Film und Literatur mögen in ihrer medialen Wirkung grundverschieden sein; dennoch suchen und finden Künstler seit jeher die Verbindung beider Lager. Nicht jeder versteht es allerdings, die Werte des einen dem anderen entsprechend anzupassen. Speziell, was die Konversion von der Buch- in die Filmform betrifft, droht man flugs in die Fallen sklavischer Originaltreue und daraus folgender Manierlichkeit in der Inszenierung zu stapfen. Regisseur Jean-Paul Rouve macht sich mit der Roman-Adaption „Les Souvenirs“ selbst zum Opfer dieser Methodik. Die hierzulande unter dem verquasten Verleihtitel „Zu Ende ist alles erst am Schluss“ erscheinende Dramödie bemüht sich um keinerlei audiovisuelle Identität, dackelt anhand mehrerer undefinierter Perspektiven einem gängigen Feelgood-Narrativ hinterher und konstruiert sich letzten Endes hanebüchene Reinkorporationen zusammen, um eine Lebensweisheit einfältigster Art zu bestärken. Alles fängt mit einer Beerdigung an und hört bezeichnenderweise mit einer weiteren auf, vorgegriffene Emotionalisierung auf dem Soundtrack inklusive.

Was man dazwischen im Kreislauf des Lebens unternimmt, definiert der Film als familiären Generationen-Konflikt, der vor allem die älteren Semester betrifft und auf romantisierte Selbstbestätigung abzielt. Schließlich sehnt sich Oma Madeleine (Annie Cordy) nach dem nostalgischen Glück, nachdem ihr gerade in den Rentnerfrust eingeführte Sohn Michel (Michel Blanc) sie ins Seniorenheim gesteckt hat. Jener Griesgram-Poser führt zwar unantastbares Besserwissen auf, kriegt in seinem Ruhestand aber weder die ruhige Kurve, noch begreift er seine Frau Nathaie (Chantal Lauby) in ihrer Rückbesinnung auf die vergangene Romantik zueinander (weshalb sie eine Affäre vortäuscht). Währenddessen grübelt deren Filius Romain (Mathieu Spinosi) über seine Zukunft nach; nimmt als angehender Literaturstudent einen Posten als Nachtportier an, wobei ihn der Chef dort schon darauf anspricht, wie weit er mit seinem Roman sei. Den hat er noch gar nicht mal geplant, doch der Film und seine Vorlage greifen diesen Ansatz nur allzu gerne als Selbstzweck einer thematischen Erfüllung auf.

Das Leben schreibt ja bekanntlich die besten Geschichten und so sucht Romain Kontakt zur abgesetzten Oma; erfährt an ihrem späten Lebensdrang sowie ihren Erinnerungen die Motivation zum Wunsch erfüllenden Zusammensein. Bei all der gemütlichen Souveränität kann Vater Michel nicht anders, als in Panik zu verfallen. Allerdings beschränkt sich diese meist auf den reinen Dialog, wie auch der Rest des Films eine tranige Biederkeit in der Vermittlung des gänzlich erwartbaren Prozederes beweist. Da gehört es also zum guten Ton, dass die einzelnen Handlungsstränge lustlos aneinander geklemmt werden. Bar jeder gestalterischen Sinnigkeit erleben Rollenmodelle des neuen Frankreichs dabei trotz aller Eindimensionalität Sequenzen, die ihren Charakter vertiefen sollen, obwohl sie nichts zum Gesamtwerk beizutragen haben. Allen voran sei der Mitbewohner Romains genannt, der innerhalb der Laufzeit mehrere Frauen anbaggert, popkulturelle Referenzen loslässt („Wie in Twilight – mit Robert Pattinson und so.“, damit die Ü50-Zielgruppe noch etwas genauer weiß, wovon er überhaupt spricht) und schließlich nirgends mehr auftaucht.

Zwar mögen die Stories aus dem Alltag für die meisten von uns auch ins Nichts verlaufen, doch gerade das kann der Film nicht auf sich sitzen lassen. So flüchtet die Oma an den Ort ihrer Kindheit zurück – Michel fliegt aus den Socken. Nicht, dass Romain ein Problem damit hätte. Im Gegenteil: Auf der obligatorischen Reise zu ihr begegnet er einem Tankstellenwart, der auf jede Frage die passende Antwort kennt und ihm voraussagt, bald die Frau fürs Leben zu treffen. Und genauso einfach macht es sich der Film dann auch; schwenkt dafür sogar vollkommen unstimmig in Romains Point of View um, sobald er von seiner Traumfrau schwärmt. Der schnulzige Pop-Song mit den Handlungs-beschreibenden Lyrics wird schon darüber hinweghelfen. Ohnehin klappt letzten Endes doch noch alles irgendwie, wenn alle nur genau das machen, was man von ihnen anhand der zuvor etablierten Phrasen und Situationen erwartet. Nicht umsonst präsentiert sich da der Kernsatz des Films vom Tankwart aus, welcher besagt, dass man sich für das Gelingen der Gegenwart auch mal auf die Vergangenheit zurückbesinnen soll. Fortschritt ist Rückschritt, denken sich da die greisen Nostalgiker im Publikum. Alle anderen dürfen sich langweilen und fragen, warum solche belanglosen Stoffe beim Neue-Visionen-Verleih erscheinen.

Meinungen

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