Legendary Pictures, eine Produktionsfirma mit Sitz im kalifornischen Burbank, die seit 2005 mit „Batman Begins“ bei Warner Bros. unter Vertrag stand und seitdem einige profitable, hauptsächlich eskapistische Genre-Streifen für die erweiterte Popkultur-Zielgruppe mit erschuf (unter anderem: „300“, „Hangover“, „The Dark Knight“), löste sich vor kurzem von ihrem Jahre langen Vertriebsarm und kam schließlich bei dem höheren Bieter Universal Pictures unter. Eines der ersten Produkte unter dieser neuen Konstellation stellt „Dracula Untold“ dar, ein Prequel zum oft verfilmten Bram-Stoker-Roman, das sich die theoretischen, aber nie existierten Verbindungsstücke zwischen dem historischen Wirken des berüchtigten Fürsten Vlad III. der Walachei im 15. Jahrhundert und der fiktionalen Vampir-Figur Stokers ausmalt. Hinter der Kamera ist dafür Gary Shore tätig, welcher nach zahlreichen Werbearbeiten erstmals einen Spielfilm betreuen darf – doch so austauschbar wie seine Handschrift hier wirkt, könnte man genauso gut davon ausgehen, dass ein Komitee an Produzenten schlichtweg ein fertiges Storyboard abgesegnet und durch den Computer für die filmgewordene Umsetzung geschleust hat.

Denn Legendary Pictures haben keine Kosten und Mühen gescheut, bekannten Mustern erfolgsversprechender Neuinterpretationen fantastischer Populär-Stoffe zu folgen, sodass diese Variante des Dracula-Mythos letzten Endes eine Mischung aus epischen Schlachtengemälden à la „Herr der Ringe“, dem glatten modernen Horror-Prozedere voller erwartbarer Jumpscares und sogar geläufigen Superhelden-Moralzwisten darstellt. Daraus wird ein mythisch-mittelalterliches Ambiente geschaffen, in welchem Vlad Tepes (Luke Evans) seine Heimat als aufrechter Fürst gegen die imperialistischen Türken verteidigen will (der Film hat keine wirklich nennenswert-durchdachte, politische Agenda, lässt aber dennoch so einige Klischees durchscheinen) und daher einen Pakt mit einem in den Bergen lebenden Räuden-Vampir (Charles Dance) eingeht, der ihn in einen übernatürlichen Mega-Krieger verwandelt, welcher aber auch damit zu kämpfen hat, trotz seiner Eigenschaft als blutgieriges Fabelwesen von der einheimischen Gefolgschaft akzeptiert zu werden und seine Familie um Frau (Sarah Gadon, „Enemy“) und Sohn zu beschützen – und alles im Rahmen eines (gut ausgereizten) PG-13-Ratings.

Einerseits erscheint an diesem Konzept schon etwas bizarr, den als grausamen Pfähler bekannten Herrscher zum ehrenhaften Opfer der damaligen Umstände zu heroisieren und empathisieren, andererseits bewegt sich das alles auf derartig Genre-gemäßen Pfaden, dass man kaum Anstoß daran finden oder gar damit identifizieren kann – einfach auch, weil der Film so verläuft, wie es sich jeder halbwegs erfahrene Zuschauer von vornherein erdenken kann und hierin relativ souverän mit der Distanz einer historischen Fantasie erfüllt wird. Sicherlich wirkt die Umsetzung wie ein pausenloses Abarbeiten konventioneller Szenarien, sicher ist der Cast wieder nur mit halbem Arsch bei der Sache und wird mit Leichtigkeit von CGI-Effekten, Setdesigns und Action-Setpieces überschattet – aber wenn man nichts anderes erwartet, wird man auch nicht unbedingt enttäuscht, da man hier auch zumindest wirklich versucht, den geneigten Zuschauer zu befriedigen, im Gegensatz zur anderen Monster-Reinkarnation dieses Jahres, „I, Frankenstein“, welche nicht mal ansatzweise den Elementen der Vorlage gerecht wurde und mit ungebändigtem, kreativen Desinteresse auf allen Ebenen langweilte.

