Feuer. Wasser. Kollision. Ein Blick. Keine Antwort. Toben, zaudern, kratzen. Ein Junge rennt mit Kupfer um Ruinen. Ein Junge folgt. Blut. Augen. Ohren. Ein nackter Hieb. Der See zerläuft. Das Ende stirbt. Ryan Goslings Debüt „Lost River“ (ehemals metaphorischer: „How to Catch a Monster“) gefällt sich in Subjektiven, Adjektiven, Artikeln, sogar in Pronomen – doch er gefällt sich weniger in Kohärenz. Denn er ist die Blaupause eines Objekts, welches bereits in unzähligen, manchmal brillanten, manchmal lediglich Sinn erweiternden, aber immer funktionell interessanten Versatzstücken eigenständiger Subjekte bestand. Kurzum mangelt es ihm an Verben, die, selbst bei indiskutabler Anwendung der übergeordneten Grammatik, aus dem Chaos eine Gerade würden werden lassen. Wie treffend, da die hier titelgebende Stadt eine verlorene ist: ein verlorener Fluss eines verlorenen Narrativs; ein Trick ohne Schalter von David Lynch nach Nicolas Winding Refn über zu Terry Gilliam; ein Spiel ohne Ziel und mit allerhand Zweck entfremdeter Spielzeuge. „Lost River“ ist eine Antwort auf niemals gestellte Fragen. Er ist ein Problem, in dem bei aller Infantilität auch die Lösung liegt. Seine Ambivalenz mittels elegant-brachialer Bildsprache lässt träumen, wo ihm sonst der Grund zu atmen fehlt.

Diese Geschichte über die Einsamkeit von Stadt und Mensch beginnt und endet im Nichts. Es ist das Nichts der Perspektivlosigkeit, der eigenbrötlerischen Fantasien und dem Traum in eine Zukunft, in der die verlorenen Häuser einer entschwundenen Stadt aufblühen und das Kupfer in ihren Wänden nicht mehr einziges wertvolles Gut bleibt. Ein Junge aus Haut und Knochen lebt in dieser Stadt namens Lost River, die den Status Stadt nicht mehr verdient: Weder ist sie groß, noch besiedelt, noch umschlungen von Verkehr und Infrastruktur. Aber sie war es wohl einmal. Bones (farblos: Iain De Caestecker) ist des Jungen Name. Und wie ein jeder in Goslings kapitulierendem Versuch als Regisseur, Drehbuchautor und Produzent sagt sein Name mehr aus, als er einlösen könnte, wie charakteristisch er auch zu sein scheint. Der andere Junge heißt Bully (Matt Smith), obwohl man ihn vermutlich nur der Praktikabilität wegen so nennt. Mit nacktem Oberkörper und Goldkette sitzt er zumeist in seinem Thron – ein türkisblauer Sessel, den er auf sein Auto leimte. Bully jagt, Bones flüchtet. Ihre Dialoge erzählen von Leere und dem Irrsinn, welcher von ihnen hinterlassen wird. Bones’ wesentlich jüngerer Bruder Franky (Landyn Stewart) läuft vor der Misere noch strahlend davon, in wild schwirrenden, schief verhangenen Bildern von „Enter the Void“-Halluzinator Benoît Debie, welcher der Natur einen seltsam idyllischen Klang anhaftet, während rings um sie der Asphalt von der Erde platzt. Detroit ist ohnehin schon tot. Und auch die Menschen siechen in diesem Grab langsam dahin.

