So wie „Escobar – Paradise Lost“ beginnt, wird der Film seinem Titel schnell gerecht: Denn der kolumbianische Drogenkönig Pablo Escobar (Benicio Del Toro) bereitet sich auf seine freiwillige Übergabe an die Justiz vor und betet in der Nacht mit Funkkasten in der Hand um sein Seelenheil, während sich seine Lakaien allmählich für ein letztes Hurra versammeln. Unter ihnen auch der nervöse Kanadier Nick (Josh Hutcherson), der sich dafür von seiner Liebe Maria verabschieden muss. Ungewissheit beherrscht die Szene wie der Schweiß der Angst, welcher in einer Mission mündet, die das Oberhaupt mit Besonnenheit durchgibt. Und schon baut sich beim Zuschauer eine Spannung der Ausweglosigkeit auf, wie ein junger Mann wie Nick derart korrumpiert werden kann. Ein fiebriges Intro, das in seiner Fassungslosigkeit am Hinterkopf des festgehaltenen Protagonisten brummt, sich nach Erlösung sehnt und doch mitten in die Obligation des Verderbens eingearbeitet wird.

Weil Regisseur Andrea Di Stefano jene Spannung allerdings möglichst lange halten will, führt er uns zurück in die erste Verlockung des vermeintlichen Paradieses, in dem sich Nick und sein Bruder Dylan (Brady Corbet) um 1983 wiederfinden. So verdienen sie sich an der Küste genügsames Geld, bis sie die gutmütige Maria zum Kontakt anspornt und die örtliche Gang ihr Territorium mit Macheten markiert. Eher zweckmäßige Voraussetzungen, doch mit einer Behutsamkeit vermittelt, die verwundert um Häuser und Palmen schlendert. Noch dazu ermöglicht sie Projektionen von Wunschträumen und Ängsten, die in eine audiovisuelle Effizienz eingebettet werden, welche einem frühen Michael Mann gerecht werden könnte. So flirren die Linien des Sonnenscheins durch unschuldige Blicke, kontrastiert mit formatfüllenden Augen der Finsternis, die erst ein skrupelloser Menschenkenner wie Escobar vorteilhaft zu verbinden weiß. Ohnehin gibt es in seiner Körpersprache immer wieder Zeichen zukünftiger Machtverhältnisse – und sei es bloß das beiläufige Spiel mit einer Wasserpistole.

Nick hat als Adam im Taumel des Paradieses allerdings keine Blicke dafür übrig. Stattdessen hat er nur welche für das Glück mit seiner Eva – Onkel Pablo ist erst mal lediglich der einladende Schutzpatron, der über eine malerische Hazienda mit Elefanten im Hinterhof verfügt. Doch allmählich tropft die Realität ihr Blut ins Gewissen und scheint Nick ein Licht in jenes Loch, in das er sich voller Gutgläubigkeit hineingegraben hat. Di Stefanos Film ist trotz dieser Beschreibung dennoch kein zwanghaft religiöses Gleichnis, dafür setzt er entsprechende Symbolik lediglich als Unterfütterung einer nachvollziehbaren Furcht zur folgenden Fluchtbedrängnis ein. Diese veräußerlicht sich in einer fatalistischen Probe der Moral und Empathie, an der beide Seiten der Leinwand vor Ermattung zerbröseln. Der Score von Max Richter drückt jedoch manchmal zu entschieden aufs Gemüt – visuell wirkt die Hölle der perfiden Zerstörung der Unschuld schon genug nach, dass sich Schweiß auf der Stirn bildet.

Der Freiraum wird so klein, dass im Versteck nur noch ein Loch fürs Auge oder fürs Ohr am Telefonhörer übrig bleibt, an dem man machtlos die Konsequenzen der Naivität vorbeiziehen sehen und hören muss. Schließlich öffnet sich doch noch die Gelegenheit für eine Genre-gerechte Katharsis im Rückschlag, doch ist diese nur von kurzer Dauer. Stattdessen bleibt Nick der Spielball einer selbst ernannten Gottheit, deren Wege abgesehen vom Selbstschutz unergründlich, doch grausam sind. Alle Wege enden entweder im Blut oder in der Gefangenschaft – das Paradies ist verloren. Darum kehrt auch nach dem Abspann keine Erlösung ein, sondern ein intensives Herzrasen, weil Di Stefano keine Gefangenen mit seinem Film macht, da seine Charaktere darin gefangen sind. In seiner Hitze ist das Blut schon kalt, weil alles bereits zu spät ist – und doch sehnt man sich nach einem Ausweg, weil man mit Nick so tief im Loch steckt und um Gnade bittet. Das spricht Bände für einen der wohl intensivsten Thriller der jüngsten Zeit.

Meinungen

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