Der gutmütig-mutierte, US-amerikanische Boy-Scout des zweiten Weltkrieges, Steve Rogers (Chris Evans), ist nun endlich in der Neuzeit angekommen und hat nur noch wenige popkulturell-historische Ereignisse nachzubüffeln; ụnter ạnderem die Heroisierung seiner eigenen Person als Captain America in den letzten Jahrzehnten – weshalb er neben zielsicheren Antiterror-Einsätzen auch zum womöglich letzten Treffen mit seiner inzwischen arg gealterten Liebe Peggy Carter (Hayley Atwell) antritt. Doch während wir uns nochmals an das mürbe machende 3D der Marvel-typischen Arri-Alexa-Kinematographie gewöhnen, offenbart sich der pathetische Schleier des vertrauten S.H.I.E.L.D.-Komplexes dem Captain bald als hinterfotzig-konspiratives Kalkül.
Die Bedrohung kommt aus dem Innern und aus gewissen Schatten der Vergangenheit; missbraucht die ambivalente Großmacht der militärischen Überwachung für einen Genozid anlässlich einer neuen, fanatischen HYDRA-Weltordnung. Wem kann der Captain da noch trauen, hin- und hergerissen zwischen klassischer Soldatenehre der vierziger Jahre und unsicherer Naivität im Angesicht fortgeschrittener und komplizierterer, politischer Beziehungen? Allzu große Umstürze in unserer Auffassung von bestimmten, bekannten Good Guys werden dabei natürlich nicht vollzogen, setzen diese doch effektiv zum perfekt-ausgetüftelten Widerstand an und entwickeln daraus anhand einiger neuer Verbündeter (speziell Anthony Mackie als Sam Wilson / The Falcon) ein actionreiches Abenteuer zur Umsetzung (inter)nationaler Gerechtigkeit.
Es wird reichlich geprügelt und geballert, verschiedenste Vehikel und Gebäude in Schutt und Asche gelegt, sogar der Body Count steigt stetig an, natürlich ohne explizite Darstellungen jenseits der gewohnten Genre-Regeln. Unter Disneys Führung wird der menschliche Körper nun mal sauber ausgelöscht, dafür erschaffen Pyrotechnik und Choreografie noch immer die erwünschte, brachiale, visuelle Kraft – wohlweißlich am meisten, wenn der überpowerte First Avenger mächtig austeilt. Etwas ernüchternd, aber auch vorhersehbar wiegt der Umstand, dass sich insofern kontinuierlich auf CGI-Spielereien verlassen wird, die besonders im gewohnt apokalyptischen Spektakel-Finale ihre Muskeln spielen lassen müssen, aber bereits zuvor reichlich zur Ausfüllung der künstlichen Kulissen beitragen. Irgendwas muss man ja mit dem 170-Millionen-Dollar-Budget anstellen …
Wie erfrischend da noch immer echte Sets und innerstädtische Schauplätze wirken, selbst wenn sie in ihrer Glattheit und Austauschbarkeit lediglich Mittel zum Zweck bleiben, beweist dafür die urbane, verhältnismäßig bodenständige Verfolgungsjagd Nick Furys (Samuel L. Jackson), der rabiat-mörderischen Geheimagenten und deren kongenial-praktikablen, fantasievollen Utensilien (ein mechanisch angetriebener Rammbock) anhand seiner eigenen High-Tech-Karre auf vollgepackten Straßen zu entkommen versucht – in etwa so wunderbar-energiegeladen wie vor kurzem Scott Waughs „Need for Speed“.
Ebenso herrlich albern wie dort treten hier einige Plotentwicklungen hervor, die noch am ehesten als Verbindungsstück zu Joe Johnstons klassisch-gefärbten Vorgängerfilm nach Indiana-Jones-Manier stehen. Da erklingen symphonisch-wundersame Töne, eines John Williams nicht unähnlich, sobald der Captain und Scarlett Johanssons Black Widow den geheimen Untergrund seiner alten Kaserne aufspüren und dort das in kilometerweit aufgestellten Computern verewigte Schlaumeier-Hirn des Nazi-Schergen Dr. Arnim Zola (Toby Jones) vorfinden. Dabei werden alle noch so weit hergeholten, historisch-revisionistischen Geheimniskrämereien aufgedeckt, die jegliche Kriegshandlungen des 20. Jahrhunderts als durchgeplante Manöver enttarnen – Illuminati lassen grüßen.
Unsere Helden empören sich verständlich schockiert gegenüber solchen Aufdeckungen weltpolitischer Illusionen, adaptieren jene Verschleierungs-, Rollenspiel- und Infiltrationsmethoden aber ebenso fortlaufend zum eigenen Vorteil, um den Fieslingen ebenfalls aus dem Innern heraus das Handwerk zu legen – wenn auch Henry Jackmans Score für diese dramatisch-aufgelösten Situationen wieder vorwiegend das Hans-Zimmer-Einmaleins des Superhelden-Genres hervorkramt. Ohnehin bemüht sich dieser Eintrag in Marvels filmischer Planwirtschaft trotz einer guten Menge an visuellen und ausgesprochenen Pointen sowie vielen physikalischen Unmöglichkeiten um einen intensiven Ernst der omnipräsenten Unsicherheit, welcher in gewissen Sequenzen durchaus zu fesseln weiß, allen voran wenn der Handlanger Crossbones (Frank Grillo, der geborene Charakterdarsteller) die Belegschaft zum kaltblütigen Mord von Millionen zwingen will.
