Zwei Liebende. Ein Paradies, ein Utopia. Doch ihre Liebe ist unbegreifbar, unantastbar; ihr Weg ein fortwährender Zirkel, eine Illusion. Als Alejandro Jodorowsky sein neo-surrealistisches Debüt „Fando und Lis“ frei nach Fernando Arrabal 1968 in Acapulco erstmals einem Publikum zeigte, lief dieses beinahe Amok, verfolgte den Regisseur, wollte ihn lynchen, als ob sein prekäres Werk sie selbst höchst körperlich und seelisch misshandelt hätte. Schließlich verlor man dreißig Jahre jegliche Ahnung von dieser so archaisch formulierten Skandalösität. Seine Wiederentdeckung und fortwährende Neuinterpretation im Jodorowsky’schen Kanon bleibt dennoch ein wesentlicher Schritt zu dem eigentümlichen Terzett aus den dann folgenden „El Topo“ (1970) und „Der Heilige Berg“ (1973). Denn „Fando und Lis“ erzählt von einem Ursprung des blasphemischen Lebens aus dem Herzen eines der wohl wahnsinnigsten Provokateure: wie ein Mythos, verwoben auf den Schienen zweier Polynome, welche ihre Maxima mit jeder Ableitung neu definieren.
So lässt sich auch ein jeder Jodorowsky niemals frei aus filmtheoretischen Anleihen konkretisieren, da er nahezu immun über den Künsten (und dabei nicht nur der reinen Filmkunst) schwebt. Manches ist für immer unerklärlich – für uns und für Jodorowsky selbst. Aber man merkt ihm dennoch an, er wolle Filme tatsächlich nicht mit seinen Augen, sondern mit seinen Eiern drehen. Gemessen daran bildet „Fando und Lis“ eine audiovisuell stimulierte (und stimulierende) Fata Morgana aus, geboren aus weitaus mehr Eiern, als Jodorowsky in sich trägt respektive tragen kann. Hier fordert er ein unglückseliges Paar auf der Suche nach der spirituellen Stadt Tar in seine „kitschigen“ Vorstellungen antiker Radierungen, welche seinen Filmen oft eine seltsame Form aufzwingen. Tar verspricht spirituelle Ekstase – da es die letzte verbliebene Zuflucht auf Erden inmitten aller Zerstörung ist –, und Glückseligkeit für die lädierte (und immerfort opake) Beziehung zwischen Fando und Lis. Tar scheint wie eine nicht nur namensgebende Wiederauferstehung der griechischen Unterwelt Tartaros: eine Qual und Hoffnung für all jene, denen es an einer Heimat mangelt. Das Schlimmste des Schlimmsten, die Plage der Menschlichkeit findet sich versunken in diesem unterirdischen See der Schande. Der Fokus liegt jedoch nicht im Ziel, sondern der Reise an sich.
So belastet ihre Reise das groteske Spiel der irrenden Fanatiker, welche aus den Felsenlandschaften um sie quellen wie Bienen aus ihren Stöcken, sowie die sadomasochistische Rivalität zwischen ihnen selbst. Im Verlauf des Films tauchen die zwei weiter und weiter in ihren Wahn, als Lis’ verzweifelte Rufe nach Fando mehr und mehr nichtig scheinen. Jodorowsky treibt sie hinein in Dantes Hölle, in eine „Göttliche Komödie“ der Absurdi- und Abstrusitäten, während auch „Fando und Lis“ Gesänge und dadurch aufsteigende Ebenen gliedern. Bourgeoise Elitäre, Transvestiten, von Schlamm umhüllte Körper inklusive. Suchten Fando und Lis tatsächlich nach diesem Paradies? Die Kameraführung und Bildgestaltung seines Regisseurs ist hier am Ursprünglichsten; die überbelichteten, kontrastreichen Schwarzweißaufnahmen unterscheiden sich außerordentlich von der spektakulären kinematografischen Kalkulation, welche „Der Heilige Berg“ schmückten, obgleich Jodorowskys Präsenz ebenso spürbar bleibt: Zooms aus und in die Vogelperspektive, vorsätzlich unrhythmische Schnitte, ein roher Score, der zugleich widersprüchlich und irritierend wirkt.
Obwohl Jodorowsky unzählige Ideen in verwirrten Netzen durch seine Filme spinnt (in „Fando und Lis“ eine generöse Portion elementarer Symbole von Eiern über weiße Ponys), bestimmt ihn dennoch fortwährend ein kohärentes Schema. Die Stadt Tar meint eine pauschal real gewordene Ahnung eines Utopia oder Gottes, doch bleibt unerreichbar wie „Der Heilige Berg“. In ihrem Optimismus bekundet Lis sogar, „wenn Tar nicht existiere, dann erfinden wir es.“ Die Reise nach Tar ist eine Reise in sie selbst; eine Wanderung durch das Unterbewusstsein, indem sie alle Last von der menschlichen Psyche abwarfen. Im Tod finden sie ihr Tar. Tod ist Freiheit, nicht länger zurückgehalten von den Momenten, die ihre Leben bestimmten. Doch mit den Momenten, die ihre Liebe bestimmten, schreiten sie voran. Sie werden eins statt zwei. Die psychisch paralysierte Lis wird ihren Beinen wieder Gehen lehren. Fandos Maskulinität wird auf keiner Probe mehr stehen; er wird keiner Unterhaltung mehr dienen. Jedes Spiel fordert in „Fando und Lis“ seinen Tribut: jenen der Unfähigkeit, wirklich zu lieben, jenen der Unfähigkeit, Fehler zu verzeihen.
Jodorowskys Filme funktionieren als aufwendige Methoden, die tiefschürfenden Ansprüche der Menschen beiseite zu drängen, um das omnipräsente Leben mit all seinen Wundern und seiner Absurdität zu genießen. Ein unleugbarer Reichtum des Fantastischen und Unmöglichen tränkt seine beharrlich exzentrischen Welten. Mittels „Fando und Lis“ zeigt Alejandro Jodorowsky die Schönheit des Schmerzes, die Schönheit des Unvollkommenen, die Schönheit des Leids. Im Leben generell. Inmitten des Grotesken, des Absurden und Surrealistischen.
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