Offenbar geht es Bones und Bully um mehr als ihr eigenes Dasein, wenn auch nicht direkt um ihre Zukunft, wohl aber um die Zukunft des Ortes und ihrer Erinnerung an sich. In der Scheinwelt um Lost River suchen sie beide nach dem Märchen, welches sie retten könnte, wenn das Märchen nicht schon Albtraum wäre. Fehlt nur noch der Mystery Man, man würde sich ganz nah bei David Lynchs „Lost Highway“ fühlen, der seinen Körper an den exorzierenden Gewaltfantasien von Nicolas Winding Refns „Only God Forgives“ reibt und dabei in den Löchern von Gaspar Noés „Irreversibel“ pult. „Lost River“ lässt sich vorzüglich in diesen Referenzen treiben, bis der Wahn nach immer neu entpsychologisierten Sequenzen ein Tunnel ohne Licht am Ende wird. Aber es ist bei allem inszenatorisch-schönen Spielraum ein Ryan Gosling, der seiner Identität immer unsicher bleibt und niemals mehr wagt, als nur bloßer Replikant zu sein. Besonders augenfällig wird diese konzeptionelle Unsicherheit im Seitenstrang um Bones’ alleinerziehende Mutter Billy (den Blei von „Mad Men“ noch in den Knochen: Christina Hendricks), die sich in ihren Geldsorgen den Perversionen des gierigen Ersatzbankiers und Kabarettbesitzers Dave (Ben Mendelsohn) hingibt. Da quirlen aus der Erklärungsnot Goslings makellos zerschnittene Gesichter bis zur vakuumierten Masturbationsshow im bläulich-lila ausgeleuchteten Kellergewölbe heraus. Wozu? Weil der Stil allein die Nachfragen im Keim erstickt. Obwohl das Kopfschütteln bleibt.

Zu Beginn fährt ein herrenloses Fahrrad in Flammen stehend an Bones vorbei. Es ist bei aller Lethargie und eigenartiger Synergie, die fortwährend versucht eine Geschichte auszubilden, eine Szene, die aus dem heimeligen Kinosaal in die Welt außerhalb flüchtet. Bisweilen sogar treibt sie als Ungetüm in den Gedanken seines Publikums und stellt die Frage: How to Catch a Monster? Ja, wie bloß? Ryan Gosling kreiert eine Trance, welche einer halbherzigen Flucht gleichkommt. Das scheint mutig – solange niemand wahrhaft mutige Filme in der Cannes’schen Alternativecke Un certain regard ausspäht. Aber die drehte wahrscheinlich auch kein Hollywood-Beau.

Meinungen

Teile uns deine Meinung zu „Lost River“ mit. Die Angabe eines Namens, einer korrekten E-Mail-Adresse sowie der Kommentartext sind verpflichtend. Alle Meinungen werden moderiert.

Kinostart: 14.09.2017

Mr. Long

In seiner neunten Berlinale-Teilnahme schickt Sabu Rindersuppen in den Wettbewerb.

Kinostart: 27.07.2017

Django

Étienne Comars Debüt eröffnet mit einem Porträt über Django Reinhardt die 67. Berlinale.

Kinostart: 06.04.2017

Tiger Girl

Jakob Lass’ dritter Langfilm zeigt erneut befreites, deutsches Kino basierend auf einem Skelettbuch.

Kinostart: 09.03.2017

Wilde Maus

Josef Haders Debüt als Regisseur ist ein harmloser Film über Kommunikation und Schnee.

Mr. Long

Sabu, Japan (2017)

Zerbrochene Leben und einstürzende Neubauten: In seiner neunten Berlinale-Teilnahme schickt Sabu Rindersuppen in den Wettbewerb.

Wilde Maus

Josef Hader, Österreich (2017)

Selbstmord durch gefrorenes Wasser: Josef Haders Debüt als Regisseur ist ein harmloser Film über Kommunikation und Schnee.

Occidental

Neïl Beloufa, Frankreich (2017)

Italiener trinken keine Cola! Neïl Beloufa verzettelt sich in seinem chaotisch-absurden Kammerspiel-Debüt.

Tiger Girl

Jakob Lass, Deutschland (2017)

Freiheit durch Reduktion: Jakob Lass’ dritter Langfilm zeigt erneut befreites, deutsches Kino basierend auf einem Skelettbuch.