Claire Denis’ „Les Salauds – Dreckskerle“ entfleuchen nicht Worte, sondern Laute: der Klang prasselnder Regentropfen, das Schnaufen des Wartens, der Wut, der Enttäuschung, die Gier in jedem Atemzug, das kratzende Messer auf Brot und Knarzen eines Stuhls. Darunter mahnt der sphärisch-elektronische Score der Tindersticks. Selbst die Titeleinblendung wirkt vielmehr wie eine Aussage, als ein jeder Dialog dieses sperrigen Werkes über die benannten Dreckskerle sein könnte. Diese jedoch erscheinen zunächst scharf, kurz darauf verschwommen, bis sie wieder an Deutlichkeit zunehmen – sie wechseln fortwährend ihre Gestalt. „Les Salauds“ allerdings bleibt eine seltsam fremde Konfektion: ein Film äußerster Schwere in einem souveränen Mantel der Sensationsgier, welche allein aus dem Narrativen tritt. Sogleich folgt Lust, Begierde, Sehnsucht; ganz direkt und doch unnahbar. In einem Blick lebt sie fort, bis später aus dem einzigen Funken ein loderndes Feuer entsteht.
Ebenso wie Denis’ Vorgängerwerke entwebt auch „Les Salauds“ seine Handlung Stück um Stück aus mehrdeutig montierten Fragmenten. Die Eröffnung: ein offensichtlicher Selbstmord des bankrotten Geschäftsmannes Jacques (Laurent Grévill). Eine junge Frau wandert in der Nähe seines Körpers, ihr Zustand ist von Drogen verschleiert, Blut läuft aus ihrer Mitte die Beine hinunter. Es ist die Tochter des Toten, Justine (Lola Créton), welche in ein Krankenhaus überstellt wird, während ihre Mutter Sandra (Julie Bataille) die Polizei schilt einer Beschwerde nicht nachgegangen zu sein, die Jacques gegen den schmierigen Unternehmer Edouard Laporte (Michel Subor) einreichte. Das Spiel scheint verworren, Sandra ruft ihren Bruder und Marinekapitän Marco Silvestri (Vincent Lindon) nach Hause, Vergeltung soll erklingen. Dafür zieht er in das Apartment über Laporte und geht eine Beziehung mit dessen Mätresse Raphaëlle (Chiara Mastroianni) ein.
Eben jene lächelt leicht angesichts des sichtbaren Spiels von Marcos Rückenmuskulatur, als er das Fahrrad ihres Sohnes repariert; er dagegen fläzt mit einer Zigarette auf dem Balkon, erfreut sich ihres Ganges, ihrer Grazie, und wirft ihr schließlich Zigarettenpackungen gebündelt in einem seiner weißen Hemden herunter, das sie ihm später in einem bewusst gestellten Akt des Verlangens zurückbringt. Die Obsession – im Sexuellen und Physischen – züchtet die französische Visagistin des Diskreten und Intimen, Claire Denis, aus einem stilistischen Simplizismus: Eindeutige Elemente drängt sie aus dem Vagen, zweideutige aus dem Bewussten und in diesen Gespielinnen verdichtet sie sogleich den Film noir mit der Gewöhnlichkeit. Schon die Eröffnung deutet „Les Salauds“ als klassisches Motivtheater aus expressionistischer Bildsprache und impressionistischen Figurenkonstellationen: ein kahlköpfiger Mann, Nacht, ein ausgefallener Anzug, Regen, eine kümmerliche Mimik, Tod. Die Femme fatale schreitet derweil hinein in unsere Blicke unter dem flüchtigen Klicken ihrer High Heels. Es klickt, prasselt, wummert – so explizit, variabel und zusammenführend arbeitet Denis allein mittels Tonmischung, -effekten und Score durch das Unsichtbare.
Zwar studiert sie ihre Erzählung noch immer weitläufig und ungestüm in Vor- und Rückblenden, aber weitaus konkreter als wir dies in „White Material“ und „Der Feind in meinem Herzen“ durchaus gewohnt, wenn nicht sogar dadurch verwöhnt worden waren. Auch „Les Salauds“ bezeichnet getrost eine gnadenlos filmische Warteschleife: ein Warten auf Entwöhnung von dem Bizarren, eine Hinwendung zur Dramatik, zum Konventionellen und gleichsam eine Sinnsuche nach emotionalen Chiffren. Doch Denis wagt damit kaum zu spielen, da die vermeintliche Anspruchshaltung unserseits mit ihrer eigens kreierten Stilistik und Narration wie zwei zueinander parallele Geraden verläuft. Wenn wir sie treffen wollten, so müssten wir auf ihre Spur springen und uns von ihr tragen lassen. Nur, dass diese zwar in der Ferne durchgängig scheint, bei genauerer Betrachtung jedoch zerfasert und das Motiv des Gleitens, des Schwebens im Durchbrochenen aus „35 Rum“ nicht recht aufnehmen mag. Das Stillleben ist eigentlich ein Rohschnitt und die Kollision eine Weggabelung – die Skepsis begründet und die Erzählung fortan fehlgeleitet.
Zwangsweise legt „Les Salauds“ inmitten der Irrlichter seiner Protagonisten – insbesondere die des klassischen Noir-Antihelden Marco und seiner Härte, Intelligenz, Naivität wie unbestimmten Hoffnung –, eine gewagte Passivität offen. Obgleich dieser Film von Antworten handelt, versagt er diesen, und wenn er konkret auf sie zutreibt, spielt er lieber vorzüglich mit Perspektiven und Strängen, als gierig nach Aufklärung zu verlangen. Freilich obliegt diesen Mysterien ein Voyeurismus im Unbegreiflichen – allein blutige Maiskolben liefern ein allzu hübsches Bild des Sündenpfuhls. Empathie jedoch missfällt Denis, zumindest wenn wir sie als künstliches Vehikel bezeichnen, uns in diese Charaktere projizieren zu können. Die Figuren bleiben uns fern, weil sie einander nie begegnen. Überall lungern Dreckskerle, Drecksweiber, Dreck, Elend, Misanthropie. Die Welt Denis’ war nie eine hässlichere als in „Les Salauds – Dreckskerle“ und nie wog die menschliche Unberechenbarkeit schwerer. Bei Claire Denis werden sogar noch vor laufender Kamera Kondome aufgerissen. Hollywood, c’est la vie!
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