Der Privatdetektiv Mitch Henessey (Samuel L. Jackson) wird an einen Stuhl gefesselt und wartet auf seine Rettung. Ein paar Zimmer weiter versucht sich seine Mandantin Samantha oder Charly (Geena Davis) an ihrer eigenen Rettung. Sie ist zusammen mit ihrer Tochter in einem Tiefkühllager bei eisigen Temperaturen eingeschlossen. Die in einer Puppe versteckte Brandbombenflüssigkeit soll den Weg freisprengen. Als die ersten Versuche, die Flüssigkeit zu entzünden, nicht funktionieren, hat das Drehbuch eine zündende (!) Idee. Denn ohne es zu wissen, zückt das Kind plötzlich einen Satz Streichhölzer aus dem Ärmel, als sei es das Selbstverständlichste auf der Welt, und sorgt somit für die Rettung beider. Eine Explosion wütet, das halbe Haus wird ramponiert. Henessey fliegt mitsamt Stuhl aus dem Fenster, durch Bäume und allerlei Gestrüpp, landet im Schnee, halb tot, mit Blut überall, nur noch ein Zombie seiner selbst. Sein gestotterter Kommentar, den er stoßweise rauspresst, beläuft sich auf ein: „Teufelsweib.“ Teufelsweib.

„Tödliche Weihnachten“ begleitet besagtes Teufelsweib, bohrt in jenen unterdrückten, einer Amnesie anheimgefallenen Nahkampfeigenschaften, die aus dem Teufelsweib eine androgyne Killerin des US-amerikanischen Außenministeriums gemacht haben. Eine altehrwürdige Identitätssuche in einer vorzeigbaren Actionsause der 90er, ein prädestinierter Stoff, der spätestens seit Robert Ludlum immer wieder künstlerische Veränderungen erfuhr und hier von Flopspezialist Renny Harlin aufgewärmt wird. Obwohl dieser Genrefilm eine Menge zerstörerisch-unverfrorenen Spaß predigt, ist weder seine erste noch seine zweite Hälfte von ausnahmslos delikatem Entfesselungseifer.

Der Film ist in zwei voneinander abgegrenzte Akte strukturiert. Der erste: Wir gewöhnen uns an Samantha als durchweg sympathische Lehrerin, leidend an chronischem Erinnerungsverlust. Der zweite: Wir lernen Charly kennen. Charly mit reanimiertem Gedächtnis als eine, die weiß, wie man lautlos, wie man effektiv tötet, allerdings nicht unbedingt sympathisch ins Herz vordringt. Diese zwei Akte werden unter anderem auch deshalb prägnant, weil die Protagonistin ihr Aussehen verändert, ihre Wirkung durch Einflüsse variiert; Stubenhocker und Amazone, lieb und sexy, Naturhaus und Las Vegas. Eine pointierte Verwandlung. Shane Black schrieb eine Geschichte, die zwar in Ironie getränkt ist, wenn das erste Anzeichen der wiederaufflammenden Erinnerung aus einem früheren Leben im blitzschnellen Gemüseschneiden einen erheiternden Höhepunkt verzeichnet. Doch mitreißen will das nicht. Die geisterhaften Projektionen des abgespaltenen Ich, sowohl im Spiegel als auch in dämonischen Visionen, festigen dazu das deplatzierteste Handlungsmotiv.

Im zweiten Teil verlagert Harlin außerdem die Konzentration auf das Buddy-Zweiergespann zwischen Charly (manchmal etwas fehl am Platz: Davis) und Mitch (70er-affin: Jackson), wie sie lebensbedrohlichen Situationen böser Buben nach Lehrbuch äußerst blutig ausweichen und alles kurz und klein niedermähen, während sie sich dabei gegenseitig anfauchen, aufziehen und belästigen. Das funktioniert vergnügt bis zur Selbstverkultung, auch wenn der aktivere Part Charlys allzu sehr betont in treibendem James-Bond-Gigantismus ausartet (explizit im treppenartigen Showdown, in dem ein bombenbestückter Tankwagen auf einer Brücke fulminant in Stücke gerissen wird) und die Rolle des trocken aufgelegten Samuel L. Jackson kontinuierlich nach hinten gedrückt wird, als ob Black keine Verwendung mehr für ihn gehabt und in ihm darüber hinaus keine Hilfe mehr für die ab diesem Zeitpunkt ohnehin austrainierte Charly gesehen hätte.

Was Harlin dagegen auszeichnet, ist räumliche Action zu komponieren, die ästhetisiert, aber roh gesteigert wird. Ob kleinere Scharmützel in der Bahnhofskneipe, auf dem Eis mit Schlittschuhen oder in der Küche (!), Fahrzeugstunts, Sprünge aus Gebäuden oder Helikopterverfolgungen – die Einschüsse im Körperfleisch sind blutig, Waffengeräusche zerfetzend laut, Verletzungen über den Bildschirm hinweg omnipräsent schmerzhaft. Wir befinden uns womöglich in einem anderen Zeitalter, in dem Action nicht suggeriert, sondern praktiziert wird. Die exemplarisch unverkrampft-spritzigen Black-Momente blitzen im Gegenzug leider sehr selten auf: Henesseys Geständnis, dass ihm keiner mehr einen geblasen hat, seit es Schokoriegel für fünf Cent zu kaufen gab, die mexikanische Schusswechselsituation zu dritt in einer Seitengasse, die ausgesprochen ungünstige Interpretation des Wörtchens „Verlobter“, das in Wahrheit „Zielobjekt“ meint und nebenbei Brian Cox und David Morse widerwillig auf den Plan ruft.

„Tödliche Weihnachten“ verweist witzigerweise auch auf tagesaktuell-politische Neuregelungen, auf die Reform eines gewohnten Klimas. Zu Weihnachten werden nicht Geschenke ausgepackt und Plätzchen gebacken, sondern geschossen und gefoltert. Langsam muss es jeder wissen. Und die der Regierung ehemals vertrauten Verbündeten kooperieren mit denen, die der Regierung ihren Dilettantismus vorhalten und ein ausländisches Feindbild generieren, um ihre terroristische Vorgehensweise darauf abzuwälzen. Ein ulkiger Actionfilm, gemacht aus Emanzipation und Ideologie. Weihnachten muss in der Tat, denn Film ist Leben, interessant(er) werden.

Meinungen

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