Manchmal ist ein Hype eben nur ein Hype – wie im Falle von „Don’t Breathe“, dem aktuellen Horrorerfolg an den amerikanischen Kinokassen. Die zweite Regiearbeit von Fede Alvarez, der mit seinem Remake von „Evil Dead“ gehörig an der Terrorschraube drehte, kann als origineller Stoff zumindest technisch punkten, hat inhaltlich jedoch so wenig auf dem Kerbholz, dass von wenig verpatztem Potenzial gesprochen werden kann. Dabei ist die Prämisse ein ideeller Nährboden für Nervenkitzel, denn sie ist so ziemlich dieselbe wie jene aus Wes Cravens „Das Haus der Vergessenen“: Drei ärmliche, doch fähige Einbrecher wollen aus ihren asozialen Verhältnissen in den Gettos von Detroit entkommen und entschließen sich daher, das angeblich millionenschwere Vermögen eines blinden Mannes (Stephen Lang) auszurauben. Was sie jedoch unterschätzen: Der Kriegsveteran hat einige brachiale Manöver drauf – und da er als einziger Verbliebener in einer verkommenen Nachbarschaft um den seit einigen Jahren zurückliegenden Unfalltod seiner Tochter trauert, hat er gewiss nicht allzu viel zu verlieren und infolge auch keine Skrupel, sein (wie auch immer erworbenes) Hab und Gut zu verteidigen. Seinen gesunden Menschenverstand schließt das übrigens nicht ein, wie sich im Verlauf herausstellt. So jagt er die Einbrecher mit brutalem Ehrgeiz durch die Sackgassen seiner Unterkunft, in denen sich manch fiese Überraschung versteckt.

Der Film verschwendet entsprechend nur wenig Zeit, um diesem Horror nachgehen zu können, weshalb unsere Protagonisten hauptsächlich skizzenhaft etabliert werden und nur bedingt Anlass zur Identifizierung geben – ein gegensätzliches Konzept zur Verinnerlichung wahrhaftigen Schreckens. Rocky (Jane Levy) will beispielsweise ein besseres Leben für sich und ihre Tochter und ist nicht um Verzweiflungstaten verlegen, aber dennoch eine gute Seele mit dem Glauben ans Schicksal (platte Symboliken mit Marienkäfern sind die Folge). Ihre Mitstreiter Alex (Dylan Minnette) und Money (Daniel Zovatto) teilen sich mit ihr sodann den Traum eines jeden jungen Tarantino-Fans, nach Kalifornien auszuwandern – ersterer mit der Nervosität eines naiven Goldjungen, zweiterer in der Karikatur eines Gangstas. Die Einfältigkeit dessen wird gleichsam fix abgehakt und an eine Situation geführt, die ihre Spannungskurbel in der ersten Filmhälfte gnadenlos anzuziehen versteht. Plumpe Jumpscares sind die Seltenheit, wenn die Methodik des High-Tech-Einbrechens nicht für die Unberechenbarkeit eines Opfers vorbereitet ist, die Kamera also vorsichtig beobachtend um die finsteren Ecken des Hauses zieht und die Augen möglichst lange nicht schließt, um ja nicht unschön überrascht zu werden.

Als Zuschauer fürchtet man jedoch in solchen Szenen durchweg um das, was kommen könnte, selbst, als der Blinde schlafend vorgefunden wird und unschädlich gemacht werden könnte, doch nie an einer Stelle zu bleiben scheint. Eines ist jedenfalls schnell sicher: Schauplatz und Bewohner sind keine gesunde Kombination. Der Tod sowie der Rottweiler des Herrchens gehen sodann um im Gruselkabinett des blinden Bösen, das seine Opfer auch in manch Dunkelheit lockt und eine besonders starke Infrarot-Sequenz daraus schöpfen lässt. Kamera, Schnitt und Sounddesign lassen ebenso nie locker und bugsieren einen in starke Winkel des Grauens – doch deren Effektivität schmälert im Verlauf erheblich. Es mag an der Entmystifizierung des Blinden liegen, der bald kaum noch mit Motiven geizt und humanisiert wird, obgleich seine unaufhaltbare Killer-Statur mit scheinbarer Teleportationsfähigkeit ein Fall für den gängigen Slasher hergibt. Logikfetischisten, die im Horror-Genre besonders aufpassen, dürften an solchen Ausfällen ihre helle Freude haben.

Gleichzeitig aber verliert der Film an Kraft, wenn er auf seiner konzentrierten Ausgangslage sicke Ideen stapelt und diese in reißerische Impulse münden lässt, die zudem von der repetitiven Neigung zur Zeitlupe unterstrichen werden. Letztere verknüpft sich eingangs noch geschickt mit der Vermittlung der (inkonsistent definierten) Sinne, und wie der Blinde mit ihnen empfindet; später reicht es nur zur Akzentuierung des Schocks zum nächstbesten blutigen Einschuss. Ansehnlich bleiben die Schocks dennoch, da sie ihr Ambiente in brachialer Eleganz vollständig nutzen, Schreie durch Schächte jagen, die Fäuste des Blinden nach ihnen greifen lassen und aus der Todesfalle Eigenheim das Maximum an Ausweglosigkeit schöpfen. Zu schade, wenn das Menschliche auf Dummheiten baut, wie sie in diesem Genre wohl hingenommen werden dürfen, aber allmählich eine Beliebigkeit ausstrahlen, wo ansonsten reichlich straffe Spannungsmomente in Gang gesetzt werden. Nicht, dass die Konklusion viele Überraschungen ballen würde, doch die Kurzweil lässt in puncto Kohärenz und Stil durchaus die Muskeln spielen, während der Kontext zunehmend auf das Duell zwischen Arm und Arm hinweist, das in vielerlei Wahlkämpfen dieser Tage ausgebeutet wird. Ob jedoch emotional irgendetwas davon mitgenommen werden kann, darf bezweifelt werden.

Meinungen

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