Eine Kontroverse, zwei Meinungen. Daher besprechen wir Wally Pfisters „Transcendence“ mit Johnny Depp gleich doppelt. Die negative Zweitkritik findet sich hier.

Wally Pfister ist Stammkameramann von Christopher Nolan und wurde durch den Erfolg von „Memento“, der Batman-Trilogie und „Inception“ weltweit für seine ästhetische Bebilderung bekannt. Nach fünfzehn Filmen als Director of Photography wechselt er die Position und verfilmt Jack Paglens Drehbuch „Transcendence“. Wie viel Nolan in Pfisters Debüt steckt, zeigt sich schon darin, dass jener als ausführender Produzent fungiert und mit Morgan Freeman und Cillian Murphy zwei Darsteller seiner „Nolan-Factory“ ins Rennen schickt. Viele erwarten sehnsüchtig Johnny Depp in Bestform, doch gleich vorneweg muss relativiert werden: Es ist eine gute Leistung, doch lange nicht am Rande des Möglichen. Es stellt sich die große Frage, ob Pfister die Kompetenzen verfügt, einen Film als Regisseur zu leiten und zu führen. Er bemüht sich bei seinen Bildern um Parallelen, greift immer wieder retrospektiv Elemente auf und versucht, durch altbekannte Erzähltechnik einer Rahmenbildung mit vorher-nachher Sequenzen eine gewisse Grundspannung zu erzeugen. Leider misslingt das nahezu komplett, da der stringente Faden fehlt, der den Zuschauer umspannen könnte.

So bleibt es bei einem Film mit interessanten Ideen und Ansätzen, die weniger gut besprochen, dafür umso besser bebildert werden. Dr. Will Caster (Depp) will die Welt mit seinen Forschungen über künstliche Intelligenz nicht verändern, er will sie verstehen. Er entwickelt eine Maschine namens PINN, welche die sogenannte technologische Singularität aufgreift und mit der es möglich ist, sich selbst zu verbessern, zu denken und Gedankenimpulse zu verarbeiten. Er nennt den Prozess selbst Transzendenz, also das Übersteigen der Grenzen von Erfahrung und Bewusstsein. Protestierende Menschen, die in dem Projekt keine beziehungsweise nicht nur eine Möglichkeit der medizinischen Progression sehen, schließen sich zusammen und bilden eine terroristische Extreme. Ihr Ziel ist die komplette Zerstörung von sämtlichen Forschungen über künstliche Intelligenz und das Eliminieren aller beteiligten Forscher. Infolgedessen kommt es zu Anschlägen und auch Caster wird mit radioaktivin Pistolenkugeln tödlich verletzt. Dessen Frau Evelyn (Rebecca Hall) will die Hoffnung an ihn und seine Arbeit nicht aufgeben und entscheidet sich dafür, seine Gedanken über PINN ins Internet hochzuladen. Man könnte auch sagen: Sie digitalisiert ihn und erhält ihn auf künstliche Art und Weise im Internet am Leben. Positiv anzumerken ist hier, dass sowohl der Grundkonflikt zwischen Terroristen und den Forschern nachvollziehbar ist, aber auch die Argumentation beider. Negativ bleibt zugleich das bloße Ankratzen der Meinungen, ohne näher auf die Hintergründe und Ziele einzugehen.

Die große Frage, die der Film an den Zuschauer richtet, ist, ob ein Mensch in digitaler Hinsicht ein Mensch ist, vorausgesetzt, eine künstliche Intelligenz verarbeitet echte, menschliche Gedankenimpulse. Ist also Dr. Will Caster nach seinem Tod Dr. Will Caster 2.0 oder nur eine digitale Projektion und Verarbeitung von elektrischen Impulsen? Ein spannendes Thema, leider ein wenig zu uninteressant inszeniert. So verhält es sich auch im Übrigen: Pfister erklärt so gut wie nichts, er reißt ein paar Gedanken an und reimt sich ein paar zusammen. Dieses Reimen bekommt an sich Spielraum, aber keine Interpretationsmöglichkeit. Viele Konsequenzen werden daher zusammenhangslos gezeigt, aber in einem übertriebenen Maße, obwohl sie nicht unbedingt unplausibel sein müssten, wenn man sie aussagekräftiger vorbereitet hätte.

Caster wird zu einem elektronischen Diktator, dessen Intelligenz in elektronischer und physischer Hinsicht die gesamte Welt beherrscht und sie ins Verderben stürzt. Was genau sich Pfister und Paglen dabei gedacht haben, ist unklar, da viele Konsequenzen nicht logisch begründet sind. Des Weiteren mangelt es dem Drehbuch an einer differenzierten Ausarbeitung der Charaktere. Die „Nolan-Factory“ ist nahezu unwichtig, auch der Erzähler Max Waters (Paul Bettany), der die Hin- und Hergerissenheit eines moralischen Wissenschaftlers verkörpern soll, bleibt so blass wie seine Figur Silas in „The Da Vinci Code“. Letztendlich ist „Transcendence“ nur ein netter Versuch, eine möglicherweise bevorstehene Katastrophe durch die Kombination aus Internet und Intelligenz zu thematisieren, weil er sich nach amerikanischer Art viel zu sehr in der Beziehung zwischen Evelyn und Will Caster verliert.

Meinungen

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