Die Gondeln tragen Trauer, Freude, Mensch und Tier. Aber auch die Laute tragen sie, selbst, wenn die Reisenden in dieser abgeschirmten Metallwanne manchmal beinahe gar nichts hören – doch gleichzeitig so viel, dass zartes Vogelgezwitscher aus den Tälern Nepals emporsteigt und sich zwischen ratternden Liftmasten verfängt. Die Erde ist hier nicht das Fluchtobjekt, sondern der Himmel. Wobei die Reise für einige Passagiere eine zu sein scheint, die – zumindest nach ihren starren Blicken zu urteilen – nichts allzu Besonderes ankündigt, obwohl sie von und zum Tempel Manakamana führt, wo der wörtlichen Bedeutung nach alle Sehnsüchte des Herzens erfüllt werden. Die Sehnsucht Film erfüllen hingegen Stephanie Spray und Pacho Velez. Denn sie zeigen vorrangig Menschen, die auf Reisen im unter ihnen liegenden Dschungel etwas Verborgenes entdecken, aber nicht teilen. Vielleicht auch deshalb nicht, weil die Erkenntnis nur kurz und nichtig, weil sie sogleich wieder vergessen ist oder ihre Deutung erst wesentlich später öffnet. Vielleicht ist diese knapp zehnminütige Gondelfahrt aber auch einfach wie alle Fahrten im Leben: vor allem wackelig, zunächst ins Nichts führend. „Manakamana“ fixiert nur den anthropologischen Moment im Klapperkasten.

So holpern einige Ziegen zum Tempel hinauf als Gabe für Bhagwati, einer Inkarnation der hinduistischen Muttergöttin Parvati. Bei jedem Mast quieken, dazwischen treiben sie. Auch sie sind letztlich entgegen ihres kommenden Schicksals nur Fahrgäste. Zwei Frauen, offensichtlich Mutter und Tochter, schlecken derweil auf ihrem Weg zurück nach Hause ein Eis, welches die tropische Hitze schnell in klebriges Wasser verwandelt. Sie haben wohl noch nie eines gegessen, vor allem keines am Stiel, keines mit einer Schokoladenummantelung. Wie Kinder wären sie, meint die eine zur anderen, und würden noch immer lernen, wie man isst. Zwei Männer musizieren dagegen auf ihren Sarangis, bis ihre Gondel in die Station einfährt. In den schwarzen Windungen, wo ein Pilger seine Kabine an den nächsten übergibt und der eine den Weg vor, der andere den Weg zurück wagt, domestiziert der Mensch die ihm zu Füßen liegende Natur. Nicht wenige Passagiere bemerken neue Dörfer, Felder unter ihnen, einen Schnitt im Dschungel, der sich fortwährend ausbreitet. Auch die Gondelmasten dröhnen – vor allem auf die Erde, nicht in den Himmel. „Manakamana“ konstruiert nicht von ungefähr den hypothetischen Naturzustand des noch von jeglicher Kultur befreiten Menschen nach Thomas Hobbes’ „Leviathan“.

Stephanie Sprays und Pacho Velez’ Experiment rhythmisiert aber ebenso den Akt gegen Materialismus und Kommerz, wie es ein Kaleidoskop ebnet, in dem der Zuschauer gänzlich zum Wissenschaftler des Subjekts vor ihm gedeiht; dieses seziert, mythologisiert, ihm eine theoretische Geschichte einflößt. Die Kamera vor ihnen spüren die Reisenden zwar, aber nicht das filmende Individuum hinter ihr. In „Manakamana“ spioniert der Mensch den Menschen aus, während er beim Tier an dessen Reinheit scheitert. Aber wie sagt eine der Frauen: Es ist schwer hinauf-, doch leicht hinabzusteigen. Die meisten Leben münden eben nicht auf Bergen, sondern schlittern vielmehr über Geröll ins Tal. Was nichts Schlechtes, aber auch nichts zwingend Gutes bedeutet. Viel schöner als in „Manakamana“ konnte der Blick dafür selten auf die Erfahrung des Irrelevanten gelenkt werden, welche den humanistischen Forscherdrang weckt und besonders in den dunkelsten, manchmal einsamsten Räumen bündelt. Dort, in den Kinosälen, sehen wir eben nicht zwingend mehr, sondern anders. Und Stephanie Spray und Pacho Velez fordern nichts weiter, als die Augen zu öffnen, nach vorn zu richten … und infolge der physischen Abstraktion wieder zu schließen. Ganz behutsam. Die Götter wachen schließlich über uns.

Meinungen

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