Einen gewissen Reiz kann man Simon Wests Adaption des bereits 1986 verfilmten Romans „Heat“ von William Goldman, welcher hier auch als Drehbuchautor fungiert, nicht absprechen. In Wild Card“, eingebettet in der glänzenden Glücksspielmetropole Las Vegas, ist nämlich durchweg Schnörkellosigkeit an der Tagesordnung. Umringt von Geld und Pokerchips fließen hier die Ströme von Gewinnern und Verlierern nun mal parallel und gleichen sich in einem abgeklärten Kreislauf aus, bei dem Träume von der Flucht kurzgefasst bleiben. Das Neon-Licht lockt 24 Stunden am Tag mit grellem Gold, welches zum Greifen nahe, aber von Glück und Unglück abhängig ist. Solch simple Eindrücke dieses Milieus gelten in diesem Film als gegebene Selbstverständlichkeiten und müssen daher kaum weiter erläutert werden. Nur bemüht man sich auch weniger, dem statistisch-kalkulierbaren Ablauf dieser schon oft erlebten Geschichte inspiriert entgegen zu treten.

Vielmehr bekommt man anhand der auf Action abonnierten Dampframme von Darsteller, Jason Statham, einen bescheideneren Zeitgenossen der Unterwelt geliefert, wobei dessen Name, Nick Wild, viel in Richtung Knochengekröse verspricht. Er weiß, was man von ihm erwartet: harte Fäuste, flitzende Karten, schnelle Rache und ein sicheres Händchen in Sachen Frauen und Kohle. Doch Wild hält sich bedeckt und aus dem größten Schlamassel schlicht raus. Gerne verteilt er noch Ratschläge und harte Mienen, eher aber driftet er frühmorgens in die Nachbarschaft ab, trifft sich mit seinem weitreichenden Bekanntenkreis (= prominente Charakterdarsteller, die man so für ein, zwei Drehtage heranholen konnte) und sehnt sich wie jeder nach ein bisschen Frieden am Meer. Er gibt sich nicht wichtig, denn auch er zeigt menschliche Schwächen: Wild fehlt es am Allwissenden oder auch Stilsicheren anderer Charaktere seines Darstellers. Und einen wasserdichten Masterplan hat er ebenso nicht in petto.

Bei Freunden in Not sagt er trotz anfänglichem Zögern aber auch nicht nein und zieht mit seinen Fähigkeiten rabiate Konsequenzen; was auf jeden Fall mehr (auch hanebüchere) Feuerkraft vermuten lässt, als der Film bereit zu zeigen wäre. Ehe man sich nämlich versieht, sind die Verhältnisse geklärt und doch nicht ganz entspannt – es wartet hauptsächlich immer noch die große Chance, beim Blackjack abzuräumen. Da findet Regisseur West eine inszenatorische Konzentration, die zwar schon von vornherein mit gemächlicher Kohärenz im Konkreten unterwegs war, nun aber besonders gestalterisch-betont den Blick aufs Abenteuer Glücksspiel richtet. Genre-Schauwerte von Action und Thrill wurden da schon längst zur Seite geschafft, drum wirkt so ein dringlicher Fokus auf das charakterliche Gelingen Wilds recht erfrischend im ansonsten ziemlich alltäglichen Gesamtgefüge jener Filmwelt. Wie es aber nun oft ist, kann man seiner Bestimmung des Lebensweges nicht so leicht entkommen. Zurück auf null, gefangen in der Erwartung der eigenen Person und des narrativen Korsetts.

Das Prozedere des obligatorischen Antagonisten lässt sich da ebenso blicken, macht aber im Angesicht persönlicher Kämpfe keinen bleibenden Eindruck, wie auch der Rest des Casts stets als mehr oder weniger involvierte Parteien in Nick Wilds Leben eingreifen. Ob er sich überhaupt helfen lassen will, steht gar nicht zur Debatte und wird meist wortlos akzeptiert – dafür ist er gleichzeitig zu stolz und auch stolzbefreit; je nachdem. William Goldmans Drehbuch kratzt nämlich nur bedingt an der Oberfläche und erschafft zwar einen eigensinnigen Komplex an Figuren und Methodiken des männlichen Verliererdaseins, kann deren Funktionalität aber nur in einen äußerst naiven Zusammenhang der urban-pathetischen Befreierfantasie setzen. Besonders bezeichnend äußert sich dies am Charakter des aufgezwungenen Protegés Cyrus (Michael Angarano) und seiner Motivation der Belehrbarkeit, etwas Besseres und Abgebrühteres aus sich zu machen, wobei ihm Wild als alter Haudegen helfen soll. West und Goldman sehen ihn aber auch schlicht am Anfang seines persönlichen Weges und schlagen lediglich eine Richtung für ihn ein, die er in dem Zeitraum ohnehin nicht einlösen kann.

Doch nicht nur aus seiner Präsenz entwickelt sich schließlich eine Unerfülltheit, die dem Film nichts Neues abgewinnen möchte, erst recht, sobald die erwartbaren Genre-Extremitäten von blutiger Rache nochmals effektiv, aber hastig abgearbeitet werden. Man will schnell zum einfachen Schluss kommen. Und der geschieht auch ohne wenn und aber, verpackt als symbolisches Weihnachtsgeschenk – im Gesamtkontext offenbart dies eine enttäuschende Belanglosigkeit des Geradlinigen. Es ist löblich, dass Simon West und Co. sich ihrer Regeln bewusst sind, diese mit Respekt aufarbeiten und dann doch eher charakterliche Spezialitäten veräußerlichen möchten. Wenn Letztere allerdings nur allzu müde ihrer selbst sind und sich dennoch in uralten Bahnen des Formelhaften wiederfinden möchten, bleibt nicht viel mehr übrig, als die „Wild Card“ wieder zum Stapel ähnlicher Genre-Kartensets zurückzustecken. Zwischendurch jedoch erkennt man noch immer die Lust zur ruppigen Handarbeit und zur Spannung des kinetischen Kinos – wie das Gold in Vegas zum Greifen nahe, aber dann doch nur meist alteingesessene Staffage ist. Ein neuer Anstrich wäre mal von Nöten. 1985 ist nämlich in diesem Fall schon längst out.

Meinungen

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