Für immer Kind sein, das ist die Devise von Peter Pan, jener Fantasiefigur aus dem Fundus J. M. Barries, die schon über ein Jahrhundert durch Kinderköpfe, Märchen und Filme geistert. Nun ist die existenzialistische Aussicht der Figur aber nicht ewig haltbar – Steven Spielberg schaute bereits 1991 auf das Danach und die Konsequenzen der Verantwortung. Joe Wright hingegen blickt sich in „Pan“ um, ob eine ewige Jugend tatsächlich unmöglich ist, und zeichnet den Ursprung des Junggebliebenen als Flucht aus dem Alltag, die das höchste Schicksal schlechthin ausmacht. Kritisches Potenzial kommt also mehr von den Erwachsenen im Nimmerland, die überhaupt erst Konflikte und Unterdrückung fördern, dort jedoch ebenso eine Heimat finden und daher letztendlich der kindlichen Unbedarftheit folgen wollen. Eskapismus ist hier ein dufter Retter, obwohl der Schritt von der Realität ins Fantasiereich alles andere als reibungslos verläuft.

Als Säugling von der eigenen Mutter ausgesetzt, schlägt sich Peter zunächst durch ein Waisenhaus während des Zweiten Weltkriegs. Dort nutzen die Kinder den Fliegeralarm aus, um von der Obernonne zurückgehaltene Süßigkeiten zu erlangen, was gewiss filmischen Spaß mit sich bringt, aber gleichzeitig ankündigt, dass man Zeuge einer Origin wird. Der Held trägt nämlich eine Kette mit einer kleinen Panflöte um den Hals und die fiese Leiterin keift ihn zudem entschieden an, dass er niemand Besonderes sei – ein Waisenkind und nicht mehr. Der erfahrene Zuschauer weiß spätestens dann: Er wird ihr das Gegenteil beweisen. Und wie es der Baukasten des modernen Blockbusters will, wird er der Auserwählte; ein Hybrid zwischen den Welten und Befreier aus einer Prophezeiung. Nicht nur ein Held, sondern ein echter Superboy. Doch aller Anfang ist schwer. Wright zeigt sich zwar durchaus erfinderisch, solange die Schiffe Blackbeards (Hugh Jackman) als deutsche Luftwaffe fehlinterpretiert und über London gejagt werden, aber sobald es in die Minenarbeit für Feenkristale geht, spult sich ein befremdliches Sammelsurium an Tönen ab.

Hier ein bisschen „Fluch der Karibik“, dann eine Portion „Star Wars“, dort Terry Gilliams „Münchhausen“ … die Liste ist endlos, bis ein süßes, doch wenig eigenes Potpourri zum Standardepos homogenisiert wird. Nicht nur als Prequel hat es „Pan“ schwer, auf eigenen Beinen zu stehen. „Smells like teen spirit“ und „Blitzkrieg Bop“ schallen aus den Chören der Kinderarbeiter, während Ausstattung, Zwergenassistenten und die Oberherrschaft des flamboyanten Bösen über eine Kuhle an Kids und Kumpeln nicht von ungefähr an „Mad Max“ und insbesondere „Jenseits der Donnerkuppel“ erinnern. Das liegt mitunter auch an dessen kinderfreundlichem Setting einer Kommune im Wald, die durchaus vom Pan-Fundus inspiriert war. Sobald aber der spätere Captain Hook (Garrett Hedlund, permanent im Overacting-Modus) kopfüber an Seilen hängt und seufzt, auf einem Riesentrampolin im Sprungspektakel kämpfen muss, als säße er direkt in den Thunderdome-Schleudern, gibt es nur wenig Zweifel, woher Drehbuchautor Jason Fuchs seine Ideen nimmt. Viele sind es zudem nicht, aber man kann es ihm nicht verübeln.

Die Geschichte um Peter funktioniert in ihrer Essenz über mehrere Variationen – warum sich also nicht dieser Welt bedienen und ein Abenteuer nach altbewährter Manier aufspielen? Querverweise zu den bekannten und in diesem Kontext zukünftigen Figurenverhältnissen sind Fuchs’ größte Schwäche, doch über Langeweile muss sich niemand beklagen. Ausgerechnet in den Actionsequenzen mit erwartbarer Konklusion schaltet man jedoch unweigerlich auf Durchzug und erlebt beachtlich wenig emotionale Resonanz. Das hat durchaus mit einem Übermaß an CGI zu tun, aber auch mit einer nur oberflächlichen Ambition seitens Wright. Wenn aber etwas von ihm bleibt, dann das Pompöse, der Hang zur Ausstattung und einigen extravaganten Kameraeinfällen, die von einem effektiv geführten, doch austauschbaren Cast bewandert werden – wie Rooney Maras Tiger Lily. Die Thematik kratzt an derselben Oberfläche wie „Wer ist Hanna?“: Sehnsucht nach Familie und Vertrauen, Glück unter unmöglichen Umständen – hier auf ein simplifiziertes Konzept geeicht, bei dem Peter unter allen Umständen an sich glauben muss.

Für die Kleinen reicht es, bleibt aber natürlich mehr Mittel zum Zweck als Ansporn für ausgereiftes Storytelling. John Powells Score bemüht sich noch um ein bisschen Farbe, während der Umgang mit Tod wortwörtlich dasselbe macht. Abgesehen davon hat „Pan“ keine Scheu, seine Gefahren auszusprechen und in einer angemessenen Sprache zu vermitteln. Gleichsam traut man sich aber auch plakative Trotteleinlagen, die sich als offensichtliche Auflockerung nicht allzu selbstsicher in den Vordergrund stellen. Dafür entschädigt manch aufreizendes Produktionsdesign und die harmlose Leichtigkeit des Films sowie ein Dreifach-Cameo von Cara Delevigne als Meerjungfrauenkombo. Allerdings mangelt es insgesamt daran, die Magie kindischen Leichtsinns zu verinnerlichen oder dem Zauber der Fantasie neue Aspekte abzuverlangen, die nicht bereits von Disney, Spielberg und anderen bekräftigt wurden. „Pan“ wird nicht ewig jung bleiben, selbst wenn er noch so entschieden daran glaubt.

Meinungen

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