And we have a winner! James Gunn ist mit seinen „Guardians of the Galaxy“ als letzter 2014er-Output der Marvel-Studios deren wohl bester Film unter Disneys Ägide gelungen. Dies aber so zu vereinfachen, würde dem Werk jedoch nicht wirklich gerecht werden. Denn hier wird etwas Neues gestartet, das sich nicht mit früheren Episoden einer Avengers-Reihe verbinden muss oder auf etwas Bestimmtes inklusive Cliffhanger-Shit hinarbeitet, wie ein austauschbares Rädchen in einer größeren Serie (klar, Thanos kommt hier drin vor, aber eben nur ansatzweise) – und das, obwohl die Guardians ja schon in die sogenannte Phase Two (oder ist es schon Three? Keine Ahnung) Kevin Feiges eingearbeitet sind. Nein, stattdessen hat man sich darauf konzentriert, einen echten, eigenständigen Film aus dieser Comic-Adaption zu machen, der zudem nicht wirklich dicht am bewährten Kanon von Superhelden dran ist, sondern in den durchgeknalltesten Ecken des Weltalls verkehrt.

Das füllt den Streifen mit außerordentlich vielen irren Wesen und Technologien, aber nie wird man vom Inhalt über den Haufen geschmissen – er bleibt durchwegs überraschend pointiert und zusätzlich stark geerdet, einerseits, weil viele Masken und Sets praktisch gelöst wurden und andererseits, weil das CGI selbst bei den verrücktesten Viechern geradezu fotorealistisch erscheint. Dadurch und noch viel mehr ist ein klassisches, poppiges Space-Abenteuer entstanden, das sich mit exakt proportionierten Einsätzen von Humor (jede Pointe sitzt!), Action, Absurditäten und schieren, inszenatorischen Schönheiten bewährt und über allem eine emotionale Reise unserer Protagonisten einbindet, die schlichtweg pure Energie, passionierte Motivation und unbedarften Fun mitbringt. So ziemlich jeder unser Helden fängt innerlich gebrochen an, hadert schon seit Langem mit Verlusten in der Vergangenheit und der Angst, wieder etwas zu verlieren, wenn sie zusammen eine Bindung eingehen. Daraus wächst aber ein neuer Ansporn, eine größere Funktion im Sinne der Rechtschaffenheit und erst recht der Freundschaft.

Gehen wir dafür kurz auf die einzelnen Biographien des Ensembles ein. Peter Starlord Quill (Chris Pratt) erlebt gleich zu Anfang bei einem Rückblick zur Erde im Jahre 1988 als kleiner Junge eines der wohl schlimmsten Szenarien überhaupt für sein Alter: Die Mutter liegt im Sterben. Das Einzige, was sie ihm hinterlässt, ist ein letztes Geschenk (das er erst viel später im Film aufmacht – tatsächliches Set-Up & Payoff; nicht gerade eine Priorität in den meisten Drehbüchern moderner Blockbuster) und ein Mixtape mit den Lieblingsliedern ihrer Jugend. Kurz darauf wird er ohne Weiteres vom intergalaktischen Kopfgeldjäger Yondu (Goldschatz Michael Rooker, der stets eine listige Fernlenkwaffe kommandiert und sie gegen Ende vollends badass einsetzen darf) entführt, arbeitet jedoch Jahrzehnte später in den weiten Tiefen des Kosmos ebenso als taffer, lockerer Schatzsucher – aber immer noch durchgehend mit dem Mixtape per Walkman unterwegs (das im Verlauf die groovigsten Euphorie-Pusher über die Sci-Fi-Knallereien legt, nah dran am rockigen Elan von „Heavy Metal“), denn das ist nun mal Mutti!

Klar ist Quill ein gewitzter Raumschiff-Experte und zudem sehr freimütig im Umgang mit den so unterschiedlichen Damen dieser Galaxis (à la Captain Kirk) – doch in ihm steckt auch der nostalgische Romantiker und ein kleiner, unschuldiger Bub, der sich nun mit Schlagfertigkeit, Sarkasmus und Hitzköpfigkeit, aber auch einer guten Menge charmanter Heroik durchs Leben schlägt. Eben kein dusseliges Manchild, eher ein aufgestiegener und abgeklärter Average-Joe (japp, ohne Superkräfte). Dann wäre da Gamora (Zoe Saldana), die als Adoptivtochter von Thanos im Auftrag seines Untergebenen Ronan (Lee Pace) und seiner biologischen Tochter Nebula (Karen Gillan) jenes Orb zurückerlangen soll, das Quill jüngst gestohlen hat – das Teil beinhaltet nämlich eine Mega-Massenvernichtungswaffe, mit der man so ziemlich das Universum unterjochen beziehungsweise auslöschen kann, weshalb sodann alle danach jagen und es verkaufen wollen. Sie verfolgt jedoch ebenfalls Letzteres, um sich von ihrer Adoptivfamilie freikaufen zu können – den Verlust ihres früheren Stammes hat sie eben nun mal seit jeher nicht überwunden und so lebte sie fortan unter Feinden, weshalb neue Freunde doch gerade das Richtige für sie wären.

