieder eingeölt von der Vergangenheit. Das innere Brennen dieses Films überträgt sich lediglich partiell, ohne jemals mehr sein zu wollen. Dafür dient es schließlich zu sehr reinen Unterhaltungsgefügen: Es nimmt die Luft zum Atmen.

Meinungen

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Bisherige Meinungen

28. Januar 2014
20:13 Uhr

Kann es sein, dass du früher deinen Blog bei WordPress.com hattest? Ich meine mich daran erinnern zu können und der elegante Schreibstil scheinen mir auch bekannt vorzukommen.

Zum Film sei gesagt, dass ich ihn atmosphärisch großartig fand und ebenso unterhaltsam – aber ich kenne auch „Infernal Affairs“ nicht.

Stefanie
30. Januar 2014
18:24 Uhr

Das ist vollkommen richtig! Die Kritik ist sogar eine Adaption eine der damals erschienenen Kritiken, obwohl hier wohl nur noch der Rumpf wirklich vorhanden ist (und vielen Dank für das elegant, das hört man gern).

Ich habe zugegeben momentan (gerade aus einer eher retrospektiven Sicht) ein Problem mit den späteren Scorseses (ab 1990 ungefähr), die sich zu sehr in stilistischen Interpretationen festfahren und dadurch auch erzählerisch nichts neues mehr berichten können. Hier ist es natürlich aber auch so, dass ich Infernal Affairs sehr schätze. Nicht nur den ersten Teil, sondern die gesamt Trilogie. Obwohl der dritte das sicherlich schwächste Glied darstellt, so mangelt es mir in der amerikanischen Übertragung an Tiefe, die aus der doch sehr simplen Ausgangslage mehr rauskitzelt.

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