Jeder Animationsfilm wendet sich immer mit einer Moral von der Geschichte ab, ergreift eine einhellige Stellungnahme, zeigt Kindern Güte und streift gleichsam die erzieherischen Fähigkeiten der Erwachsenen. „Ratatouille“ endet so vollkommen anders: In der Art aller Filme, die ein Kritiker zu Gesicht bekommt, nimmt er deren Kritik, deren Einfallslosigkeit, deren Spaß an Verrissen, sowohl im Schreiben als auch im Lesen, und zieht sie vor – zieht sie noch in den Prozess des Films herein. Des Kritikers Alter Ego stellt sich in Form des Kultur- und Restaurantkritikers Anton Ego vor, dessen Freude, respektive Liebe am Essen, zu einem Gutdünken an meist negativer Worte gefunden hat. Er repräsentiert den klischeetriebenen Kritiker, der dreist die Worte des Filmkritikers von „Ratatouille“ herauspickt. Abseits der Floskeln, respektlosen Beschuldigungen und harschen Absätze ist es nunmehr aber jener Filmkritiker, der in den letzten Minuten dieser feinen filmischen Bourbon Vanille eben jene Moral glücklich aufsaugt.

Denn selbst der Kritiker kann nach jenen knapp zwei Stunden in seinem eigens kreierten Gefängnis nicht mehr hausen: nicht in den Worten Anton Egos, aber auch nicht in seinen eigenen. Er wird vertrieben von einer kleinen Ratte, die der Kunst und dem Porträt eines Künstlers neues Leben einhaucht. „Ratatouille“ – ein Mix aus Auberginen, Zucchini, Tomaten, Paprikaschoten und Knoblauch, gewürzt in der Frische von Kräutern – ist gleichsam der Mix des Brad Bird, der dem exquisiten filmischen „Ratatouille“ eine alte Prise Disney-Zeichentrick beschert. Ein zuvorkommender Page ist es, den Bird hier abgibt, einer, der hinter Modernität zurücksteckt und den vollmundigen Charakter eines Merlot beim Schopfe packt. Er beginnt, Risiken in die heile Pixar-Animationsstube zu schleusen.

Gerade eine Ratte rettet den Stolz und Trieb der neumodischen Animationsfabrik auf den Hinterpfoten, die kratzend über stählerne Arbeitsflächen hüpfen und Töpfe voll wunderbarer Suppe füllen. Remy (Stimme von Patton Oswalt) ist es, der die Küche zum Dampfen bringen kann, sollte er denn in sie kommen. Ausgestattet mit einem abnormal feinen Riechorgan ist es für ihn ein Leichtes, Kräuter, Käse und allerlei Gewürze zu unterscheiden und selbst auf große Entfernungen beste Nahrung auszumachen. Seine Rattenfreunde, besonders Vater Django (Brian Dennehy), können reichlich wenig Vorteil aus der Kunst des Suppenkaspers ziehen; so manövrieren sie ihn kurzerhand zum Giftdetektor, um Schadstoffe vor Genuss des Abfalls ausfindig zu machen. Doch Remys experimentelles Kochgemüt schlägt über die Stränge, als er Bekanntschaft mit einer schussbereiten Oma macht, die schneller als der Wind das Schrotgewehr in alle Windungen pustet. Getrennt von seiner Familie wirbelt Remy im Abwasserkanal, bis ihn der Gang in den weiten Fächern der Metropole des Genusses ausspuckt: Paris. Unter dem Restaurant des meisterhaften Kochs Gusteau (Brad Garrett) gelandet, der ihn ab dato geisterhaft verfolgt, schwimmt die Ratte im Glück des Verzehrbaren.

Kochstudio, Spielwiese hin oder her: Hinter dem Küchenverbot ist der Tanz mit der Kelle ein unmögliches Ding, das keine Zufälle oder Hoffnungen einbezieht. Glück im Unglück für die Ratte, die in dem hoffnungslosen Tellerwäscher Linguini (Lou Romano) eine Marionette zum Showkampf mit den großen Köchen findet. Unter der Haube des jungen Mannes verborgen, zieht Remy die Strippen. Das Personal beäugt die beiden frischen Spieler aufs Genauste, angetrieben von der angenehmen Qualität Remys kleiner Essenskunstwerke.

