Zack Snyders „Man of Steel“ erweitert unsere Ode an die Hüter der Menschlichkeit – so außerirdisch sie manchmal auch sein mögen. Ein Hoch auf die Superhelden!

Zack Snyder versteht es schon bei der Präsentation der jeweiligen Firmenlogos, einen auf die epochale Fantastik seiner Superman-Adaption „Man of Steel“ vorzubereiten. Verwebt in metallener Organik und getragen von den elektronischen Tönen Hans Zimmers, führt der Tunnel entlang der präsentierenden Statuen Hollywoods zum pochenden Herzen – und direkt in den Mutterkanal einer wiedergeborenen Sage. Mit welcher Konsequenz Snyder dann an den Mythos des Comicfilms herangeht: Seine Kamera (geführt von Amir Mokri) begibt sich in intensive Nähe, in Poren und Schweiß der gebärenden Mutter des Helden sowie ins überakzentuierte Korn des 35mm-Zelluloids. Allmählich gewöhnen sich die Augen an das Licht einer uns weit entfernten Welt. Der Planet Krypton, bevölkert von Humanoiden in verharzten Ritterrüstungen, umringt von ebenso biologischer Technik, obskurer Architektur und Dinosauriern.

Im Strom der außerirdischen Kultur prasseln die Eindrücke nur so auf einen ein und geben anhand ihrer Wildheit zu verstehen: Das hier ist nicht die realismusfixierte Nolanisierung eines Trivialstoffes, sondern ein dringliches und unfassbar eigensinniges Unding von Film. Der Siedepunkt ist auf Krypton nämlich schon erreicht und die Ausbeutung der Ressourcen beschwört die Katastrophe herauf – doch keiner im Konsul mag Jor-El (Russell Crowe) glauben. Seine Hoffnung vom Überleben der Zivilisation sieht er in der Flucht zu einer neuen Heimat; einem Neubeginn mit Sohn Kal-El, dem ersten Kind seit Jahrtausenden, das frei von genetischer Vorbestimmung geboren wurde. Eine Bestimmung wird Kal-El jedoch gegeben – auch da sein Vater den Kodex, eine Art Datenbank des kryptonischen Volkes, in ihn einpflanzt: Die Fehler Kryptons sollen von ihm auf der neuen Destination Erde als Brücke zwischen zwei Völkern vermieden werden, seine Fähigkeiten einer anderen Galaxie zum Wohl und Fortschritt aller dienen.

Dagegen steht der programmierte und selbst ernannte Retter seiner Spezies, General Zod (Michael Shannon). Als extremistisches und indoktriniertes Mitglied seiner Ära kennt er nur den Weg der Selbsterhaltung – er äußert eine Entschlossenheit, die zweifellos auch als tragische Selbstverständlichkeit der Wut gewertet werden kann. Die Opfer, die er für sein Ziel in Kauf nimmt, bemessen sich auf mehrere Millionen – dabei ist seine Gesinnung ebenso Produkt und Opfer einer dysfunktionalen sozialen Entwicklung. Snyder und Drehbuchautor David S. Goyer präsentieren diese Motivationen geradezu sprechblasenartig und heben sich den Diskurs der Ideologien für Konfrontationen auf, wie sie auch jede innewohnende emotionale Last in audiovisuelle Intensität umsetzen. Diese gleichzeitige Verknappung und Maximierung des Konflikts birgt aber auch eine Effizienz, die der Vermittlung des Ganzen kraftvolle Ehrfurcht schenkt.

So wie Snyder die Größe dieses fiktionalen Apparates nämlich in Perspektive setzt, indem er ihn ohne Vorbehalte zur Zerstörung führt und seine darin wirkenden Charaktere schnell entscheiden lässt, ist man ohne Weiteres mitten drin – man beachte allein jene Plansequenz, in der Jor-El die Ausmaße der destruktiven Verkettung seines Planeten im Panorama erblickt und der Zuschauer quasi direkt daran beteiligt ist. Solche Bilder ziehen klare Linien, wirken in ihrer Direktheit aber ungemein nach. Dabei wären sie aber nur halb so wirksam ohne die Einheit mit der musikalischen Themenbildung, welche bei der prägnanten Etablierung der Gefühle im Genre selten so treibend und sphärisch konzentriert wurde, wie hier von Hans Zimmers Orchester. Kein Wunder, dass die Introsequenz des Films auf Krypton als formvollendete Ouvertüre funktioniert, wie auch der sonstige Handlungsverlauf einer eher musikalischen, sprich expressionistischen Logik folgt. Und der Film mag es laut!

