Gestandene Festivalgänger würden in „Horse Money“ eine Goldgrube voller an sie adressierter, eifrig zerreißender Geschenke ausfindig machen: Der Film überhöht jene ureigenen Klischees der Abstraktion, mit der politisierte Festivalschinken manchmal bezeichnenderweise zu kämpfen haben. Triste Erstarrung, zähe Agonie, eine fremde, nasal genuschelte Sprache, die Dekonstruktion des Erzählenden und holzschnitzartige Untertitel sind die Zutaten, aus denen die prägende Kunst, die prämierte Kunst sein will, schöpft. Merke: tief entspannt, aber tief muss es sein. Pedro Costa dachte beim Dreh von „Horse Money“ an sein Heimatland – und bedeckt die Kapverdischen Inseln während der portugiesischen Nelkenrevolution mit Müll, Dreck und Heiserkeit. An diesem Schauplatz, gemessen an den Menschen, die ihn bewohnen, die ihn bedenken, die ihn vor allem tadeln und zugleich Teil seiner poetischen Disharmonie werden, geleitet Costa seine Figuren ins Dunkel, in das Zwielicht, in eine Malfläche der Dämmerung. Skulpturen gleich, die aus dem Schatten herausgebrochen wurden und zum Stillleben gefrieren. Dieser semidokumentarisch aufgeladene Film bewegt sich kein Stück, verharrt im Ungefähren, negiert das Konkrete. Und dennoch bescheinigen ihm zerplatzte Toilettenhäuschen oder etwa verwahrloste Gebäuderuinen eine kraftvoll-rohe Zersetzung, die gelegentlich gefangen nimmt.

Ist „Horse Money“ deshalb das Idealklischee einer Festivalsuppe, die alljährlich auf den Tisch kommt und darum bettelt, elegant ausgelöffelt zu werden? In der verfolgte Menschen sinnieren, über das Leben, das Leiden? Reduziert und kastriert bar jeder Genauigkeit? Vielleicht. Pedro Costa kommentiert eine einerseits szenenweise prätentiöse, andererseits szenenweise zärtliche Bestandsaufnahme mimischer Gefühle (großartig: eine Frau liest den Brief ihres anderswo befindlichen Mannes und lächelt daraufhin magisch in den Kamerawinkel), die sich dem Zuschauerinneren verschließt und weit ins Innere der eigenen Geschichte zurückzieht. Derartiges muss man mögen – diese „Revolution“ zwischen den Bildern. „Horse Money“ zeigt auf, dass Langeweile cool sein kann, aber auch gehörig nervt, sobald sie forciert und künstlich wird. Den Film selber trägt indes Tito Furtado. Seine hypernervösen Hände schaukeln und rütteln und wehren sich gegen die ohnmächtige Taubheit der Stille. Er wandert ziellos, spaziert durch Eindrücke und Erinnerungen, ohne seine Gedanken mitzuteilen. Zum Schluss wohlgemerkt, in einer quälend zerdehnten Fahrstuhlsequenz im Dialog mit einem Soldaten, überlappen sich seine Stimmen und Träume zu einem Malstrom ausgesprochener Emotionen. Da ist es wieder, das Sinnieren, das Leben, das Leiden. Die Politik. Das Festival. Nur ausgesprochen schön, ausgemacht sinnlich gefilmt.

Meinungen

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