Luc Besson hat ja seit jeher in seinem Werk als Regisseur, Produzent und Autor ein Faible für unschuldige, verletzte Frauen, die in der Umwandlung ihrer Schmerzen zu raffinierten Rächern und Killern werden („Nikita“, „Leon – Der Profi“, „Colombiana“), oder auch gerne mal göttliche sowie weltentscheidende Kräfte erhalten beziehungsweise in sich aufbewahren („Das Fünfte Element“). Mit „Lucy“ verbindet er diese beiden ihm bekannten Routen und versucht mithilfe des Superstarletts Scarlett Johansson einen feministischen Action-Thriller, der mit dem metaphysischen High-Concept-Gimmick erweiterter Gehirnausnutzung jongliert. Der Ansatz dabei, jene fantastische Auslotung des Menschen-Möglichen in einen so konventionellen Rahmen gängigster Genre-Formalität zu stecken, bringt zumindest eine kurzweilige Geradlinigkeit, aber auch Einfältigkeit mit sich, da der vom Film geforderte Anstoß zum Hirn-Einschalten ihm letztendlich am wenigsten dienlich ist. Dass dennoch manche Aufblitzer künstlerischer Identität den altbackenen Flow unterbrechen, wirkt aber wiederum so angenehm befremdlich, dass da schon eine gute Menge kindlicher Spaß mitschwingt, auch wenn es meistens schlicht in eine romantisch-platte Überheblichkeit mündet, die sich schon seit Mitte der neunziger Jahre im Wirken Bessons kaum noch standhaft behaupten konnte.
Nach einem kurzen, fix-geschnittenen Exkurs über die technologische Entwicklung des Menschen von der Steinzeit an erleben wir Partymädel Lucy (Johansson), die auf Geheiß ihrer Disco-Bekanntschaft Richard (Pilou Asbæk) eine offensichtliche Drogenlieferung an einen gewissen Mr. Jang (Choi Min-Sik) durchführt, welche tödliche Konsequenzen für manche hat. Dabei werden Dokumentaraufnahmen aus der Tierwelt eingeblendet, die das Anschleichen und Jagen der Beute, das brutale Zuschnappen einer Falle, zum gegenwärtigen menschlichen Geschehen parallelisieren. Menschen sind hier also in der Ära des Animalismus stecken geblieben – und Mr. Jang geht genauso unbarmherzig blutrünstig mit seinen Geschäftsopfern um, solange das Blut mit Evian von seinen Händen gewaschen wird. Morgan Freeman hält als Neurowissenschaftler Samuel Norman auf der Subplot-Ebene sodann eine unterstützende Präsentation über die Gehirnfunktion der Menschheit, die sogar von Delfinen übertroffen wird. Doch wie er theoretisch voraussieht, wäre der natürliche Prozess der Reproduktion bis in die Unendlichkeit unermesslich, würden wir nicht bloß zehn, sondern mindestens schon zwanzig Prozent unserer gedanklichen Fähigkeiten nutzen. Wie das aussehen könnte, visioniert Besson dann als Befreiungsschlag Lucys, die als unfreiwilliger Drogenkurier Jangs eine Supersubstanz in ihrem Körper transportiert, die aus einem Stoff entwickelt wurde, den Mütter ihren Embryos bei der Schwangerschaft zur Erweckung der Hirnaktivität einpflanzen oder so ähnlich (DNA?).
Entsprechen solche Ideen der Wahrheit? Wohl kaum, aber derartig aberwitzige Einfälle machen den Film erst so richtig interessant. Jedenfalls steht Lucy nach ihrer ungewissen Furcht der Verschleppung und Todesandrohungen daraufhin so über den Dingen, dass sie jede Situation sofort erfassen kann, bevor sie einen Raum betritt, alle potenziellen Widersacher niederballert und wie ein weiblicher Neo das Innere alles Lebenden oder Technologischen beim Fließen beobachten kann. Dazu gehört dann allerdings auch, in einem Krankenhaus einen Patienten abzuknallen, den man laut ihrer Feststellung eh nicht mehr retten konnte, um ihr die Drogenpakete aus dem Bauch zu operieren. Sie merkt schließlich trotz ihrer unbegrenzten Auffassungsgabe aller Gefühle, Sinne und Informationen, dass sie sich immer mehr dabei entmenschlicht, je eher sie die Transzendenz ins Allwissende, Übermenschliche vollführt. Da wird eine emotional-tragische Brücke probiert, doch der Film kann sich letztendlich nicht selbst belügen und baut darin kontinuierlich ab. Ihm macht es nämlich Spaß zuzusehen, was für unglaubliche Manöver Lucy mit diesen bahnbrechenden Kräften durchziehen und wie selbstverständlich sie sich ohne Weiteres in Menschen und Systeme hacken kann – mit nur ein paar Prozent mehr Hirnnutzung als sonst (deren Fortschritt immer wieder quasi kapitelweise vermittelt wird). Das geht sogar so weit, dass sie schlicht mehr von dem rauschhaften Zeugs braucht, da ihr nun endlos versiertes Gehirn sonst aus Unterforderung schlapp macht, ihre Zellen in alle dimensionalen Winde verstreut.