Bevor sie sich dazu aber überwindet, geht es erstmal in den Knast, denn bei Quills Zwischenstopp zum Verkauf des Orbs auf dem Planeten Xandar versucht nicht nur sie, ihm das Macguffin abstrittig zu machen, sondern auch ein weiteres Duo an unabhängigen Kopfgeldjägern: Rocket (Bradley Cooper), ein genetisch-manipulierter und oftmals zornig-zynischer Waschbär und seine begleitende Chewbacca-Entsprechung, die humanoide, bärenstarke Superpflanze Groot (Vin Diesel), welche nur einen Satz, „I am Groot“, aus sich herausbekommt. Ersterer bezieht seine Wut meistens schlicht aus seiner bloßen Existenz, die ihn unfreiwillig zum Freak deklariert und auf einem recht grausamen Experiment beruht (mehr dazu in einer der Vorlagen – keine nette Angelegenheit), Zweiterer festigt weiter das Thema des Films von Verlust und Wiedererlangung, da er zwar traurig drein schaut, wenn er seine hölzern-verzweigten Arme verliert, aber immer damit rechnen kann, dass sie sowieso wieder nachwachsen.

Er ist durchaus eine simplere Frohnatur, doch selbst in seiner Unbeholfenheit stets nützlich erdacht. Das nennt man Respekt gegenüber den Charakteren, denn auch wenn sie ständig ironische Oneliner rüberbringen und die Situation, in der sie sich befinden, verballhornen, lacht der Film nicht über sie (Captain America und Thor haben so einiges davon abgekriegt), sondern mit ihnen und verleiht denen selbst in den niedergeschlagensten Momenten eine Handlungs-entscheidende Funktion, die den Charakter weiterentwickelt und aufblühen lässt – wieder mal entscheidet da ein gutes Drehbuch alles. Habe ich schon erwähnt, dass es ebenso hauptsächlich von James Gunn geschrieben wurde? Dem Macker hinter „Tromeo & Julia“, „Slither“ und „Super“? Der junge Mann ist inzwischen offenbar gut herum gekommen.

Aber Halt: Wollen wir mal nicht vernachlässigen, wen unsere Gefangenen just in den interstellaren Gefängnismauern als Verbündeten vorfinden: Drex der Zerstörer (Dave Bautista), welcher nach der Ermordung seiner Frau und Kinder durch Ronan einen harten Rachedurst schiebt und deshalb auch ganz schön wütend auf Gamora ist. Doch dank Quill lässt er sich davon überzeugen, ihr Leben zu verschonen, denn für die Erfüllung seiner Lebensmission ist sie von größter Wichtigkeit (wie man schon erwarten kann, wird Vergebung schlussendlich auch zu seinem Credo). Zu seiner Wichtigkeit im Beitritt der Gruppe kommt ohnehin, dass er massig Muckis in petto hat – aber auch einen Großteil der besten Pointen dieses Films, da seine Zivilisation kein Gefühl für Metaphern besitzt und alles wortwörtlich nimmt. Hier an dieser Stelle auch nur einen daraus resultierenden Dialog zu verraten, wäre Blasphemie, dürfte aber auch so letzten Endes für das Gros der Zuschauer zu den denkwürdigsten Momenten dieser Film-Erfahrung werden. Erwähnt werden sollte aber zumindest noch seine stürmische Krieger-Natur, die jeden noch so gut durchdachten Plan durcheinander wirft und dringlicher macht.