Da orientiert sich die gewohnt familienfreundliche Adaptionsformel des von Stan Lee erschaffenen und vom Micky-Maus-Monopol aufgekauften Comic-Konzerns erstmals an der um Authentizität und Härte buhlenden, ethischen Angespanntheit eines DC-Nolan-Streifens (zudem wird die bereits aus frühesten Trailern bekannte, schwebende Tauchsequenz von Zack Snyders „Man of Steel“ beinahe 1:1 übernommen). So versucht man anhand des unberechenbaren Winter Soldier (Sebastian Stan) einen enigmatisch-berüchtigten, unzerstörbar-anarchischen und tödlich-präzisen Antagonisten zu erschaffen, der in seiner persönlichen, konträren Wechselwirkung zu Steve Rogers der psychologisch eindringlichen Größe eines Jokers entsprechen soll. Er arbeitet also im Grunde ähnlich effektiv wie unser heldenhafter Captain, nur eben unter zwielichtiger Flagge zu rabiateren Zwecken, quasi trotzdem für die selben Leute. Ein moralisches Spiegelbild interner Kräfte, wo ohnehin jeder Feind und Freund sein kann. Dass dieser ebenfalls wie Rogers aus der Vergangenheit wiedererweckte und fähige Krieger von bösen Mächten manipuliert und sadistisch zum Auftragsmord abgerichtet wird, verleiht ihm eine tragische Komponente, die sich trotz seiner systematisch-unaufhaltbaren Wut letztlich in einem minimalen, ambivalenten Anflug von Wiedergutmachung beweisen will.
Die komplette Entwicklung wird zwar nicht ausgespielt, bis dahin steht aber der formelhafte Kampf gegen das Böse auf dem Tagesplan, der zwischen ewig-währender 9/11-Bewältigung und der Angst vor Obamas Drohnen wie seit jeher die obligatorische, nicht näher definierte „Freiheit“ des Volkes (durch/gegen Aufrüstung) verteidigt. Die mutigen, abenteuerlustigen und cleveren Mannen von S.H.I.E.L.D. kriegen das schon hin, und ehe man überhaupt was von dem Konflikt mitbekommt, ist er auch schon wieder vorbei – nur die ganzen Trümmer gilt es wegzuräumen, bis zum nächsten, eventuell mal wirklich alles-umpflügenden Kräftemessen der Comichelden. Immerhin innere Konsequenzen gibt es durchaus in diesem Zwischentitel der Avengers-Reihe zu bewundern: die Enttäuschung über die Korrumpierbarkeit des Systems ist für einige Entscheidungsträger zuviel. Diese stellen sich auch mehr oder weniger ihrer Verantwortung und geben sich der Öffentlichkeit erstmals preis, ziehen sich aber so oder so fürs Erste aus dem Business entschieden zurück – genügend Nachwuchs ist sowieso vorhanden.
Eine Wiederkehr ist dennoch gewiss und ohnehin schon von einem erwarteten, millionenfachen Einspielergebnis vorausgeplant. Steve Rogers und sein Film (von Anthony und Joe Russo) haben ihre Rückkehr pflichtbewusst und massentauglich gemeistert, mit präzise abgeglichenen Unterhaltungswerten für den unbedarften Sattmacher-Schub, der seine angepeilte, politische Agenda nur im mäßig-aufgelösten Kreis umher zu bewegen vermag (trotz einiger subversiver Machenschaften sind Gut und Böse am Ende wieder genau identifizierbar). Ob sie abgesehen von der Verfeinerung ihrer Sinne, der Proportionierung der Schauwerte und der Vergänglichkeit des Vertrauens irgendwas Abgefahrenes oder Profundes dazugelernt haben, bleibt abzuwarten.
Der Zweck erfüllt sich jedenfalls vorzüglich und bleibt bei über zwei Stunden Laufzeit durchaus gewitzt und explosiv – ein explizit-auftretendes Gespür für Risiko, Ambitionen oder Überraschungen bleibt aber erneut bestellt und nicht abgeholt; da steht „Iron Man 3“ (2013) wohl oder übel ungeschlagen. Denn wo immer auch Misstrauen und Unentschlossenheit entstehen, kann man noch wie gehabt erfolgreich Muckis, Stahl, Schießpulver, ausgefeilte Strategien, Referenzen an frühere und kommende Leinwandabenteuer sowie das Animationsteam aus Korea entgegensetzen – auf Dauer wird das aber nicht reichen. Es bleibt die Erkenntnis: Für die Zielgruppe erwartungsgemäß gelungen, mit gewissen Höhepunkten ausgestattet, jedoch kontinuierlich der Macht der Gewohnheit und der manierlichen Aufbaufunktion für Joss Whedons zweites Avengers-Familientreffen untergeordnet.
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