Ein Junge sitzt im Rollstuhl, ein Mädchen nicht. Weil der Junge krank und das Mädchen kürzlich seine Eltern verloren und nun eine Verwandtheitsstufe nach oben zu deren Eltern geklettert ist, nähern sie sich einander an. Er ist ihr erster Freund, sie ist sein erster Freund – irgendwo in einem amerikanischen Vorstadtkaff, wo noch Flüsse sprudeln, Wälder und Wellblechdächer sind, und kleine struppige Felder von vielleicht einem Quadratmeter wachsen. Um das Idyll oder Gefühle, die in Dramen um Kindstod nicht sein dürfen, rotiert John McNaughtons „The Harvest“ niemals, denn wer bedeutungsschwanger nach Ernte strebt, erhält höchstens den Zorn der Götter, mindestens jedoch jenen von Samantha Morton. Diese existiert nicht nur (schließlich wurde sie beinahe vergessen), sie spukt hier zudem umher wie das leibhaft gewordene gespenstische Attitüdenfrikassee in Arztkluft und unwiderstehlichem (aber akut Mordlust fördernden) Charme à la Kathy Bates aus Rob Reiners konventioneller Horrorgroteske „Misery“ (1990). Natürlich auch mit einem Geheimnis im Keller, dass Drama, Thriller oder welch Genre auch immer zu einem juckenden Ekzem gedeihen lässt.

„Grotesk“ definiert McNaughtons unliebsame Rückkehr in den Spielfilmbetrieb nach über eine Dekade auch akkurat: Noch eher ist es allerdings White Trash als Fernsehspiel mit einer flauschigen musikalischen Untermalung durch George S. Clinton, die noch vor der kümmerlichen Inszenierung aus ungeahnt nerviger Penetranz und Redundanz arbeitet (was vielleicht am Arbeitswahn des Komponisten liegt, der nun hiermit bei Werk einhundert ankommt). „The Harvest“ installiert Erzählperspektiven, wie ein Reiter Wildpferde einfängt, immer ausgehend vom wuchtigsten Objekt, welches er dann schnappt, möglichst schnell verkauft und sich dem nächsten Moment anbiedert. Da sein Ensemble um Michael Shannon und Peter Fonda Zeilen verständlich machen muss, welche entweder noch Satire sein wollen oder gleich beschämender Ulk sind, aber immer maximal medioker bleiben. Dafür braucht es Stephen Lancellottis Wendung gen Ende nicht mehr: Da kollabierte schon alles, nicht nur Samantha Mortons Paranoia. Nur ein wenig spüren wir von der Tragik ihrer Mutter jenseits des Grenzenlosen.

John McNaughtons „Henry – Portrait of a Serial Killer“ sah den Abfall der Gesellschaft 1986 aus den Augen der Toten und Mörder. In „The Harvest“ rennt schließlich nur eine Frau in bizarre Abgründe. Das Grauen trägt einen Namen.

Meinungen

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