Im Zuge der diesjährigen Oscars analysieren wir höchst subjektiv die Stärken und Schwächen eines jeden Nominierten in 24 Kategorien. Es soll jedoch nicht um eine Prognose gehen, sondern um die Qualität jedes Einzelnen. Eine Übersicht aller Beiträge findet sich hier. Zudem veranstalten wir ein großes Oscar-Tippspiel.

Keine Oscar-Kategorie eignet sich besser als jene, die die sinnloseste Materialschlacht mit einem Preis ehrt, während Hollywoods Gigantomanie und Verschwendungsmythos jetzt empirisch nachprüfbar scheint. Wer kommenden März dafür ausgezeichnet wird, mit dem Computer ohne einfrierenden Bildschirm, Grafikverarbeitungsprogrammen aus der Multimediamarkt-Grabbelkiste und einem ansatzweise ästhetischen Geschick größtmöglich steril gearbeitet zu haben, darf sich glücklich schätzen. Er hat die Filmgeschichte ein Stück weiter Richtung Vergessenheit und Vergänglichkeit geführt. In ein paar Jahren fühlt man sich an folgende Nominierungen erinnert, tituliert sie paradoxerweise als von vorvorgestern, als der Realität nicht im Entferntesten ebenbürtig, und die eingeschworene Photoshop-Kavallerie arbeitet indes an neuen Updates, Unerklärlichkeiten.

Die Nominierten

© Warner Bros., Concorde Filmverleih, Walt Disney, Paramount Pictures (v. l. n. r.)

Oscar: Beste visuelle Effekte © Warner Bros., Concorde Filmverleih, Walt Disney, Paramount Pictures (v. l. n. r.)

Tim Webber, Chris Lawrence, David Shirk und Neil Corbould, „Gravity“

Hoch sei die Revolution gepriesen, heiliges „Gravity“! Euphorische Sätze wie diesen begleiteten und begleiten diese gefeierte Geburt des Genrefilms, deren hyperästhetisch durchkomponierte, sinnliche Schwerelosigkeit (Kamera: Ass Emmanuel Lubezki) ein semirealistisches Direkterlebnis im All ermöglicht. Gescheiterte Pläne, umherschwirrende Partikel, unberechenbare Komplikationen mit Gefahrenzulage: Aus modernster, minutiöser Computerarbeit und 3D-Aufschlag ist aus „Gravity“ unverfälschtes, sich in flirrende Bewegungen verlierendes Kino geworden, dessen Kinetik den Zuschauer in die Leinwand saugt. Welche Filme gelten schon als Trips? Nur wenige. Alfonso Cuaróns Astronautentanz ist ein derartiger, ein unmittelbar erfahrbarer Trip, totale Technokratie und ein zusätzlicher Sprung digitaler Effekte nach vorn. Oscar geht schon irgendwie klar.

Joe Letteri, Eric Saindon, David Clayton und Eric Reynolds, „Der Hobbit: Smaugs Einöde“

Eine Wildwasserfahrt mit Fässern? Eine Wildwasserfahrt mit Fässern! Peter Jackson griff noch einmal in die unter einem Bett gezerrte Kiste Mittelerde. Er hat sie entstaubt, sauber gewischt und geöffnet. Drei Filme, zusammengezogen aus einem Buch. Der Mittelteil „Smaugs Einöde“ ist so eine Wildfasserfahrt geworden, ein „Jump ’n’ Run“-Extremspektakel abgeschlagener Gliedmaßen. Zwischen schwabbeligem, zerfließendem PlayStation-Grafikbrei (ja, die Wildwassersause!) und imposant anzuschauender, detailgenauer Animationssorgfalt (der Drache Smaug) weiß „Der Hobbit: Smaugs Einöde“ nie um die Qualität seines visuellen Trashs, der erst mit der Prämisse, etwas tricktechnisch Übermannendes seinem Publikum vorzuführen, besonders steril, leer, dilettantisch ist. Nicht wie der Vorgängerfilm, aber vergleichbar verschwenderisch – und keine Honorierung wert.

