Plötzlich kommt da das Böse und liefert seinen Einstand in einem obskuren kleinen Bankraub. Ein gezieltes System des Chaos entbrennt, jede Kampagne zur Verbrechensbekämpfung schlägt fehl, erlaubt nur neues Grauen und eine Zerstörungswut, die selbst den alt eingesessenen Verbrechern ein Schaudern erlaubt. Eine unbekannte Macht malt hier einen Lageplan. Und seht, was er mit eurem glänzenden Helden anstellt – wie schwach und unvermögen der dunkle Ritter in dieser filmischen Gegenwart agiert. Christopher Nolans zweite Inthronisation des auferstandenen Batman in „The Dark Knight“ ist gleichwohl sein unvermeidlicher Untergang im Umgang mit der nihilistischen Weltbeschau eines Gegenspielers, der endlich die Prämisse des Helden versteht – und überbietet: dem Joker.

Wir werden in der Existenz des Bösen im Universum, sei es nun ein überindividuelles oder ein individuelles Böses, sei es ethischer oder praktischer Natur, ganz gleich in welchem Gewand es uns auch begegnen mag, wenn wir es im Ganzen und im Detail betrachten, immer eine Ordnung finden, ein organisches Ganzes, einen Aufbau, sodass es nicht als zufällig bezeichnet werden kann.

Abraham Isaak Kook

Dabei bleibt die Figur ein Witz. Ein nietzscheanischer Witz – eine Karikatur schlechten Grauens, deren schlurfendes Vorankommen ein Angeschlagensein andeutet und den Schein in höllische Unbequemlichkeit wandelt. Der Mensch, den Jack Nicholson mit so morbider Faszination und Galligkeit 1989 in Tim Burtons „Batman“ verkörperte, entschwindet in „The Dark Knight“ dem Übermenschen. Dagegen manövriert Heath Ledger die einst absurde Schießbudenfigur in den Charakterkomplex eines psychopatischen Terroristen, den die reine Gier antreibt. Denn seine Ideologie ist gar keine: er agiert scheinbar ohne Plan, ohne Regeln, ohne Sinn, aber auch ohne Verstand. Gerade seine abnorme Anarchie katapultiert ihn in ein Zentrum der Macht, in das sowohl der Staat, als auch seine Bürger nur orientierungslos folgen können. Jede Interaktion scheitert letztendlich an der planlosen Improvisation des Jokers.

Ledgers Schauspiel verdeutlicht die Kapitulation eines toten Staates, der den besessenen Strukturen eines Mephistos gehorcht, wo die Gewalt von weiterer Gewalt untersetzt wird und die Realität schließlich nur eine Spur ihrer Selbst ist, wenn auch in einem Zustand der vollkommenen Bedrohung. Der Joker will die Welt nicht nur brennen sehen, sondern den Moralkodex des Menschen zerstören und damit seine innere Vernichtung herbeiführen: Das Böse als zynische Variation des Guten.

Ich bin ein Mann von einfachem Geschmack. Ich liebe Dynamit, … Schießpulver … und Benzin. Und was haben diese drei Dinge gemeinsam? Sie sind billig!

„The Dark Knight“ liefert die Deutung im Titel. Christopher Nolan schlägt sie aus: der Film – auch wenn er insgeheim den Namen Batmans (Christian Bale, ungewohnt reserviert) trägt – hält den Helden für das eindeutige Übel und den Schurken für den kleinen Laufburschen, der lediglich vor Augen führt, was längst verloren ist. Man hat nicht das Gefühl, dass Korruption, Terrorismus, Gier und die vielen kleinen Deals, mit denen der Joker den Aufstieg bewegt, eine übergeordnete Rolle spielen und eine Rechtfertigung für die überaus blutigen Raubzüge bilden. Wohl deshalb wirkt Gotham City wie eine beliebige Großstadt auf Kriegsfuß mit dem Terror, weil sie – immer bewegt von Vergeltung und Unnachgiebigkeit –, den einzigen Helden exekutieren muss, der eben jene Gewalt erst möglich machte. Einmal trägt der Joker im Plausch mit der Unterwelt Gothams mit widerwärtiger Aggression den Namen Batmans vor, als er seinen einzigen später unvollendeten Plan verkündet: „Kill the Batman“. Und obwohl er den Mafiabossen, den Russen, Afroamerikanern und Sizilianern nur ein knauseriges Lachen abnimmt, vermag er den Helden trotzdem zu formen – mit einem kleinen Artikel. Das understatement hält Heath Ledger nicht inne, die zügellose Wut, mit der er sein ulkiges Schauspiel ziert, aber jederzeit.

