Eine Art technologisierter Schuhstiefel namens Cheesebridge mimt die städtische Gothic-Anti-Idylle in Graham Annables und Anthony Stacchis „Die Boxtrolls“; angesiedelt irgendwo in einem alternativen 18. Jahrhundert, welches statt einer Ratten- lieber eine vermeintliche Trollplage beheimatet. Da wir nun aber nicht in den strahlenden Palästen Disneys oder grotesken Albereien Pixars weilen, sehen jene Trolle hier bei Laika aus wie halbwüchsige Gargoyles oder sonderbare Reinkarnationen dieser, flüchten eher im Schweinsgalopp und tragen eine Box, damit sie sich mal eben in ihr verstecken können. Daher heißen sie – und ebenso der Film: Boxtrolls. Wer hätte es bloß geahnt. Und wie reizend sie sind, wie obskur, sonderbar – wie niedlich, wenn sie statt verständlicher Laute höchstens einzelne Silben brabbeln. Nur vertrauen die Herren Annable und Stacchi niemals auf eine erweiterte, komplexe Charakterisierung dieser Kreaturen, sondern auf bloße banale Einfältigkeit. Die Animationsschmiede Laika jedoch forderte in der Vergangenheit eigentlich andere Gedanken als enttäuschtes Geplänkel und ruppige Wortstafetten: Weil sie in den Vorgängern „Coraline“ (2009) und „ParaNorman“ (2012) die Freude an der wundervollen, imperfekten Stop-Motion-Technik beschworen, weil es dort knarzte, ruckelte, die Protagonisten in absonderliche Welten traten, weil sie fluchten, weil sie Nähe, Familie, Heimat suchten. Weil ab und an ein Fingerabdruck zu sehen war. Laika hieß bisher auch: die Liebe zur Erzählung im Unvollkommenen; sowohl künstlerisch als auch narrativ.

Vielleicht scheitert „Die Boxtrolls“ auch zuvorderst an der Misere des Drittgeborenen, bei dem schon im Vorhinein ein wenig zu klar ist, dass es zum König auf Lebzeiten vermutlich nicht mehr reichen wird. Denn die Geschichte eines Jungen, der bei den Trollen aufwächst, von ihnen elementare Werte lernt, irgendwann die Welt um sich bemerkt, seine eigene Andersartigkeit und letztlich die Fremde zu seiner bisherigen Familie: all das sind laue Sperenzien, Plattitüden, Hohlkörper des Animationsfilms, deren Ausführung es nur bedarf, wenn es „um die Entdeckung und Verteidigung von Neuem geht“. Was der Restaurantkritiker Anton Ego in einem überaus zarten Schlussmonolog aus PixarsRatatouille“ damit zu benennen versucht, ist die Kunst des Risikos. Nämlich jener Versuchung zu widerstehen, das trübe Bauerngericht lediglich nochmals aufzukochen und stattdessen neben einem Glas Château Cheval Blanc einen feinsten holländischen Gouda zu genießen. Wenn es doch nur um Käse ginge, wo der Film gleichsam voll davon ist. Denn handelte er wirklich von ihm, dann würden unsere Augen nicht nur durch stereoskopes 3D rauschen wie bei einem Schnellimbiss, den man kurz verdaut und nicht viel später bereits vergessen hat, sondern sie würden sich nicht sattsehen können an den viktorianischen Häuserfronten, den raffinierten Lichtspielen in den Gassen, den Interieurs und Exterieurs zwischen anachronistischer Steampunk-Ästhetik und poppigen Farbpaletten.

Die Finesse, mit der Laika den Film wohl aber im Schein kreiert, offenbart sich nicht als einzig handwerkliches Intermezzo. Es ist gar nur ein Hybrid; etwas, dass in den Presseunterlagen noch liebevoll als Heirat aus traditioneller und moderner Technik klassifiziert wird, jene Unvollkommenheit allerdings ad absurdum führt, weil sie höchstens vorgegaukelt ist. Somit regiert plötzlich wortwörtlich der Wurstfinger – und der trägt dick, unliebsam und doch hinlänglich pikiert Charaktere auf, denen es an Zuwendung, Charme und noch dazu an Herz mangelt. Wo doch eben jenes Herz in einem Animationsfilm der beinahe einzige Fingerzeig zu Originalität und mahnenden Entwürfen ist, an denen es über eine Laufzeit von meist kompakten neunzig Minuten zu feilen gilt. Einzig ein Mann rettet zuletzt die Misere und den Wunsch nach einer Metapher, die mehr definiert als die Grobmotorik des Familiären. Ein Zausel von Mann, der unentwegt nach Marmelade lechzt. That’s all? Wohl dem, der keine hochprozentige Histaminintoleranz hat und daher schwerlich im Käseschock explodieren kann. „Die Boxtrolls“ ist alsbald nur eine seltsame Fabel mit unwirschen Dandies in der Ober- und rührseligen Gargoyles in der Unterwelt. That’s all.

Meinungen

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