Zack Snyder hat zwar Respekt vor den Jahrzehnten an Vorlagen, welche das Charakter-Ensemble um Superman Stück für Stück aufgebaut haben – in seinem Drang, diese Verhältnisse auf die Essenzen genau zu destillieren und in ein muskulöses Kino der Eskalationen umzusetzen, erbaut er sich jedoch eigenen künstlerischen Respekt. Dazu gehört auch der Fokus auf eine Ästhetik, die mit knöchernen Waffen, verrotteten Schädeln und bizarren Kommunikationssystemen unterm Sternenhimmel zum befremdlichen Staunen einlädt. Diese Bilder erinnern an die schiere Grenzenlosigkeit der Comicwelten von Heavy Metal, Alejandro Jodorowsky (allen voran „Die Kaste der Meta-Barone“) und H.R. Giger wie auch an deren sexualisierte Symbolik. So fliegen der verurteilte Zod und seine Handlanger in Penis-artigen Kokons zur Phantomzone hinein; dorthin verdammt anhand einer mit Tentakeln tastenden Wurmloch-Vulva in der Umlaufbahn. Ohnehin findet der Film eine sinnliche Fixierung, je mehr er das Treffen von Entscheidungen voran treibt. Die kinetischen Stoßkräfte der Actionszenen müssen da gar nicht mehr gesondert erwähnt werden.

Solche grotesken Eindrücke schäumen vor Imposanz und Energie, funktionieren bereits in Einzelbildern als ambitionierte Kunstwerke aus Kamera, Produktionsdesign und Effektarbeit fernab jeder Blockbuster-Beliebigkeit. Hier steht das Fantastische entschieden für sich selbst. Diese Selbstverständlichkeit besitzt jedenfalls ungenierten Pathos und wie die Bestimmung des auf die Erde gebrachten Kal-El ikonischen Wert – trotz oder gerade aufgrund ihrer Sonderstellung auf irdischer Bühne. Snyder nimmt also das Comichafte der Geschichte als modernen Mythos ernst, ordnet es jedoch nicht dem Anspruch von manierlichem Ernst unter, wie Christopher Nolan seinen Batman in einen größtenteils erklärbar realistischen Rahmen setzte („The Dark Knight Rises“ war dahin gehend die lobenswert irrationale Ausnahme).

Der Übergang vom Außerirdischen hinüber auf die Erde gelingt Snyder also recht natürlich, da er sein erzählerisches Konzept darauf richtet, wie die Integration der galaktischen Kraft in den Alltag vollzogen wird und wie Jor-Els Werte von der helfenden Symbolik seines Sohnes ihre Erfüllung finden. Aber auch, wie sie nach ihrem eigenen Ursprung sowie einem Platz im Gesamtgefüge suchen. Dieses mentale Innenleben des heranwachsenden Kal-El (Henry Cavill) beleuchtet Snyder im Wechselspiel von Gegenwart und Vergangenheit. Wie schon zu Anfang geschieht hier das pointierte Pro und Kontra über Aufgabe und Schicksal des gesandten Aliens – nun durch Adoptiveltern Jonathan (Kevin Costner) und Martha Kent (Diane Lane), welche ihn Clark taufen und ihm seine Kräfte nicht erklären können; aber auch einen Zeitpunkt in Aussicht stellen, an dem er diese mit der Welt teilen kann. Dazu gehört auch, dass er den Einsatz seiner Fähigkeiten zurückhalten und dafür sogar Liebgewonnene opfern muss.

„Man of Steel“ behandelt das Thema und die Merkmale des Superhelden (man bemerke die Nahaufnahmen jener zu alles fähigen Hände) konsequenterweise so, als passieren sie zum ersten Mal. Drum wird hier stark auf das Dienen im Sinne der Menschheit sowie der Erstkontakt mit derartigen Lebensformen Wert gelegt. In diesem eher humanen Verständnis gelingt Snyder aber auch Harmonie mit erdgebundener Natürlichkeit und familiärer Struktur als wäre es das Einfachste auf der Welt. Sicherlich ist die Nachvollziehbarkeit des Zuschauers zu diesem Ambiente von nicht unwesentlicher Bedeutung; diese jedoch mit den anfänglichen Szenarien unter einen Hut bringen zu können, beweist Synders Gespür für emotionale Trefflichkeit inmitten sinnlicher Gestaltungsfreude. Anhand dieser inszenatorischen und thematischen Kombination findet eine Erdung statt – auch mithilfe der Journalistin Lois Lane (Amy Adams), die im Folgenden als irdische Perspektive im Fantastischen agiert.

Die Dringlichkeit des Narrativs bleibt jedoch ungebrochen und rauscht fast halluzinatorisch zur Konfrontation mit der Eigenmacht, die der Film im Eis der Jahrtausende hortet: In einem versteckten Raumschiff kryptonischer Abstammung lehrt ein Hologramm Jor-Els seinem Sohn die Demut vor der Verantwortung, die Entdeckung der inneren Kraft sowie die Vereinigung von Krypton und der Erde. Dabei behilft er sich wie Snyder einer genialen visuellen Aufarbeitung und erzählt die Geschichte von Krypton in einer flüssig metallenen 360-Grad-Leinwand, die stilisierte Illustrationen der Vergangenheit, derer Ambitionen und der darin gemachten Fehler formt. Aus dieser effizienten Vermittlung der Verhältnisse kommt Vater Jor-El schließlich zur Funktion des Supermans, Großes leisten zu können. Fast unvermittelt, doch ebenso selbstverständlich geschieht dann der ungebremste Vorstoß des Heldenschicksals, als er den Globus an sich trifft: der wundersame kathartische Erstflug Kal-Els – eine der schönsten, befreiendsten und bittersüßesten Sequenzen, die das moderne Kino zu bieten hat.

