Die Filme der Kelly Reichardt zeigen wie Stalaktiten und deren von den Spitzen perlendes Wasser hinunter in die eigene trostlose Unförmigkeit der Weltenbummlerei. Sie vollführen keine Trostsprünge in leidende, sondern schon abgehalfterte Existenzen, vorbei am amerikanischen Urtraum, an blanken Spannungsgefällen und am Hitchcock’schen Suspense, vorbei an einem Platz, der sie noch aufnehmen wöllte. Huppende Züge dröhnen durch die Abgeschiedenheit und Täler so weit fernab der Zivilisation, dass sie gerade deswegen darin wieder festsitzen. Ein hydroelektrischer Staudamm bildet in Reichardts neuester Minimalerzählung „Night Moves“ nun den Eckpfeiler ökonomischer Misanthropie. Drei Menschen planen, ihn in die Luft zu jagen. Freunde sind sie dabei noch lange nicht, sie sind Vagabunden, die sich zusammenschließen, um eine Botschaft zu senden, welche eindeutig sein sollte, aber mehrdeutig sein wird. Denn so weit sie die Folgen ihrer Tat auch einschätzen: Letztlich malmen sie diese nieder. Der Eklat aber bildet sich in langsamer Destruktion ab, als ob er zunächst unsichtbar wäre. Eben so folgten bislang alle Werke im Œuvre der amerikanischen (und wohl letzten wahren) Independent-Regisseurin dem Fluss in die Tiefe und mitten in den Sog, der schleichend hervor quillt – manchmal wie in Zeitlupe.
In diesen Welten fressen sich die Menschen gegenseitig, bis ihr Verlangen nur noch im Tod schändlich erstickt werden kann. Auch „Night Moves“ oszilliert um die Tristesse, um moralische Werte und um die Frage, welches Leben wann bedeutsam und wann bedeutungslos wird. Aus den Tränen eines der Ökoterroristen, Josh (Jesse Eisenberg), soll nicht nur gelesen, sondern akut interpretiert werden, weil Reichardt niemals Antworten leichthin preisgibt. Schließlich liefert nur der einfache, runtergespulte Film auch Erklärungen, ohne, dass wir sie eigentlich wissentlich aufgeschlüsselt erhalten möchten. Josh wird für seine Regisseurin zum einzigen Indikator einer Zeit, die – vom Materia- und Kapitalismus bestimmt – lange genug um den Menschen kreist, bis dieser vor den Gewalten in die Knie geht. Er manövriert sich in die Lage eines typisch Reichardt’schen Protagonisten: Dazu lässt ihn allein schon seine trainiert schweifende Mimik, die Kargheit seines Heims und seiner Worte, sein Murmeln und auch vordergründig seine Einsamkeit werden. Wo Michelle Williams sich um 1845 in „Meek’s Cutoff“ (2010) in die endlosen Sporen der Umwege stürzt, verirrt sie sich später in „Wendy und Lucy“ (2008) nochmals in ein von der Welt verstoßenes Kuhkaff im Hinterland Oregons – es sind überall Wege, die auch hier ahnen lassen, dass sie nicht vordergründiger Gigantomanie folgen, sondern einem winzigen inneren Streben. Meist bleibt es unerfüllt, was ebenso „Night Moves“ zittern lässt.
Doch wie Kelly Reichardt ihren aktivistisch-entschleunigten Thriller nach üblichen, beinahe stereotypen Grundsätzen des Genres und seiner Tropen kreiert, wirkt gleichfalls alt und rätselhaft neu. Statt die kalkulierte Sprengung des Staudamms als Explosion überhaupt in den Fokus zu nehmen, blickt Christopher Blauvelts Kamera lediglich weiter auf die drei Urheber, wie sie auf den Vordersitzen ihres Trucks davon ins nun wirkliche Unbehagen brausen. Es liegt Schrecken, Staunen, Freude in ihren Augen – aber nur eine Empfindung wird die nächsten Tage überdauern. Erst dort beginnt „Night Moves“ wirklich. Zuvor, als Josh mit Harmon (Peter Sarsgaard) und Dena (Dakota Fanning) die letzten Säcke Dünger respektive den zündenden Sprengstoff in einem Baumarkt kauft, meinen Reichardt und zweiterer Drehbuchautor Jonathan Raymond lediglich Kalkül zu präsentieren. Dort aber entsteht gewiss schon die Paranoia und Angst entdeckt zu werden, welche ihren Plan öffnen und zerstören könnte. Dena hat das Geld, also schicken die Männer sie hinein mit einer Kappe auf dem Kopf, damit die unzähligen Kameras im Markt ihr Gesicht nicht aufnehmen. Doch der Manager hadert ob der großen Menge, die Dena fordert. Gerade diese Akribie treibt „Night Moves“ in internen Konflikt. Obwohl Josh oft stumm bleibt, lässt er die hypothetischen Vorgänge symptomatisch werden. Der Oregon Trail läuft letztlich ins Nichts.
Kelly Reichardt windet sich aber immer in ereignisloser Exquisität. Und fotografiert damit ein wundersames Stück Amerika um die Groteske eines Landes, welches von den Träumen seiner Bewohner lebt, ohne ihnen diese jemals auszuzahlen.
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