Man kann ja über Legendarys Methoden sagen, was man will, aber ihre Storyboards sind nicht von schlechten Eltern, immer theoretisch hip und unterhaltsam-inventiv, wenn auch hier nicht vollends geschickt, mit den Regeln und Implikationen des Vampir-Daseins arbeitend – teilweise so bemüht bis zum Rande unfreiwilliger Selbstparodie und dann aber auch wieder effektiv-euphorisch in Szene gesetzt; speziell, was die Optik angeht. Denn Legendary setzt auch dieses Mal auf eine möglichst fotorealistische Plastizität in der Computer-Animation, die ausgezeichnet auf den starken, rohen Kontrast und Filmkorn des 35mm-Materials eingestimmt ist. So viel Ambition für reizende Optik macht schon einiges an Kurzweil aus (und hat auch eine elegant-einfache Schönheit inne, etwa dann, wenn Dracula seine Fähigkeiten erstmals rein audiovisuell-vermittelt ausprobiert und dabei durch die Wolken zu den Sternen heraufsehen kann), auch wenn der inhaltliche Anteil des Films auf wesentliche Einfältigkeiten und hölzerne Dialoge beschränkt bleibt und dabei erneut humorlos, sogar gleichgültig, die düstere Schiene gepeinigter Helden runterschlittert.

Im Gegenzug dazu erhält man aber: die irrwitzige Entschlossenheit eines Draculas, der sich als Ein-Mann-Armee durch die zahlreichen Reihen der angreifenden Widersacher als flitzender Fledermaus-Schwarm behaupten kann; Dominic Cooper als orientalischen Widersacher, der seinen gesamten Trupps anordnet, Augenbinden zu tragen, damit sie nicht von den coolen Fähigkeiten des Vampirs abgelenkt werden (= gigantische Fäuste aus Fledermäusen!); einen typischen, annehmbaren Racheplot mit klimatischen Showdown inmitten blitzender, Optik verzerrender Silbermünzen und – zuguterletzt – ganz viele, irre komisch-aufgesetzte Anspielungen auf Bram Stokers klassischen Roman. 

Spoiler: Abgerundet wird dies von einem Schlusspunkt, welcher die Figur des Draculas in unsere kontemporäre Realität versetzt, dabei eine schön honkige Poesie reinkarnierter Liebe und auch noch scheinbar ein Sequel aufzubauen versucht. Richtig toll wäre aber gewesen, zu suggerieren, dass Dracula so lange überlebt hat, dass er sich heute als Schauspieler Luke Evans ausgibt – das hätte dem Ganzen noch mal die Krone der Genialität aufgesetzt. Hier bleibt die glatte Regelbefolgung des evaluierten Genre-Konsens aber immerhin konsequent.

Unterm Strich bietet „Dracula Untold“ eine insgesamt durchschnittliche Filmerfahrung, die schon mit ihrem Vorschaumaterial nicht mehr oder weniger verspricht, als sie tatsächlich liefert. Technisch gesehen ist alles solide und bietet trotz aller Formelhaftigkeit gewisse gewitzte beziehungsweise optische Spitzen im düsteren Gewand, die am ehesten jüngere Zuschauer umhauen könnten, aber nichtsdestotrotz mit flottem Gestus die neunzig Minuten Laufzeit hinweg fließen lassen. Dem Film hätte jedoch zweifellos geholfen, sich jenseits der publikumsfreundlichen Abgeglichenheit seiner Ingredienzen durch den Legendary-Produzentenstab entweder wirklich mehr in ein kompromissloseres, finster-mittelalterliches Horror-Szenario (wie man es inzwischen durch „Game of Thrones“ begutachten kann) oder in eine pompöse Gaudi fantastisch-exaltierter Schlachtengemälde zu stürzen. So oder so eben etwas, was der Legende des Pfählers Vlad III. tatsächlich irgendwie gerecht werden dürfte, diese nicht in ein vermarktbares Heldenkorsett steckt, welches sich zwar für Legendary längst bewährt hat, aber selbst deren ursprüngliche Risikobereitschaft vermissen lässt. Aber mal davon ab, macht der Film als souveräne Genrekost nichts wirklich falsch und kann ohne schlechtes Gewissen als harmloses, effizientes Zeichen seiner Zeit verbucht werden. Hätte weit schlimmer, aber auch interessanter kommen können.

Meinungen

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