Es wandern die Goldmünzen hin und her in Chad Stahelskis und David Leitchs „John Wick“, einem Film, in dem die (Unter-)Welt bei aller Abgeklärtheit ihre eigene Währung eingeführt hat. Jene Selbstverständlichkeit spiegelt sich auch in der beinahe ausschließlich horizontalen, visuellen Stilisierung wieder, welche alle Karten mit eleganter Direktheit offen auf den Tisch legt. Prätentiösität hat da keinen Platz und äußert sich, anders als bei Steven Soderberghs „Haywire“, in einem Figuren- und Handlungsgeflecht, das nicht mehr zu erfüllen versucht, als es vorweisen kann: eine klassische Rache-Tour mit erwartbaren Entwicklungen, effektiven Charakterdarstellern (unter anderem: John Leguizamo, Willem Dafoe, Ian McShane) und einem Gespür für den Anspruch der Zielgruppe.

Titelheld Wick (Keanu Reeves) erfüllt da schon früh mit Präsenz, gut gewachsenem aber auch verlebtem Haupthaar die Voraussetzungen eines treibenden Protagonisten-Vehikels: Seine Frau ist jüngst verstorben, doch zuvor hat sie ihm noch in weiser Voraussicht einen Hund zugeschickt, an dem er seine Trauer im Kümmern verarbeiten, sich an sie erinnern kann. Die Regisseure Stahelski und Leitch, in der Branche meist eher als Stunt-Koordinatoren aktiv, verlieren dabei nur wenige Worte und vertrauen stattdessen während einer starken Anfangsphase auf Ruhe in Verbindung mit präzise geschnittenen Eindrücken seiner Vergangenheit, auf dass man ohne Umschweife mit Wick sympathisiert, allerdings auch bemerkt, wie konkret sich der Film im Folgenden ausdrückt.

Recht schnell begegnet Wick nämlich dem jungen Mafioso Iosef (Alfie Allen), der Johns Mustang ins Auge gefasst hat und ihn des Nachts mit Kollegen überfällt, aber ebenso den Welpen richtet. Doch über einige Umwege und Verbindungen in der Hierarchie des regionalen Gangstertums wird schnell klar: Iosef hat sich mit dem Falschen angelegt, wie ihm Vater und Obermotz Viggo (der goldig sowie grantig aufspielende Michael Nyqvist) prügelnd zu verstehen gibt. Er hat nämlich ein berüchtigtes Relikt aus den Neunzigern erweckt – nicht nur, was die Figur John Wick mit ihrer illustren Vergangenheit als spezialisierter Auftragskiller betrifft, sondern auch die narrativen und Figur bestimmenden Zutaten jener Zeit. Der Rächer mit ausgeprägtem Waffen- und Prügel-Talent geht nun um und findet in seiner einstmals natürlichen Umgebung schnell die Ansätze zur bleihaltigen und Knochen brechenden Heimsuchung nach alter Schule. Und lehrt damit dem jungen Gemüse das Fürchten.

Fortan entfesseln sich im Fluss der Wolkenkratzer aus der Vogelperspektive rabiate Szenarien des Tötens. In Hotelzimmern, Clubs und Lagerhäusern wird das Killer-Ballett aufgeführt, während die Tonspur mit euphorischem Grit an den Thriller-Gestus vor 2000 erinnert und auch ein bisschen auf Rammstein anspielt; sich aber auch mal mit Elegie an die Choreografie des Durchstoßens zur persönlichen Genugtuung heftet. Wick steckt da als abgehärtetes Retro-Männerbild so einiges mit zusammengekniffenen Zähnen weg, schließlich ist er ein erfahrener Bursche im Sinne seines Darstellers Keanu Reeves, der es zudem nicht auslässt, mit dem alten Weggefährten Daniel Bernhardt („Matrix: Reloaded“) zwei ruppige Kämpfe aufs Parkett zu legen. Wie er auch mit vollem Einsatz die Ehrlichkeit des Films unterstützt und vor allem mit Körperarbeit jenseits reißerischer CGI-Spielereien überzeugt (ausreichend Pyrotechnik gibt sich zudem auch die Ehre).

In dieser Welt jedoch, wo sich alle kennen, ihre Aufgaben verinnerlicht haben und dem Kodex der Ehre unter Gaunern und den Regeln des Genres folgen, setzt zum Ende hin die Erschöpfung des Obligatorischen ein. Der Weg ist nun mal vorbestimmt und bar jeder Innovation. Zwar kracht noch souverän Energie mit Fäusten, Klingen und Karren im Regen ineinander, aber eben auch nicht mehr als das, was von vornherein angesetzt wurde. Was bleibt, ist keineswegs Enttäuschung: nur eben die leichte Ernüchterung des Bekannten, an der man sich schon vor dem dritten Akt sattgesehen hat. Nostalgische Action-Puristen könnten durchaus ihre Freude darin finden, wie sich „John Wick“ ohne dramaturgisches Auftragen als Reißer mit Stil ankündigt – doch das bloße engagierte Abdecken einer routinierten Genre-Oberfläche ist letztendlich nur eine Goldmünze wert. Was aber nicht heißt, dass es sich nicht lohnen würde. Denn mit der Bewunderung für emotional und kämpferisch straightes Duellieren lässt sich noch so einiges an Spaß herausholen. Das Prinzip Old school hat nun mal gewissen Respekt verdient, woran man sich gerne im Gros der sauberen Blockbuster jenseits frei spritzenden Bluts erinnert.

Meinungen

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