Christopher Townsend, Guy Williams, Erik Nash und Dan Sudick, „Iron Man 3“

Mehr als generischer Marvel-Durchschnitt ist „Iron Man 3“ keinesfalls, weder inhaltlich noch handwerklich. Shane Black hat ihn geschrieben, hat ihn in Szene gesetzt, den nunmehr dritten Ableger über eine Blechbüchse, die einen Zyniker ummantelt. Black, seines Zeichens ein 90er-Schreiberling selbstreflektierender Genreschätze wie „Last Action Hero“, rückt jetzt „Iron Man“ in sein Jahrzehnt, in dem Black berühmt geworden ist, in ein poppiges, ironisches, altmodisches, das keine erhöhten Schnittfrequenzen braucht. Seine Effekte hält der Film insofern am Puls der 90er: saftig, schnörkellos, etwas der Zeit enthoben, ökonomisch platziert. Aber damit auch keiner individuellen Note untergeordnet. Blechern, kantig und materialaffin. Marvel-Schauwertstandard ohne Bums.

Tim Alexander, Gary Brozenich, Edson Williams und John Frazier, „Lone Ranger“

Umrahmt von zwei rhythmisch mitreißenden Actionchoreografien auf insgesamt drei Zügen, liest sich „Lone Ranger“ wie einer der wenigen verbliebenen echten, unverfälschten Blockbuster. Die sich organisch einordnenden Spezialeffekte (darunter Feuer, das nicht wie abgezogene Tapete wirkt), exemplarisch spüren sie dem großen, in sich zusammenfallendem Bild hinterher, der eindrucksvollen Attraktion innerhalb einer Übersteigerungskausalität, auf jedes Abenteuer ein riskanteres, überladeneres und ersetzbareres folgen zu lassen. Gefräßige, deutlich als solches erkennbar animierte Kannibalenhäschen passieren hierbei die Grenzlinie zur Künstlichkeit, aber „Lone Ranger“ ist auch Comic, B-Movie, Buster Keaton. Und er vertraut auf die Mythen des Kinos, an die zu glauben es sich lohnt.

Roger Guyett, Patrick Tubach, Ben Grossmann und Burt Dalton, „Star Trek Into Darkness“

Für seine zweite Hollywood-Wiedergeburt der zeitlich vor „Star Wars“ entstandenen Science-Fiction-Weltraumactionoper „Star Trek“ trieb J. J. Abrams kurzerhand Alex Kurtzman, Roberto Orci und Damon Lindelof auf, drei Drehbuchautoren mit dem Ruf, gescheite Sprachkünstler zu sein, dessen Dialoge dann aussetzen, wenn alles aussetzt. Und das geschieht ziemlich oft. Auch „Star Trek Into Darkness“ klopft sich infolgedessen als Film des kleckernden Moments auf die Schulter, feiert Verfolgungsschnickschnack während eines Warpfluges, Green Screens und am Rechner modellierte ferne Welten. Definitiv ist das opulent gestaltet, aber auch ersetzbar, kaum eine formale Handschrift tragend, bauklotzartig. Penetrante Lens Flares inbegriffen, fehlt es Hollywood gegenwärtig an routinierten Handwerkern.

Resümee

Als Momentaufnahme ist „Gravity“ würdig genug, einen ohnehin unwichtigen Preis entgegenzunehmen, denn er, der Film, das Kubrick-Nachspiel der Moderne, nur echt mit Ironie und George-Clooney-Latte-macchiato-Charme, unterstreicht am eindrücklichsten aller aufgeführten Nominierten, dass Posen, Effektegulasch und uneingeschränkte Oberfläche, mit Hingabe vermengt, ein Staunen und Magie sein kann, das nach dem ersten Mal paralysiert, aber nicht lange hält, je schneller der Zaubertrick infolge seiner Wiederholung an Wirkung verliert. „Gravity“ repräsentiert daraufhin am konsequentesten Hollywood, Material, Gigantismus, Verschwendung bar jeglicher inhaltlichen Beschäftigung. Er ist ausschließlich Eskapismus und hält diese Illusion aufgrund seines handwerklichen Talents aufrecht, bis das Raumschiff landet und die Masse herausstürmt.

Meinungen

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