Bei der Begegnung mit Lois Lane in jenen Innereien des kryptonischen Erbes wird zudem eine Freundschaft geboren, die stellvertretend für Kal-Els entschiedenen Bezug zur Menschheit steht. Deshalb ist sie auch die Erste, die seine Existenz der Öffentlichkeit preisgibt und ihn auf seiner Reise begleitet, das integrale Puzzlestück zur Lösung der folgenden Umstände wird. Eine geschmeidige Einführung wird es allerdings nicht, da sich am Himmel bereits die umgekehrte Ideologie zum Verhältnis zwischen Alien und Mensch ankündigt: Zod und seine Schergen sind zurück und drängen die Erde darauf, Kal-El auszuliefern. Zunächst ungewiss, ob er sich deswegen der Weltbevölkerung stellen kann – da er womöglich ebenfalls als Gefahr angesehen wird und noch immer am Anfang steht, einen Platz im Gefüge der Menschheit einzunehmen –, vertraut er schließlich seinen Schützlingen und liefert sich dem Militär zur Extraktion aus. Dabei bekräftigt er zwar, dass sie ihn niemals wirklich kontrollieren werden, er aber der Erde behilflich sein will.

Dann tritt der entscheidende Konflikt ein, als Zod mithilfe von Kal-El und dem in ihm verewigten Kodex Kryptons eine neue Heimat auf der Erde aufzubauen gedenkt. Aufgrund der atmosphärischen Beschaffenheit der Erde, der sich Kal-El zeitlebens auch nur beschwerlich anpassen konnte, wird eine Koexistenz von Zod jedoch ausgeschlossen. Was folgt ist ein knapp einstündiger Exzess des Kampfes zwischen Superman und den letzten Überlebenden seines Ursprungs – eingebettet in eine Verzweiflung auf beiden Seiten, Kryptons Schicksal wiedergutzumachen. In Supermans Sinne heißt dies, die Wiedererweckung der Historie zu stoppen; in Zods Sinne, diese weiterzuführen – ganz gleich, wie schrecklich der Planet und seine Einwohner anhand von Terraforming darunter leiden müssen. Der Film scheut im Gegensatz zum Großteil eskapistischer Genre-Vertreter nicht davor zurück, den Tod Tausender darzustellen – umgesetzt in einen urbanen Terror, der Wolkenkratzer wie Glassärge auf die Massen einstürzen lässt.

Die Vorstellung eines allmächtigen Wesens findet hier seine furchterregenden Ausmaße. Das kann letztlich auch nicht von Superman aufgelöst werden, der noch nicht der souveräne Held sein kann, den die Comics porträtieren. Snyders kompromisslose Tour de Force wirft hier ihre kontroversesten Schatten, wie sie auch einen beständigen Druck von sich selbst fordert. Geradezu atemlos verengt sich die Zeit, in welcher der Schrecken von Krypton noch verhindert werden kann. Jeder Moment jongliert mit der Eskalation und bringt das Publikum in angespanntes Schwitzen. Die Sicherheit einer gängigen Comicfilm-Erfahrung ist nicht gegeben, dafür aber die audiovisuelle Einbeziehung in finstere Perspektiven. Snyder mag darin beinahe ein ästhetischer Sadist à la Michael Bay sein – erst recht, was die Sprengkraft seines digitalen Exzesses betrifft. Der Unterschied zwischen beiden ist aber eben doch Snyders unbedingte Empathie, bei der selbst neben dem Feuer und der Destruktion noch der Sinn für Menschlichkeit im Vordergrund steht. Superman rettet, vor allem diejenigen, die er liebt.

Dahin gehend nicht zu verachten: Mutter Martha Kent, die Projektionsfläche für Zusammenhalt schlechthin. Ihre Eigenschaft der freimütigen und unbedingten Liebe erstreckt sich neben dem Einfluss der Vaterfiguren über den gesamten Film und dient Snyders Verständnis für den Superhelden, der entschieden für die Erde kämpft und deshalb auch menschliche Fehler sowie platte Sprüche machen darf. So ist auch die Struktur des Streifens kein Produkt stimmiger Formalität, sondern ein Werk ungestümer Emotionen, das viele Fan-Erwartungen enttäuschte, beleidigte und sich zum Diskussionsstoff moralischer Festigkeit verselbstständigte. In der überwältigenden Bilderwelt des Zack Snyders gebiert eben jemand die Fantasie eines menschlichen Superhelden und fliegt mit Macht und Makeln durch die Ambivalenz seiner Existenz. „Man of Steel“ ist der Neuanfang eines Genres: herausfordernd, brutal und morbide – aber ebenso aufopfernd, naiv und gefühlsbetont.

Meinungen

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