Drei Filme hat Terry Gilliam in den Neunzigern gedreht: „König der Fischer“ (1991) mit dem kürzlich verstorbenen Robin Williams und einem wunderbaren Jeff Bridges, sein Magnum Opus „12 Monkeys“ (1996) mit Bruce Willis an der Seite von Brad Pitt und anschließend „Fear and Loathing in Las Vegas“ von 1998. Es war sein siebter Spielfilm unter Eigenregie, Johnny Depp als Hunter S. Thompson-Abbild Raoul Duke und Benicio del Toro als Dr. Gonzo absolute Bullseye-Treffer. Denn heute, sechzehn Jahre später, genießt die Romanverfilmung wegen der beiden Protagonisten absoluten Kultstatus, wird häufig im Fernsehen gezeigt und neu veröffentlicht.

Auf inhaltlicher Ebene spielt sich nicht besonders viel ab, abgesehen von den Exzessen zweier Berufsjunkies in Nevada, vor allem in Las Vegas. Duke ist Journalist, seine Arbeit ist aber für das grundlegende Verständnis nicht von arger Bedeutung, eigentlich soll er vom Offroad-Rennen Mint 400 berichten. Del Toro spielt seinen Anwalt, gemeinsam steuern sie im Chevrolet Impala Convertible auf die Stadt der Kasinos zu. Dabei haben sie wohl keine Droge in ihrem empirischen Konsum ausgelassen, ihre stolze Sammlung aus Gras, Meskalin, Koks und LSD ist griffbereit. Depps Paranoia evoziert Fledermäuse – doch es kommt Spiderman in Form von Langhaar Tobey Maguire, es wirkt retrospektivisch wie ein Cameo. Vielmehr fokussiert Gilliam den angesprochenen Exzess. Der Wahlbrite gehört mit absoluter Sicherheit zu den fantasiereichsten Filmemachern, den Rausch imitierend erschafft er herausragende Sequenzen sowohl für den drogenaffinen als auch außenstehenden Zuschauer. Das ermöglicht er, indem er die Gedanken und affektierten Halluzinationen Dukes in Kontrast zur wirklichen Realität stellt, was unglaublich amüsant werden kann. Er betont das Skurrile mit seinen typischen weitwinkligen Kameraeinstellungen, oft verzerrend, oft in der Schräge das Schräge einfangend.

Der Film gleicht einem psychedelischen Trip, der Zuschauer wird in diese Welt des Absurden aufgesogen. Schon immer gelang es Gilliam, groteske Szenarien zu gestalten; seine gezielte Auswahl der Schauspieler und vor allem Komparsen ist ein Traum für jeden seiner Fans. Perfekt eignet sich dieser Stil, da Las Vegas als Location gewählt wurde. Jeder, der schon einmal dort war, weiß um die Unnatürlichkeit und Absurdität dieser populären Stadt, in der Heiraten etwa einem Date gleichkommt und die Getränke nach Chlor schmecken. Deshalb schwingt in Gilliams Bebilderung eine hohe Affinität zu dieser befremdenden Welt mit, der Exzess ist nicht nur bei den beiden Hauptdarstellern sichtbar, die Stadt selbst ist feierlich exzessiv. Genauso wenig wie es einen wirklichen Grund für diesen übermäßigen Drogenkonsum geben kann, steigt der scheinbare Luxus, die Imitationen verschiedenster Kulturgüter wie die Anzahl der geldverspielenden Menschen in den Casinos ins Unermessliche. Eine Welt ohne Grenzen, ohne Sinn und Verstand.

Musikalisch bewegt sich Gilliam im Stil der Sechziger: Jefferson Airplane, Big Brother and the Holding Company, The Yardbirds und Buffalo Springfield dürfen beispielsweise die Gitarren schwingen, zusätzlich gibt es übrigens Filmmusik von Tomoyasu Hotei, Komponist des Songs „Battle Without Honor or Humanity“ aus „Kill Bill“ von Quentin Tarantino. Gilliam ist ein, wenn nicht sogar der Meister der abgedrehten Finesse, welcher akribisch das letzte Detail seines Szenenbilds ausschöpft. Daher wirken seine Filme für einige Menschen überladen, überspitzt, zu karikaturartig. Diese Menschen sind wie das gegenteilige Extremum von Duke und Dr. Gonzo: mit dem Hammer die Fantasie vertreibend und die Realität vollständig erlebend. „Fear and Loathing in Las Vegas“ ist trotz seiner surrealistischen Wirkung die pure, extreme Essenz der endenden Sechziger und beginnenden Siebziger, eingetaucht in einen Regenbogen aus Acid-Pills, Acapulco-Hemden, Reptilienmetamorphosen und einem Suizidversuch in der Badewanne mit dem „White Rabbit“ spielenden Radio. Gilliam schafft es, diesen Irrsinn sympathisch zu machen, gleichwohl niemand zum Nachahmer werden will. An der Grenze zum Schwachsinn schwimmend, bleibt neben der Drogenpräsentation vor allem eben das Zeitporträt hängen, natürlich in einer übertriebenen Art und Weise dargestellt, wenn man es als repräsentativ hinnähme.

Den drei Meisterwerken Gilliams aus den Neunzigern sollten erst 2005 zwei zugegebenermaßen unwürdige Comebacks folgen: „The Brothers Grimm“ und „Tideland“. Dafür fand der von Hindernissen übersäte Brite bei den beiden darauf folgenden Filmen „Das Kabinett des Dr. Parnassus“ und „The Zero Theorem“ zu alter Stärke zurück, auch wenn sein Zenit schon überschritten wurde.

Meinungen

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