Als CCC-Produktion nimmt „Epilog – Das Geheimnis der Orplid“ sicherlich ein Stück weit vorweg, wie Produzent Artur Brauner kriminalistische Reißer anhand von Edgar-Wallace-Stoffen in Zukunft salonfähig machen würde. Helmut Käutners Genre-Werk des Nachkriegsdeutschlands ist aber vorerst noch entschieden dem Film noir und Spuren des Expressionismus verbunden, um sowohl im Narrativ als auch in der Visualisierung einen Nervenkitzel des kontemporären Pessimismus zu kreieren. Ähnlich Robert Montgomerys „Die Dame im See“ (1947) vermittelt er zunächst die Unmittelbarkeit des Zuschauers zum Geschehen anhand einer menschlichen Datensammlung aus der Ego-Perspektive. Reporter Peter Zabel (Horst Casper) versucht nämlich herauszufinden, warum die Orplid, eine ehemalige Luxusjacht der NSDAP, mitsamt ihrer Passagiere einer Hochzeitsgesellschaft gesunken ist. Die Spur führt ihn über Hamburger Kneipen und Londoner Ateliers zur stummen Überlebenden Leata (Bettina Moissi), welche die Ereignisse in jener schicksalhaften Nacht zumindest in Zeichnungen illustrieren kann.

Somit kann Zabel im Folgenden eine Rekonstruktion für Verlag und Zuschauer anbieten. Darin nimmt ein Wirbel aus enttäuschter Liebe, einer arrangierten Hochzeit, aus Geheimdienst-Machenschaften und politischen Absichten das Ensemble ein. Frei von melodramatischer Stilistik ist das Prozedere der erneut ablaufenden Realität im traumartigen Wanken; unmusikalisch, konkret und kompromisslos – wie die Herzlosigkeit der Schiffsmechanik auf der Tonspur. Käutner erschafft aus der Gewissheit des Unvermeidlichen in jenen Figuren aus guter Gesellschaft eine Atmosphäre, sich der Verzweiflung zu ergeben. Man kann schlicht nichts mehr ändern, wo doch die individuellen Verhältnisse von vornherein nicht optimal ausgegangen wären. Allen voran Aldo Siano (Carl Raddatz), Mitglied einer unbekannten Organisation, geht dabei als Drahtzieher des Fatalismus hervor und verschwindet im Sinne eines geplanten Attentates als Erster von Bord. Unter den Hinterbliebenen brechen Panik und Schuldzuweisungen aus.

Was vormals verdrängt wurde und stetig brodelte, wird jetzt im Angesicht des Todes ausgesprochen. Darauf folgt jedoch keine Katharsis oder gar rechtschaffene Erbauung im Dialog. Regisseur Käutner verdichtet stattdessen die Spannung in der Eskalation und schneidet auch in effektiver Kürze zur Ermattung hinein, wenn zum Beispiel der verdeckt ermittelnde FBI-Agent Stefan Lund (Peter Van Eyck) im Off vom brachialen Verlobten in spe, Martin (Hans Christian Blech), gefoltert wird. Es gilt nämlich herauszufinden, wo sich die Zeitbombe versteckt, mit welcher einer der Gäste, der internationale Waffenhändler Mr. Hill (Arno Paulsen), aus dem Verkehr gezogen werden soll. Dass dafür die ganze Belegschaft als Opfer gen Meeresboden in Kauf genommen wird, behandelt der Film ebenso abgeklärt und roh, wie er auch dem sonstigen Strudel der Gewalt mit Selbstverständlichkeit begegnet. Dieses inszenatorische Selbstbewusstsein des Thrills war anno 1950 gerade im bundesdeutschen Raum ein ungemütliches Novum und erst recht kein Publikumsmagnet.

Straff konfrontierend werden hier nämlich Extremsituationen emotionaler sowie politischer Ambivalenzen erschaffen. Menschliche Integrität gerät dabei auf den Prüfstand, wie auch die Verdrängung der Vergangenheit vor unseren Augen in der Rekonstruktion aufgelöst wird. Für die Grundschuld des Unglücks sind dabei nur wenige Faktoren zuständig – doch im Angesicht derer sind die Opfer unfähig und unwillig, zusammen etwas gegen ihre Situation zu tun. Irgendwann verteidigt jeder bloß sein eigenes Überleben bis hin zum entschiedenen Freitod. Jene Erkenntnis wird jedoch vom potenziellen Vermarkter im Verlagswesen, Cheflektor Dr. Mannheim (Hans Leibelt), nur mit Vorsicht genossen. Alles sei doch etwas spekulativ, vielleicht eher als fiktionalisierter Roman verwertbar und ohnehin mit zu viel Politik gepfeffert. Währenddessen warten extreme Auswüchse Letzterer mit Klingen in der Hand an den Aufzügen des absehbaren Wirtschaftswunders. Die Wahrheit steigt matt hinunter und wird im Abspann wieder symbolisch blutgetränkt nach oben geschwemmt. Die unvermeidliche Reflexion anstreben zu müssen, ist eben doch nur eine Frage der Zeit.

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