Anfangs möchte man sein Glück kaum fassen: François Ozon reduziert die Geschichte einer Freundschaft bei einer Beerdigung auf solch wirksame Kürze und Würze, dass man in Erinnerungen an den Animations-Streich „Oben“ (2009) schwelgt. Da zieht er eine Empathie für seine Charaktere auf, von der man sich im Folgenden Großes erhofft. Doch wie im Pixar-Werk wird eine Richtung eingeschlagen, die nur schwer jene Stärke entsprechend einlösen kann.

Nachdem Claire (Anaïs Demoustier) ihre beste Freundin aus Kindheitstagen, Laura (Isild Le Besco), an eine heimtückische Krankheit verliert, schwört sie, den Hinterbliebenen, Witwer David (Romain Duris) und Baby Lucie, gänzlich beizustehen. Jetzt hadert man als Verfasser dieser Kritik jedoch mit seinem Gewissen, ob man den initialen Coup von „Eine neue Freundin“ an dieser Stelle verraten darf, da er ja nach der ersten Viertelstunde eintritt, aber dennoch einen großen Überraschungsmoment beherbergt. Bei Claires spontanem Besuch kommt nämlich ans Licht, dass David ein heimlicher Transvestit ist. Was zunächst lediglich wie eine obskure Charaktereigenschaft oder gar ein Gag wirkt, wird allerdings daraufhin vom Film zum dringlichen Handlungsfokus erhoben.

Claire ist schockiert von jener Enthüllung, fasst sich jedoch irgendwann ein Herz und motiviert David, den sie fortan liebevoll Virginia tauft, dazu, seine Wünsche auszuleben und so mit ihr öffentlich aufzutreten. Im privaten Rahmen verschweigt sie jedoch diesen Umstand; behauptet vor ihrem Ehemann Gilles (Raphaël Personnaz) gar, David sei homosexuell – das wäre nämlich noch lange nicht so schlimm, wie ein Transvestit zu sein, meint sie dazu. Im Verlauf des Films mag Claires semi-konservatives Temperament zwar zusammen mit dem Zuschauer eine versöhnliche Belehrung des individuellen Glückes erhalten. Tendenziell nähert sich Ozons Neuling jedoch gleichsam einer Sichtweise zum Thema, die schlicht nicht mehr zeitgemäß ist. Der Inhalt setzt Transvestitismus wie in einem altbackenen Aufklärungsfilm beinahe automatisch mit Homosexualität gleich; hängt jene private Entscheidung derartig pathetisch an die große Glocke, dass man sich solche Stilisierung nur noch als gut gemeinter Widerstand zum leidlichen Rechtsruck im Frankreich der Gegenwart erklären kann.

Romain Duris’ David kann man dabei selbstverständlich Sympathie abgewinnen; bei der Darstellung befähigt er sich teilweise jedoch derartig aufgedrehten Klischees, dass man sich in „Ein Käfig voller Narren“ wiederzufinden glaubt – inklusive mysteriös inszeniertem Milieu-Besuch einer burlesken Schwulen- und Lesbenbar im Underground. Regisseur Ozon einigt sich nur halbwegs mit dem wenig ergiebigen Drehbuch, das mit dünnem Handlungskonstrukt in Richtung Melodram gefällige Feelgood-Passagen und Erklärungsphrasen auftischt und schlussendlich einen klobigen dritten Akt mit Koma-Magie absolviert. Am Reizvollsten, wenn auch nicht unbedingt Nachvollziehbarsten, beobachtet der Film jedoch das Innenleben von Claire. Anhand ihrer Verbindung und Liebe zur verstorbenen Laura entwickelt diese eine Affinität für den männlich-femininen Ersatz ihrer Freundin; wirft sich dadurch aber ebenso in eine sexuelle Verwirrung, welche Visionen und Handlungen der Furcht hervorruft. Ozon baut darauf mentale Spannung und sexual-psychologische Komplexität, schafft aber oftmals wieder Platz für die Romantisierung der forcierten Lebenshilfe für den Transvestiten.

Die Kombination ergibt bewusst keine stimmige Einheit, um die Homogenität der Figuren wirksam ambivalent zu halten. Worauf alles aber hinausläuft, ernüchtert mit naiven Plattitüden, die trotz audiovisuellem Geschick ein allzu bemühtes Plädoyer daher stammeln. Unglücklicherweise scheint die Zeit in Frankreich stehen geblieben zu sein, sodass derartige Randgruppen auf ein mitleidiges Podest gestellt werden müssen – auch wenn sie es womöglich nicht mal wollen. Worin der Film aber dennoch sympathisch aufgeht, ist seine Ader zum persönlichen Glück der Charaktere, ob nun in der Disco zu Katy-Perry-Beats oder eben im sexuellen Rausch trotz Ersatz-Weiblichkeit. Diese und weitere Zeichen zur Akzeptanz sind vielleicht spät und latent-spekulativ gesetzt; nötig sind sie (je nach Zielgruppe) aber offensichtlich allemal. Wenn sie doch nur das klare Ziel des Films darstellen würden, welcher die sexuelle Umorientierung zu sehr diskutiert, als dass er sie schlicht von Anfang an akzeptiert und von dort aus weiter geht.

Meinungen

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