Gerade die schier grenzenlose Konsequenz verleiht diesem Batman-Film eine Eleganz, die ihren Kern in der extremen Abhängigkeit seiner beiden Hauptfiguren trägt und die Formung der Charaktere nicht allein der kühlen, sowie hinreichend verkopften Methodik des ersten Teils überlässt, sondern in ein seltenes Yin-Yang-Verhältnis von rationaler Wut und Menschenverachtung wandelt. Wie präzise „The Dark Knight“ mit seinen Nebenfiguren umgeht, zeigt sich auch an Aaron Eckhard in der Rolle des abgebrühten Bezirksstaatsanwalts Harvey Dent. Er ist ein Mann, der skrupellos die Hoffnungen Gothams wieder belebt, als einzige Figur die Umkehr zum Guten tatsächlich bewältigen kann und als einzige später auch an ihr zugrunde geht. Die Dichotomie von Ordnung und Chaos erschöpft in Dent ihren Höhepunkt: der weiße Ritter wählt die Anarchie. Durch Dents Transformation zu Two-Face präsentiert Nolan den Komplex eines Films, in dem ein jeder Protagonist einen inneren Konflikt trägt, eine jede Entscheidung infrage stellt und somit der Zwang der politically incorrectness „The Dark Knight“ über die Maßen der Unterhaltung belastet und seziert.

Die andere Wahrheit lautet: Nolans Film ist eine großartig ernsthafte Metamorphose des Comic-Genres, dem die Dichte seiner Handlung die ironische Spaßigkeit raubt; einst von Tim Burton eröffnet und später von Joel Schumacher in den Machwerken „Batman Forever“ (1995) und „Batman & Robin“ (1997) zu bunt-frivolem Treiben skizziert. Dagegen eine Wucht und Kälte, die der Gewalt gar eine abgrundtiefe Emotionslosigkeit beschert. Das Drehbuch von Bruder Jonathan mündet hier ins Versagen – zu lang, zu bieder, ausführend und ausschweifend, wenn das Gegenteil den Kern treffen könnte. Der Drall, den die Szenen um Ledgers Joker bilden, mag nicht lang genug sein, wenn sein Anti-Antagonist der hilflosen Fledermaus freudestrahlend das Zepter der Hoffnung raubt und gegen den Triumph des Terrorismus austauscht – doch ein Batman dieser Konventionalität bedient sich selbst im Showdown einer deus ex machina; einer Drehbuchmaschinerie, die nicht umsonst als Hilfsmittel des Autoren gilt, selbst den misslichsten Pessimismus noch umzukehren.

Damit trifft Christopher Nolan zwar den Nerv der Zeit, kann dem nihilistischen Grauen jedoch Einhalt gebieten, was „The Dark Knight“ eine unbeholfen optimistische Note verleiht. Auf diese Weise komplettiert er das Dilemma eines jeden publikumstauglichen Films, der höchstens dem Anspruch der Unterhaltung unterliegt, nicht aber den Verstand des Zuschauers verlangt. Dabei kehrt der „The Dark Knight“ den Konflikt eigentlich um: in ein immens erfolgreiches Produkt seiner Zeit, dass in einer eloquenten und zutiefst packenden Symphonie die Natur von Gut und Böse demontiert. Er sagt aber auch: dort wo wir hingehen, worauf wir zulaufen, dort dürfen wir nicht ankommen.

Meinungen

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