Nach „Her“ (ebenfalls mit Scarlett Johansson als digitale Einheit, die so ziemlich dasselbe wie hier erlebt) und „Transcendence“ ist Lucy damit der dritte große Film in diesem Jahr, der die Physik und Psyche des Irdischen greifbar und extern-entfliehbar macht, anhand der (auch digitalen) Alchemie des Zelluloids neu ordnet, regelrecht wie Konfetti explodieren lässt. Besson verliert jedoch im Gegenzug öfters das Handling einer existenzialistischen Reflexion, bleibt eher dem Frohsinn des fantastischen Spektakels treu, kann es jedoch ironischerweise nicht komplett wahnwitzig entfalten – dafür ist er einfach inzwischen zu sehr der kommerzielle Showman, der zielsicher mal mehr oder weniger halb gare, internationale Selbstläufer anfertigt. Die Ambition scheint groß, wird aber bloß für coole Looks, ulkige Stunts und lahme Gags verwendet, die erst gegen Ende hin, als Lucy den Faktor Zeit zur Aufarbeitung dimensionaler Wirklichkeiten mit einberechnet, für eine visuelle Gigantomanie à la „Akira“ und „2001 – Odyssee im Weltraum“ sorgt, die bis zurück in den kosmischen Urschleim der intergalaktischen Synapsen reicht. Doch dagegen geschnitten ist ein Handlungsaufbau zornig rächender Gangster, die sich in Zeitlupe mit Mozarts Requiem im Hintergrund den simpelsten Bildern des Actionkinos hingeben. Was wiederum beweist, dass Besson in seinem cineastischen Weltbild ebenso noch immer auf der Stufe des Animalischen steht, aber immerhin als gefälliger Crowdpleaser arbeitet.
Zum Schluss hin überlässt uns Lucy nämlich all ihr Wissen auf einem USB-Stick und damit sollten wir gefälligst etwas anderes anfangen, als uns gegenseitig zu zerfleischen – eine ganz naive Schlusspointe zu einem Film, der weniger eine Geschichte erzählt, als eine hippe, bedeutungsschwangere Präsentation irgendeiner Bullshit-These hinzulegen. Ein mental-jugendlicher Nachfahre von jenen berüchtigten, durch Action-zugänglichen „Matrix“-&-„Equilibrium“-Philosophien, die seit dem Millennium auf den Schulhöfen dieser Welt mit nihilistischer Teen-Angst und auch ganz viel enthusiastischer Prätentiösität besprochen wurden. Das gehört aber eben zum Charme eines solchen High-Concept-Streifens, der zudem eine toughe, wenn auch fortlaufend entmenschlichte, aber ultimativ emanzipierte Protagonistin als Erlöser menschlicher Kleingeistigkeit mit affengeilen Tricks und Superkräften in den Fokus rückt: Er wird schamlos blöd und zynisch – unabsichtlich, weil offenbar unwissend und höchst spekulativ, so wie Besson seinen Film hier wirken lässt. Da spürt man weniger die Hand eines Altmeisters, als die eines planlosen Newcomers – eben so eine gleichzeitig unbedarfte und unbeholfene Dringlichkeit, die dem intellektuellen Anschluss der Erwachsenen hintereifert und gleichzeitig stylisch ausschauen will, doch nur mickrig zurückbleiben kann. Das lässt einen wiederum leicht mit dem Film sympathisieren, doch Luft nach oben ist durchaus vorhanden.
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