Ganz und gar provinziell sieht dabei Birds meisterhaftes Konzept in seinen Grundgerüsten aus. Es mutet mit malerischen Hintergründen an, dem Überblick über die Stadt der Liebe, einer schweifenden Expertise französischer Kulturwelten und der Ratte Remy, die eine rosa Knollennase als Riechorgan aufsetzt, hier und da schnuppert, mit den Plüschohren schlackert, wie ein Kuscheltier kriecht und die Täler der sagenumwobenen Gourmetstube alias Küche erkundet; zumindest für eine Ratte ist das schließlich neu. Eine Prise „Das Parfüm“ springt hier in Wogen mit herum und leitet Remy in den Wortschatz um olfaktorische Weisheiten. Das Glanzstück von „Ratatouille“ erscheint jedoch erst in den süßlichen Protagonisten, jenen Ratten, die entgegen ihres Aussehens menschlicher agieren, als von so manch einem Mensch behauptet werden könnte. Sie reden in intelligenten, zutiefst scharfsinnigen Phrasen, sie fühlen, riechen, schmecken; sie sind sie.

Das wirkliche Parfüm findet sich nicht in Oberflächlichkeiten, er steht schon anprangernd im Titel „Ratatouille“; der eingänglichen Floskel über eine Ratte, welche die Kunst des Kochens zu verstehen vermag. Birds wahre Natur eines Regisseurs und Drehbuchautors blitzt wahrhaft erst in dem zutiefst schwierigen Unterfangen auf, Unterhaltung im breiten Sinne zu erschaffen, die sowohl Kinder- als auch Erwachsenenherzen höher schlagen lässt. Dabei umgibt „Ratatouille“ eine Wolke klarer Botschaften: dem Drang, der Familie nahezustehen, seine Pakete mit Würde und Anstand zu tragen, neue Entdeckungen herauszufordern. Dabei schlägt der Kern in Birds Universum nie aufmüpfig aus, sondern komplex und tragend, und schult beide Seiten der Parabel über die unbedingte Wichtigkeit der Familie mit der medienkritischen Philosophie, allen Quellen der Neuzeit mit Misstrauen und Verstand zu begegnen. Allein dem klischeehaften Bild des Kritikers Anton Ego strotzt „Ratatouille“, der mit tiefem Bariton von Peter O’Toole herzhaft eingefangen wird und die Kritik nicht etwa heruntersetzt, sondern sorgsam die feinen Nuancen derer aufzeigt; auch die Lebendigkeit und Ehrlichkeit hervor beschwört, obwohl offensichtlich hinter dem Vorhang aller Negativität nichts weiter versteckt liegt.

Hollywoods Kameramänner könnten ruhigen Gewissens eine Karottenscheibe in ihren einfallslosen Dreh- und Wendekreis mitnehmen, in den schnellen, aber nie hastigen Wogen von „Ratatouille“; sie könnten lernen aus schwungvollen, runden Schnitten. Die Kamera fährt, sie steckt hinter Remy zurück, sie benötigt nur leichte Schwenks ohne unübersichtliche Drehungen. Sie bewegt sich so geschickt, dass sie mit den atmosphärischen Räumen in der Großküche leichthin spielt und sich fortwährend um den unendlichen Fahnenmast des Pariser Nachlebens dreht. „Ratatouille“ allerdings ist entfernt vom bloßen halb garen Aufmarsch seiner Animationsartgenossen. In einer Wiedergeburt aus alten Zeichentrickfilmen der Disney-Schmiede bietet er eine unglaublich intelligente Parabel zwischen Naturprodukten und technischen Spielereien: kräftig geschmort, deftig und erheiternd, warmherzig und trocken, alt und neu; eine einzige Speise, die voll Leben und Schönheit in einem Restaurant nur mit einem Dank an den Koch unterstrichen würde. Oder um mit den Worten Anton Egos zu schließen:

Die Arbeit des Kritikers ist in vieler Hinsicht eine leichte. Wir riskieren sehr wenig und erfreuen uns dennoch einer Überlegenheit gegenüber jenen, die ihr Werk und sich selbst unserem Urteil überantworten. Am dankbarsten sind negative Kritiken, da sie amüsant zu schreiben und auch zu lesen sind. Aber wir Kritiker müssen uns der bitteren Wahrheit stellen, dass, im Großen und Ganzen betrachtet, das gewöhnliche Durchschnittsprodukt wohl immer noch bedeutungsvoller ist als unsere Kritik, die es als solches bezeichnet. Doch es gibt auch Zeiten, da ein Kritiker tatsächlich etwas riskiert – wenn es um die Entdeckung und Verteidigung von Neuem geht. Die Welt reagiert oft ungnädig auf neue Talente, neue Kreationen. Das Neue braucht Freunde.

Meinungen

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