Doch dahin gehend ist er gar nicht mal so alleine, denn sobald sich unsere durchweg sympathisch-wahnwitzigen Charaktere zwangsläufig zusammenfinden, um aus ihrer Misere zu entkommen, sind Pläne zunächst immer das stolze A und O, werden durch Improvisation aber schnell und flexibel umgewandelt, denn gemeinsam schafft man nun mal mehr (auch mehr Zerstörung). Und durch diesen unaufhaltbaren Drang erhält der Zuschauer nicht nur dieselbe Euphorie im Voranschreiten durch die abgefahrenen, bunt-designten und kurzweilig-aufregenden Space-Szenarien, sondern unsere Charaktere auch die schon oben genannte Bindung, die sich immer ferner von der Beute des Orbs entfernt und stattdessen auf das Gute und Brüderliche, Liebende hinarbeitet. Speziell sei da die Beziehung zwischen Quill und Gamora genannt, die eine ganz natürlich entwickelte Zuneigung heraufbeschwört, weil man sich gegenseitig aus dem Trübsal der Vergangenheit herausziehen und wirklich wieder leben will – Musik und Tanz wirken da schon Wunder und holen das Schönste an eskapistischem Charme heraus. Dieser Gedanke des Willens neuer Lebensimpulse wiederholt sich fortlaufend und unterstreicht selbst die Effekt intensivsten Sequenzen mit einem süß-wahrhaftigen, emotionalen Gewicht, dass die ansteigende Sorge der Charaktere zueinander umfasst und auch visuell entsprechenden Zauber hervorbringt. Als beispielweise eine der Figuren eine andere vor dem sicheren, frostigen Erstickungstod im All rettet und sich potenziell selbst dafür opfert, während man in Großaufnahme die zahlreichen Eiskristalle auf der Haut bilden sieht. Oder auch diese Armada an Raumschiffen, die in epochaler Formation ein massives, goldenes Netz über den eindringenden Feind spannt, um ihren Planeten zu beschützen.

Ganz zu schweigen von all den schönen Sachen, die Groot aus seinen Zweigen herausziehen und erleuchten kann – schwärmerische Niedlichkeit, klar, aber so lyrisch und kompromisslos in den Fokus gestellt, dass es ganz schnell ein Lächeln auf die Lippen zaubert. Und zusätzlich dazu kommt auch weiterhin nichts zu kurz, was den Filmfreund beglückender Kinokunst begeistert: Es darf viel gelacht, spannende Laser-Shootouts bewundert, clevere Pläne entfaltet und fesche Oldies gehört werden – eben eine genüssliche Thrill-Ride, bei der jede einzelne, Story- und Charakter-technische Nuance stimmig vermittelt wird und teilweise auch die wohl besten Leistungen seiner Hauptdarsteller zulässt (besonders Saldana und Batista glänzen hier wie noch nie).

Sicher gibt es immer ein paar Schwächen im großen Ganzen: Einige Luft-Schlachten gestalten sich etwas zu lang Computer-fokussiert und chaotisch, Glenn Close zeigt nicht gerade reichlich Engagement für ihre Rolle als Nova Prime und manche Stilelemente beziehen ganz klar so einiges vom Geist des ersten „Krieg der Sterne“ (der ja wohlbemerkt auch viele Referenzen aus früherem Filmstoff für eigene Zwecke bezog). Aber dass der Film gerade eben aus diesem Geist entstanden ist, eine fantastische Weltall-Oper mit urigen Gestalten nachvollziehbar-geerdet, überraschungsreich-packend und humorvoll-menschlich zu erzählen und dabei mit vollem, gezielten Einsatz charakterlicher Stärken zu arbeiten, ist schon eine wundervolle Ausnahme-Erscheinung passionierter Filmarbeit, nicht bloß ein beliebiger Comicfilm. Außerdem macht es doch sowieso einfach saumäßig Spaß zuzuschauen, wie ein Trupp von sympathischen Underdogs zusammenfindet, sich Freundschaften bilden und jeder sodann gemeinsam im Kampf gegen den Verlust und für das Schicksal der Galaxie und eben diesen neu geknüpften Beziehungen arbeitet – Enthusiasmus, Optimismus, Belohnungen und Hoffnungen gehen da natürlich Hand in Hand, auf beiden Seiten des Bildschirms. Man kann jetzt zwar noch nicht voraussehen, ob Gunn die aktuelle Generation an Zuschauern mit seinem hochqualitativen Sommer-Spektakel so definieren wird, wie einstmals George Lucas (von dem auch ein etwas weniger allseits-beliebtes Produkt einen Auftritt hat) – aber J.J. sollte weiterhin streng am Ball bleiben, wenn er nächstes Jahr mit den Guardians mithalten will. Und ja, man bekommt richtig Bock, weitere Marvel-Filme in der Zukunft zu erwarten, insbesondere dann, wenn Starlord und Co. mitmischen. Ich werde da sein wie dieses Jahr und schlicht alles sehen – Excelsior!

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